NBA

Auf dem sicheren Weg zur NBA-Macht

Von Philipp Dornhegge
Die 76ers haben ihre Augen jetzt schon auf Andrew Wiggins, Star im Draft 2014, gerichtet
© getty

Mit einem sensationellen Trade am Draft-Tag sorgten die Philadelphia 76ers zunächst für Ratlosigkeit bei den Fans. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der beschrittene Weg der richtige ist. Philadelphia stellt sich komplett neu auf - und könnte schon 2014 die Früchte tragen.

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Nach dem Draft war erst mal Schockstarre angesagt im Fanlager der Philadelphia 76ers. Die altehrwürdige Franchise hatte gerade Jrue Holiday für Nerlens Noel getradet, oder anders ausgedrückt: einen All-Star-Point-Guard gegen einen verletzten Big Man ohne Offensiv-Moves.

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Holiday war in der abgelaufenen Saison einer der ganz wenigen Lichtblicke im Team gewesen, dass letztlich klar die Playoffs verpasste und allerlei Probleme hatte.

Keines war dabei sicherlich größer als das Fehlen von Andrew Bynum. Der Center war per Trade aus L.A. gekommen und sollte eine Inside-Out-Offensive ermöglichen, die sich dann aber nie materialisierte. Denn Bynums Knie spielten nicht mit, der erst 25-Jährige machte kein einziges Saisonspiel.

Bynums Vertrag ist in diesen Tagen ausgelaufen, eine Verlängerung kommt nicht in Frage. Zu wenig Vertrauen hat man, dass der Körper des Big Man die Belastungen der NBA dauerhaft aushält. Zu schwierig wäre es, die Entscheidung den Anhängern zu verkaufen.

Bynum-Trade war richtig

Und doch war der Trade, bei dem man Andre Iguodala an die Denver Nuggets verlor, an sich richtig. Mit dem Swingman war man stets ein gutes, aber kein überragendes Team. Die Sixers hatten nur wenig Entwicklungspotenzial, es musste eine Entscheidung her.

Und wäre Bynum fit gewesen, wer weiß schon, wie großartig Philadelphia hätte sein können? Immerhin galt Bynum zu Lakers-Zeiten mitunter als Nummer-Eins-Herausforderer von Dwight Howard im Kampf um die Center-Krone der NBA.

Aber es sollte nicht sein, nun also geht's in der City of brotherly Love ohne Bynum weiter. Die Frage, die man sich angesichts dessen charakterlicher Unreife allerdings stellen muss, ist die: Ist der Rücktritt von Coach Doug Collins nicht der viel größere Verlust?

Sicher, Collins ist kein einfacher Trainer gewesen. Er forderte von seinen Spielern viel und investierte selbst noch mehr. Am Ende war er mental ausgebrannt. Aber er schaffte es stets, aus dem eher geringen Potenzial der Mannschaft das Optimum herauszuholen. Das muss sein Nachfolger erst mal schaffen.

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Trainersuche: Wann unterschreibt Brown?

Ob dieser Nachfolger Brett Brown sein wird, steht noch immer in den Sternen. Der langjährige Spurs-Assistant-Coach und die Sixers sollen sich seit fast zwei Wochen weitgehend einig sein, aber irgendetwas verhindert noch einen Vertrag.

Was das ist, darüber weiß offenbar niemand außerhalb der Franchise so genau Bescheid. Neu-Manager Sam Hinkie jedenfalls hatte sich schon früh festgelegt, dass er einen Trainer aus der Spurs-Franchise haben will, die ligaweit so sehr respektiert wird wie keine andere.

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Kann Philly den Deal mit dem ehemaligen australischen Nationaltrainer Brown endlich fix machen, wird der gleich ordentlich zu tun haben. Brown war laut Gerüchten bei den Nuggets und Celtics im Gespräch, die Sixers sind aber die ungleich größere Herausforderung.

Lieber grottenschlecht als ganz okay

Denn es steht nichts weniger als ein totaler Neuaufbau auf dem Plan. Mit Bynum und Holiday sind die beiden vermeintlichen zentralen Puzzleteile des Teams weg, alle anderen verbliebenen Akteure sind allenfalls gute Rollenspieler.

Evan Turner kann gelegentlich für Furore sorgen, Thaddeus Young ist sicher äußerst solide. All-Star-Potenzial haben beide eher nicht.

Doch eine Erkenntnis hat sich in der NBA längst durchgesetzt: So lange das Draft-System so funktioniert wie im Moment, sollte man als Mannschaft lieber grottenschlecht sein als ganz okay.

Denn wer am Ende der Saison die mieseste Bilanz hat, hat die besten Chancen auf den Nummer-eins-Pick im Draft.

Alle Teams wollen Wiggins

Und der Draft 2014 verspricht nichts weniger, als der beste seit 2003 zu werden, als LeBron James, Carmelo Anthony, Dwyane Wade, Chris Bosh und viele mehr in die NBA kamen. Unzähligen Teams läuft bei der Aussicht auf den designierten Top-Pick Andrew Wiggins schon jetzt das Wasser im Mund zusammen.

Zahlreichen anderen Spielern wird Franchise-Player-Potenzial nachgesagt. An dieser Stelle zeigt sich dann, dass Philly langfristig wahrscheinlich alles richtig gemacht hat.

Kurzfristig wiegt der Verlust von Holiday natürlich schwer, doch erstens hat Nerlens Noel zumindest die Chance, als Defensivanker ein Game-Changer zu werden, wie er nur selten zu bekommen ist.

Zwei Stars 2013, zwei Stars 2014

Zweitens bekamen die Sixers bei diesem Trade den Erstrundenpick der Pelicans 2014 dazu. Der ist zwar Top-5-Protected, das heißt er bleibt in New Orleans, sollten die Pelicans im Draft einen der ersten fünf Picks bekommen. Stattdessen wären die Sixers in einem späteren Jahrgang dran.

Aber Philly darf angesichts der Verbesserung des Pelicans-Kaders zumindest darauf hoffen, dass New Orleans nicht unter den ersten fünf landet.

Und dann würde es schon 2014 so aussehen, dass man mit Noel, dem Pelicans-Pick und dem eigenen Draft Pick (vielleicht sogar Wiggins?) drei mögliche Starspieler hat, dazu scheint Michael Carter-Williams ebenfalls eine mehr als gute Rolle in der NBA spielen zu können.

Der Point Guard aus Syracuse kam mit dem 11. Pick im Draft und soll den Holiday-Verlust bestmöglich kompensieren. Mit seiner Länge und Übersicht bringt der 21-Jährige jedenfalls ein viel versprechendes Paket mit.

Royce White kommt aus Houston

Mit Arsalan Kazemi aus Oregon bekam man darüber hinaus mit dem 54. Pick einen Power Forward, der zwar zu klein ist für seine Position, der aber bei den Advanced Stats bärenstarke Werte aufweist. Der Iraner könnte sich als brauchbarer Rollenspieler entpuppen.

Die Sixers werden die kommende Saison weitgehend herschenken und nur damit verbringen, ihre Talente zu entwickeln, darüber herrscht überall Konsens.

Eine Randnotiz wird die Verpflichtung von Royce White bleiben, den die Sixers im Tausch für einen Zweitrundenpick gemeinsam mit den Draft-Rechten am Türken Furkan Aldemir bekamen. Der von Angstzwängen gebeutelte White kam in Houston nie zum Zug und blieb sogar in seinen wenigen Spielen in der D-League den Nachweis jeglicher Klasse schuldig.

Doch die Sixers können sich nach der kommenden Saison von White verabschieden und hätten praktisch nichts verloren.

Payroll lässt 2014 Platz für Free Agents

Erst danach geht's um die Wurst: Die Payroll weist nur rund 20 Mio. Dollar für die Saison 2014/2015 auf, im Draft sollen zwei Stars geholt werden.

Und wer weiß schon, was Hinkie mit reichlich Cap Space möglich machen kann? Eigentlich ist es seltsam, dass die Sixers für Free Agents nicht eine absolute Top-Adresse sind: Die Franchise kann immerhin heißblütige Fans, viel Tradition und eine tolle Stadt anbieten.

Titel bald ein Thema in Philly?

Doch auch ohne einen Superstar wie LeBron James werden die Sixers sehr bald stark verbessert sein, vielleicht sogar verdammt gut. Vier tolle Talente, dazu Turner, Young und der eine oder andere Rollenspieler werden ein Paket bilden, dass man so vielleicht nirgendwo anders finden kann.

Eine Meisterschaft garantiert das freilich nicht, zumal zunächst natürlich alles nach Plan verlaufen und Philly die richtigen Leute verpflichten muss. Aber allein über die Aussicht auf einen Titel zu sprechen, ist nach Jahren der Mittelmäßigkeit eine willkommene Abwechslung.

Und so möchte man den verbitterten Anhängern zurufen: Liebe Leute, es ist alles nicht so schlimm. Im Gegenteil.

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