NBA

Geduld? Mit diesen Knicks?

Von Philipp Dornhegge
Raymond Felton, Iman Shumpert und Carmelo Anthony sind unzufrieden mit dem Saisonstart
© getty

Nach einem schwachen Saisonstart und der Verletzung von Center Tyson Chandler schrillen bei den New York Knicks die Alarmglocken. Es gibt etliche Baustellen, aber keine Lösungen. Raymond Felton spielt auf Zeit, aber haben die Knicks diese Zeit überhaupt? Am Sonntag können sich die SPOX-User ein Bild vom Status der Knicks machen, wenn sie auf die San Antonio Spurs treffen (18 Uhr im LIVE-STREAM).

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Es gibt so einige Spieler in der NBA, die einfach nicht zu ersetzen sind. Franchise Player, die Namen tragen wie LeBron James, Kevin Durant, Kobe Bryant oder Derrick Rose. Kevin Love ist auch nicht zu ersetzen, Dirk Nowitzki ebenso wenig.

Bei den New York Knicks, daran besteht kein Zweifel, gebührt Carmelo Anthony der Status des unersetzlichen Franchise Players. Das heißt aber nicht, dass er der einzige ist, für den es im Team keine Alternativlösung gibt. Ganz und gar nicht.

Denn Tyson Chandler hat sich in Folge der Meisterschaft mit den Dallas Mavericks 2011 und seinen zwei Jahren im Big Apple einen Namen als Defensivanker gemacht, dessen Klasse als Rebounder, Kommunikator und Help-Defender nur wenige andere Profis der NBA erreichen.

Chandlers Einfluss ist messbar

Nicht umsonst war Chandler 2012 Defensive Player of the Year. Nicht umsonst stand er 2013 im All-Defensive First Team. Und nicht umsonst hatte er in den wenigen Spielen der bisherigen Saison 2,5 Blocks pro Partie verbucht.

Sein direkter Gegenspieler trifft nur 40,5 Prozent seiner Würfe am Korb - ein bärenstarker Wert und ein Indiz dafür, dass Chandler seinen eigenen Mann für gewöhnlich gut im Griff hat. Geht ein Wurf daneben und Chandler ist in der Nähe, schnappt er sich in zwei Drittel der Fälle den Rebound.

Guards werden regelmäßig entmutigt, in die Zone zu ziehen, wenn sie sehen, dass Chandler schon wartet. Der 31-Jährige ist kein Franchise Player, in seiner zwölfjährigen Karriere hat er in keiner Saison mehr als 11,8 Punkte pro Spiel erzielt.

Aber er ist unersetzlich. Weil er ein bärenstarker Verteidiger ist - und weil er im gesamten Kader den einzigen "Difference Maker" in dieser Hinsicht darstellt. Iman Shumpert verteidigt klasse, sein Einfluss auf das Gesamtkonstrukt der Knicks-Defense ist aber aufgrund seiner Position auf dem Flügel limitiert.

Vier bis sechs Wochen ohne Chandler

Vergleicht man Chandlers Fähigkeiten daher mit denen seiner Big-Man-Kollegen - und nur diese Einordnung ist relevant, muss jedem Knicks-Fan Angst und Bange werden.

Denn nach dem Wadenbeinbruch des 2,15-Meter-Mannes stehen in den nächsten vier bis sechs Wochen nur Andrea Bargnani, Amar'e Stoudemire, Kenyon Martin und Cole Aldrich für die Arbeit unter den Körben zur Verfügung.

Bargnani ist ein notorischer Defensiv-Allergiker, der die körperliche Härte scheut und lieber am Perimeter rumturnt. Das funktioniert oftmals im Angriff, wenn einer deiner Big Men allerdings historisch schlechte Reboundzahlen auflegt, läuft irgendetwas falsch.

Stoudemire hat in seiner Karriere stets ordentlich gereboundet, ist taktisch und von der Einstellung her aber trotzdem ein miserabler Verteidiger, der regelmäßig Rotationen verschläft und keine Ahnung hat, wann er wo auf dem Court zu stehen hat.

Anthony: "Werden Chandler vermissen"

Martin ist bissig, mit 2,06 Metern aber zu klein für die Rolle des Defensivankers. Sowohl der Routinier als auch Stoudemire dürfen ohnehin nicht allzu viele Minuten spielen, weil sie immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen haben.

Und Aldrich: Der hat sich vor seiner vierten Profisaison bereits seinem vierten NBA-Team angeschlossen und weist Karrierewerte von 2,0 Punkten und 2,3 Rebounds auf. Schwer vorstellbar, dass der 25-Jährige in absehbarer Zeit ein Playoff-Team als Starter in die Schlacht führen kann.

"Er ist unser Schlüsselspieler in der Defense, natürlich werden wir Tyson vermissen", reagierte Carmelo Anthony deshalb genervt auf die Frage eines Journalisten nach Chandlers Wert. "Wir werden ihn sogar sehr vermissen."

Man muss damit rechnen, dass eine zu erwartende Starting Five aus Bargnani, Anthony, Shumpert, Prigioni und Felton in den nächsten Wochen am Fließband eingeschenkt bekommen, an den meisten Abenden den Reboundkampf verlieren und mehr Energie verbrauchen wird, als jedem Spieler und Coach Mike Woodson lieb sein kann.

Felton bittet um Geduld

Apropos Coach Woodson: Der hatte vor Saisonbeginn darum gebeten, Ike Diogu und/oder Jeremy Tyler behalten zu dürfen. Stattdessen wurden die beiden Big Men entlassen, übrig blieben Toure' Murry und Chris Smith, Bruder des amtierenden Sixth Men of the Year J.R. Smith.

Diogu und Tyler würden die Knicks bestimmt nicht in neue Sphären heben können, aber sie wären zwei weitere Alternativen im dünnen Frontcourt. Gut möglich, dass die Knicks den Fehler im Nachhinein korrigieren werden.

Und als hätte New York nicht schon genug Probleme, stottert auch die Offense bisher nur vor sich hin. Anthony wirft bisher nicht so effektiv wie gewohnt. Offenbar bestehen sogar Zweifel am Zustand der Schulter, mit der der amtierende NBA-Topscorer in den letztjährigen Playoffs Probleme hatte.

Insgesamt läuft der Ball zu schlecht, die Automatismen greifen (noch) nicht. "Wir möchten uns bei den Fans für die bisherigen Auftritte entschuldigen", sagte Raymond Felton im "ESPN"-Radio. "Wir spielen nicht Knicks-Basketball, das wissen wir. Wir müssen härter arbeiten und besser spielen. Aber das werden wir. Zum Glück ist es noch früh in der Saison. Also habt bitte Geduld."

Die Nerven liegen blank

Geduld? In New York? Felton müsste es besser wissen. Die Fans sind verwöhnt mit NFL-, NHL- und MLB-Teams, mit denen sich die Basketball-Franchise ständig messen muss. Sind die Knicks schlecht, und das waren sie in dieser Saison überwiegend, dann bekommen sie es zu hören.

Schon mehrfach buhten die Zuschauer im Madison Square Garden ihre "Helden" vom Court, als es nicht lief. Geduld ist nun wahrlich nicht die Stärke des New Yorker Sportfans.

"Mit Verlaub: Unsere Fans wissen nicht, was im Locker Room abgeht, wie wir als Team funktionieren", deutet Felton an, dass zumindest die Chemie stimmt und alle das gleiche Ziel haben. Eine Prämisse übrigens, die von nicht wenigen New Yorker Journalisten bezweifelt wird.

Die Nerven bei den Knicks liegen inzwischen so blank, dass Besitzer James Dolan während der sich abzeichnenden Pleite gegen Charlotte den Cheerleadern verbot, weiter aufzutreten. Das Team spielt mies, die Laune ist schlecht, also fällt die Party aus. So einfach ist das.

Baustellen, so weit das Auge reicht

Ob und wann die Party wieder aufgenommen wird, das bleibt abzuwarten. Ohne Chandler ist die Defense zu mies, und wer weiß, in welchem Fitnesszustand er im Dezember zurückkehrt.

Die Offense strauchelt, weil der Einsatz nicht stimmt, die Neuzugänge Bargnani und Metta World Peace ihre Rollen noch nicht gefunden haben und zu oft der Egoismus Überhand nimmt. Optimisten sehen in der Rückkehr von Smith, der nach fünf Spielen Sperre gegen San Antonio sein Saisondebüt geben wird, immerhin einen Hoffnungsschimmer.

Darüber hinaus fehlt aber ein lautstarker Leader, der die Mannschaft wachrüttelt. Anthony ist nicht diese Art von Leader. Das Karriereende von Jason Kidd hat in der Hinsicht zweifellos eine Lücke hinterlassen.

Geht diese Saison in die Hose - das Erreichen der Playoffs ist angesichts des Niveaus im Osten weiter gut möglich, aber ein Erstrunden-Aus wäre eine Enttäuschung - wird es einen Umbruch geben müssen.

Kein Draft Pick im Sommer 2014

Anthony kann im Sommer aus seinem Vertrag aussteigen und hat bereits angedeutet, dass er dies tun wird. Natürlich könnte er einen neuen Vertrag bei den Knicks unterschreiben, aber wird er dies tun, wenn sich die Leistungen des Teams in einer Abwärtsspirale befinden und Dolan weiter die Zügel in der Hand hält? Wie geht es dann weiter?

Bargnani und Stoudemire haben noch ein weiteres Jahr Vertrag und kassieren zusammen knapp 35 Mio. Dollar, sind aber - deutlich ausgedrückt - nicht zu gebrauchen. World Peace und Pablo Prigioni werden nicht jünger und müssen in punkto Schnelligkeit ihrem Alter schon jetzt regelmäßig Tribut zollen.

Der Salary Cap ist ausgereizt, namhafte Neuverpflichtungen sind ausgeschlossen. Und selbst wenn man dieses Jahr die Playoffs verpasst: Ihren Draft Pick für 2014 hatten die Knicks für Anthony an Denver abgetreten (die wiederum diesen oder den eigenen Pick an Orlando abgeben werden). Ein echter Umbruch ist demnach erst 2015 möglich, wenn die Payroll weitgehend blank ist.

Felton: "Niemand ist glücklich"

Bis dahin gilt es, die Hoffnung nicht zu verlieren. Die Hoffnung, dass Chandler schnell und topfit zurückkehrt. Dass bis dahin nicht allzu viel kaputt gegangen ist. Dass die Offense ihren Rhythmus findet und alles wieder so wird wie vor einem Jahr, als die Knicks noch ungeschlagen waren und von der Meisterschaft träumten.

Viel Anlass zur Hoffnung, dass die Knicks das ausgerufene Ziel, um den Titel mitspielen zu wollen, vielleicht in diesem Jahr erreichen können, gibt es freilich nicht.

"Dolan ist stinksauer, Coach Woodson ist auch nicht glücklich. Im Moment ist niemand bei uns glücklich. Wir haben selbst nicht erwartet, mit 1-3 in die Saison zu starten", gibt Felton unumwunden zu.

Schaut man sich an, wie die kommenden Gegner Charlotte (3-2) und San Antonio (4-1) (Sonntag, 18 Uhr, im LIVE-STREAM bei SPOX) in die Spielzeit gestartet sind, werden die Knicks wohl auch in die nächste Woche mit einer negativer Bilanz starten. Und vielleicht ist dann alles noch viel schlimmer.

Ergebnisse und Spielplan im Überblick