NBA

Rockstars am College

Von Ole Frerks
20 Jahre später: Howard, King, Jackson und Rose (von l. nach r.) feuern ihre Nachfolger an
© getty

Chris Webber, Jalen Rose, Juwan Howard, Ray Jackson und Jimmy King waren eigentlich nur eine Gruppe von talentierten Freshmen, die sich sehr gut verstanden und viele, wenn auch nicht alle Spiele gewannen. Wenn man sich genauer mit der Geschichte befasst, beginnt man aber zu verstehen, warum die Fab Five auch heute noch heiß diskutiert wird - und Legendenstatus erreicht hat.

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Wie erhält ein Team Ikonenstatus? In der Regel über Meisterschaften, am besten gleich mehrere. Jordans Bulls, Magics "Showtime" Lakers, Russells Celtics kommen da in den Sinn, oder auch die Lakers der frühen '00er Jahre mit Shaq und Kobe.

Ganz selten erreicht jedoch ein Team diesen Status, ohne Titel zu gewinnen. Der 1991er Freshman-Jahrgang der Michigan University, besser bekannt als Fab Five, fällt ohne Frage in diese Kategorie.

Chris Webber, Juwan Howard, Jalen Rose, Jimmy King und Ray Jackson sprengten auf College-Ebene Grenzen und wurden behandelt wie Rockstars. Von der einen Seite geliebt, von der anderen verachtet. Sie waren Trendsetter - und wollten doch eigentlich nur Basketball spielen.

20 Jahren sind vergangen, seit sie gemeinsam auf dem Court standen, die Freundschaft der Fünf hat seither Risse bekommen. Mit Howard hat nun auch das letzte Mitglied der Fab Five seine aktive Karriere beendet. Zeit für einen Blick zurück auf ein Team, das Legendenstatus erreichte und noch heute kontrovers diskutiert wird:

Howards Plan geht auf

Webber und Rose kommen beide aus Detroit und begegnen sich zum ersten Mal mit zwölf Jahren - eine Freundschaft entsteht. Howard wächst an der berüchtigten Chicagoer Southside auf, King und Jackson stammen jeweils aus armen Gegenden in Texas.

Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie 1991 unter den 100 größten Highschool-Talenten der USA geführt werden - Webber (1), Howard (4) und Rose (9) sogar in den Top 10. Howard entscheidet sich als erster für Michigan - danach spielt er eine große Rolle beim Rekrutieren der anderen.

Er selbst beschreibt das später als Kettenreaktion: "Jimmy und ich haben uns als Erste entschieden. Ich habe Chris angerufen, weil wir bei den All-Star-Games gute Freunde wurden, und habe ihn nach einer Weile überzeugt. Er hat dann Jalen überzeugt, was genau mein Plan war."

Erste Duftmarke gegen Duke

Am Anfang weigert sich Coach Steve Fisher noch, alle gemeinsam starten zu lassen, auch weil er die Veteranen im Team nicht verärgern will. Trotzdem setzen vor allem Rose und Webber gegen Duke bereits im fünften Spiel der Saison ein Ausrufezeichen. Trotz Overtime-Niederlage.

Duke ist damals amtierender NCAA-Champion und mit seinen wohlerzogenen Stars Grant Hill und Christian Laettner ein krasser Gegenentwurf zu den großmäuligen Frischlingen aus Michigan und ihren Baggy-Shorts. Niemand traut den Wolverines zu, mitzuhalten.

Genau das sorgt jedoch für den nötigen Schub. Rose wird später gestehen, dass Duke für ihn eine "persönliche" Angelegenheit sei, Howard spricht sogar von "Hass". Für ihn und die Anderen ist Duke eine Ansammlung von Schnöseln, zu der sie angesichts ihrer Herkunft niemals gehören könnten.

Hype auf der einen, Kritik auf der anderen Seite

Im Februar stehen alle fünf Freshmen schließlich zum ersten Mal gemeinsam in der Starting Five - ein Novum in der Geschichte der NCAA. Das Spiel gegen Notre Dame wird gewonnen und jeder einzelne Punkt wird von einem Fab-Five-Member erzielt. Die Hölle bricht los.

Die Harmonie zwischen den fünf Freunden produziert pro Spiel dermaßen viele Highlights, dass Michigans Spiele regelmäßig die besten TV-Quoten bringen. Dennoch gibt es Kritik.

"Sie brachten einen völlig neuen, improvisierten Spielstil, der großen Teilen der Medien und anderen Universitäten sauer aufstieß", versucht Michigans Präsident James Duderstadt die Kontroverse um sein Team später zu erklären.

Hassbriefe und Morddrohungen

Kritiker werfen der Fab Five vor, nur für die Show zu spielen. Für King liegt das daran, dass die Fünf immerzu am Reden sind, sich ständig mit den Gegnern anlegen und sichtlich Spaß am Spiel haben. Zu dieser Zeit ist das ungewöhnlich - Rose bekommt einmal ein technisches Foul. Fürs Lächeln.

Nicht zuletzt schlägt den fünf afroamerikanischen Studenten auch Rassismus entgegen. Es hagelt Hassbriefe und sogar Morddrohungen. Ehemalige Michigan-Studenten verfassen Zeitungsartikel, in denen sie behaupten, sich für die neue Mannschaft ihrer Universität zu schämen.

Auch Coach Steve Fisher erhält zahlreiche Briefe, die ihn davon abbringen sollen, die Fab Five überhaupt aufzustellen. Dieser unbeschreibliche Hass bringt das Team jedoch eher zusammen, als dass es sich einschüchtern lässt.

Lehrstunde vom Erzrivalen

Vor dem Start des NCAA-Turniers 1992 begegnen die Fab Five Muhammad Ali - dem Großmeister des Trash-Talks höchstpersönlich. Die Box-Legende outet sich als Fan und gibt ihnen den Slogan für das Turnier mit auf den Weg: "Schockt die Welt!"

Genau das gelingt. Die Wolverines ziehen ins Final Four ein und stehen nach einem Sieg über Cincinnati sogar im Finale. Dort heißt der Gegner abermals Duke. Doch im Gegensatz zum ersten Aufeinandertreffen wird es diesmal mehr als deutlich. Die Blue Devils gewinnen mit 71:51, vor allem in Halbzeit zwei hat Michigan keine Chance.

Nachdem wie Wolverines über einen Monat lang kein Spiel verloren hatten, ist diese Niederlage ein harter Schlag für das Team. Webber verliert danach die Kontrolle und flucht sich die Seele aus dem Leib - vor laufenden Kameras. Eine Erinnerung daran, dass er gerade erst 19 Jahre alt wurde.

Leben wie Superstars?

Angesichts des Hypes und der Kontroversen geht das damals in der Regel unter. Rob Pelinka, ehemaliger Teamkollege der Fab Five und heute Agent von Kobe Bryant, vergleicht das Leben des Teams mit dem von Rockstars: "Manchmal brauchten wir Polizeischutz, weil unser Bus von Leuten umzingelt wurde."

In einer Zeit, in der Rap in Amerika auf dem Vormarsch ist und zum Sprachrohr einer Generation wird, werden die Fab Five zu Ikonen. Ähnlich wie die Musik werden sie von den Jüngeren als kreativ, mutig und frisch, von Älteren dagegen als unverschämt und angeberisch wahrgenommen.

NBA-Legende und TV-Experte Bill Walton nennt die Fab Five damals exemplarisch "eines der am meisten überbewerteten Teams aller Zeiten".

Dabei wollen sie eigentlich nur Basketball spielen, Spaß am Spiel haben und ansonsten das Leben als Studenten genießen. Stattdessen wird das Quintett von der Werbeindustrie und den Medien zu den Gesichtern eines Generationen- und Rassenkonflikts gemacht.

Immer noch pleite

Die Michigan University und Nike machen mit der Vermarktung des Teams einen Riesengewinn. Da ein College-Spieler kein Geld verdient, haben die Spieler davon jedoch nichts. Die Fab Five bekommen das Gefühl, ausgebeutet zu werden. Der Frust steigt.

Rose beschreibt später einmal, wie er in dieser Zeit an einem Schuhladen vorbeiläuft und im Schaufenster einen Sneaker mit dem Emblem "Fab Five" sieht - er selbst hätte ihn sich niemals leisten können.

Der Frust führt zu einer Veränderung im Auftreten als Basketballer. Stand vorher noch der Spaß im Vordergrund, sehen sich die Wolverines im zweiten Jahr mehr als Profis - jedes Spiel soll im Sinne der Wertsteigerung gewonnen werden. Business eben.

Die Auszeit

Das klappt jedoch ziemlich gut. Die Wolverines stürmen zur besten Bilanz ihrer Conference und schaffen es abermals ins Final Four. Im Halbfinale wird Kentucky in Overtime besiegt. Die Fab Five kehren also zurück auf die Bühne ihrer größten Niederlage - das NCAA-Finale.

Diesmal heißt der Gegner North Carolina. Das Spiel bleibt bis zum Ende eng. 20 Sekunden vor Schluss führt UNC mit zwei, als Webber den Ball bekommt. Er dribbelt nach vorne, wird gedoppelt, nimmt den Ball auf - und eine Auszeit. Das Problem: Michigan hat seine Auszeiten bereits alle genommen. Webber kassiert das technische Foul und zwei getroffene Freiwürfe später ist das Spiel entschieden.

Ein Fehler, der jedem passieren könnte, unterläuft Webber auf der größtmöglichen Bühne. Zuvor als einer der besten College-Spieler aller Zeiten gehandelt, ist er auf einmal der Depp der Nation. Ausgerechnet im letzten Spiel der Fab Five.

Denn Webber meldet sich wenig später zum Draft an und wird 1993 zum Nummer-1-Pick. Nach und nach verlassen auch Rose, Howard und King Michigan in Richtung NBA, einzig Jackson kommt nie in der Beletage des Basketballs an.

Ein unrühmliches Ende

Webbers Timeout-Panne hinterlässt jedoch auch beim Quintett ihre Spuren. Zwar fühlen sie sich weiterhin wie Brüder, die Kommunikation zwischen Webber und den anderen bricht allerdings fast komplett ab, weil er sich "von dem Moment, von der Schule - und theoretisch von uns - abgrenzen will", erklärt Rose im April 2013.

Der Zeitpunkt dieser Aussage ist kein Zufall. Nach 20 Jahren steht die Michigan University im vergangenen Frühjahr erstmals wieder im Finale, ebenfalls dank einer Gruppe von Freshmen. Rose, Jackson, King und Howard kündigen ihren Support an und wollen das Team in der Halle anfeuern. Ob Webber ebenfalls vor Ort sein wird, ist zum Zeitpunkt des Rose-Zitats dagegen unklar.

Während seiner NBA-Karriere kommt heraus, dass Webber als Spieler Geld von einem Förderer namens Ed Martin angenommen hat. Nach einem hässlichen Verfahren entscheidet die Universität im Jahr 2003, sämtliche Spiele der Saison 92/93 abzuerkennen. Auch die beiden Final-Four-Partien aus der Vorsaison werden annulliert.

Dass er medial zum Kriminellen abgestempelt wird und die Universität diesen Vorgang tatkräftig unterstützt, nimmt Webber persönlich. Als Rose im Jahr 2011 die viel beachtete "ESPN"-Dokumentation "Fab Five" produziert, nimmt er als einziger nicht daran teil. Es scheint, als wolle er nichts mehr mit der Universität und seinem ehemaligen Team zu tun haben.

Mehr als nur Basketball

Dass Webber am Ende tatsächlich zum Finale erscheint, wird letztendlich eine größere Story als das Spiel selbst (Michigan verliert gegen Louisville). 20 Jahre später überstrahlt die Aura der Fab Five immer noch das aktuelle Geschehen, so wie sie früher größer war als jedes ihrer Spiele.

Nüchtern betrachtet waren die Fab Five einfach nur fünf extrem talentierte Teenager, die sich wunderbar miteinander verstanden und zweimal das Finale der NCAA erreicht haben. Nüchterne Betrachtungen waren im Hinblick auf diesen Freshmen-Jahrgang jedoch generell stelten.

Exemplarisch dafür steht das Fazit von "ESPN"-College-Reporter Dick Vitale: "So etwas wie die Fab Five gibt es nur einmal im Leben! Was sie erreicht haben, wird es nie, nie wieder geben." Ikonen sind nun mal einzigartig.