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Paul George: Scottie Pippen 2.0

Von Sebastian Dumitru
NBA, Paul George, Indiana Pacers
© Getty

Das Duell der New York Knicks und Indiana Pacers (So., 21.30 Uhr im LIVE-STREAM FOR FREEmit Markus Krawinkel) ist nicht nur das vorgezogene Conference-Halbfinale, sondern gleichzeitig auch das Duell zweier All-Stars: Carmelo Anthony auf der einen und der immer noch übersehene Paul George auf der anderen Seite. Dabei erinnert der mit seiner Art an Scottie Pippen.

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Der November in Indiana war eine ausgemachte Katastrophe. Danny Granger, der Topscorer des Teams, fiel vor der ersten Partie für mehrere Monate aus und hinterließ vor allen Dingen ein Identitätsproblem. Die Pacers strauchelten zu sieben Niederlagen aus den ersten elf Spielen und brauchten bis Mitte Dezember, um zum ersten Mal über die .500er-Marke zu klettern - und sich dort langfristig festzusetzen. Seitdem ist viel passiert. Indiana dominiert die Central Division und spielt seine erfolgreichste Saison seit 2004, als es erst im Conference Finale am späteren Meister Detroit Pistons scheiterte.

Ein Mann steht symbolisch für das Wachstum des Teams in dieser Saison: Paul George. Der 22-Jährige hat viel früher als erwartet den Sprung zum Star gemacht, sich als bester und gefährlichster Akteur von Head Coach Frank Vogel etabliert. Kaum einer hätte früher darauf gehofft - kaum einer, außer George selbst.

"Als Rookie habe ich immer geflachst, dass ich in meinem dritten Jahr All-Star sein will. Vor dieser Saison habe ich euch Journalisten immer noch erzählt, dass ich All-Star werden möchte. Ich war überzeugt, dass es für mich möglich wäre und wusste, dass ich ohne Danny (Granger) als Scorer und Spielmacher gefragt sein würde. Alles kam perfekt zusammen."

Grangers Verletzung riss Lücken in die Lineup, die irgendjemand schließen musste. Die logische Schlussfolgerung war George, aber die Umstellung und Anpassung war alles andere als einfach - sowohl personell-taktisch für die Pacers, als auch für den Spieler selbst.

Birds Vision

Paul George glaubte immer schon an sich, daran, dass er es eines Tages schaffen würde. Das Problem war stets, die anderen von seinen einmaligen Fähigkeiten zu überzeugen. Obwohl er schon früh mit dem perfekten NBA-Körperbau gesegnet war, lang, athletisch und geschmeidig wirkte, blieben die Interessenten aus. Er schaffte es nie ins High School All-American Team, wurde nie von den renommierten Colleges rekrutiert (George spielte für die unbedeutenden Fresno State Bulldogs) und galt vor dem NBA-Draft als marginaler Erstrundenspieler.

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Frustrierend, wenn man von sich selbst absolut überzeugt ist, aber kaum die Chance erhält, das auch zu beweisen. "Mir wurde nie etwas geschenkt", erklärt George den Quell seiner Motivation. "Ich musste schon immer doppelt hart für alles arbeiten, und das ist auch meine Einstellung und die Art, wie ich mein Leben lebe: man bekommt nichts geschenkt, sondern muss sich das nehmen, was man verdient."

Das Schicksal machte George und Indiana ein erstes, entscheidendes Geschenk, als der damalige Pacers-Präsident Larry Bird den Jungprofi zu mehreren pre-Draft-Workouts einlud - und sofort etwas Entscheidendes erkannte: George ist ein Arbeiter, ein Malocher, wie er im Buche steht. Das mag man auf den ersten Blick nicht glauben, weil bei ihm alles so spielerisch leicht wirkt, aber hinter allem Enthusiasmus, dem unerschütterlichen Selbstvertrauen und den regelmäßigen Highlights steckt stundenlanges, beinhartes Training, jeden Tag. "The Hick from French Lick" fühlte sich wohl unweigerlich an sich selbst erinnert - und an einen Spieler, gegen den er früher selbst regelmäßig antreten musste. Bird draftete George 2010 schon an 10. Stelle in Runde eins.

Pippen-Vergleiche

Einen Namen hört Paul George besonders häufig, wenn man ihn und seine Spielweise mit einem All-Timer vergleicht: Scottie Pippen. Seines Zeichens 7-facher All-Star, 6-facher NBA-Champion mit den Chicago Bulls und laut National Basketball Association einer der "50 besten Spieler aller Zeiten".

Wie Pippen ist auch George immens lang, drahtig und mit einer unendlichen Spannweite ausgestattet. Das, in Kombination mit einem schnellen Schritt und lupenreinen Instinkten, macht ihn zum geborenen Lockdown-Verteidiger. Ein natürliches Spielverständnis, gutes Wurfgefühl und die ausgeprägte Athletik dazu, und fertig ist die ultimative All-Around-Waffe.

Seine NBA-Sporen verdiente sich George in der Defense. Schon als 20-jähriger Rookie hetzte er Chicagos Superstar Derrick Rose in den Playoffs übers Parkett, schon als Sophomore wollte er es mit den besten Flügelspielern der Liga aufnehmen, mit Anthony, Bryant und James.

"Ich gehöre schon zu den besten Verteidigern weit und breit. Ich habe ein paar Kniffe und Tricks auf Lager, um die Angreifer permanent unter Druck zu setzen und vor ihnen zu bleiben. Ich denke also schon, dass ich zu den Besten gehöre und mit den Tony Allens der Liga mithalten kann."

Anpassungsschwierigkeiten

Im Angriff konnte sich George dagegen behutsam entfalten - bis zu Grangers Verletzung. Über Nacht wurde aus einem Defensivspezialisten, der bis dahin nur die vierte Offensivoption gewesen war, der Katalysator und Go-to-Guy, derjenige also, für den die gegnerische Defensive minutiös plant. Erschwerend kam hinzu, dass Head Coach Frank Vogel auf der Suche nach geeigneten Lineup-Kombinationen George pausenlos zwischen Shooting Guard und Small Forward hin und her schob.

Die Anforderungen als Spielmacher, erste Offensivoption und Fokus der Kontrahenten waren zunächst ein zu steiler Anstieg. George versagte als "Playmaker", verlor häufig den Ball und traf im November weniger als 40 Prozent seiner Wurfversuche aus dem Feld. Indiana, das als größte Eastern Conference Bedrohung für die Miami Heat in die Saison gestartet war, fiel in der Tabelle ab. Fans gerieten bereits in Panik.

Was viele dabei vergaßen: George ist gerade einmal 22 Jahre alt. Man übernimmt nicht von jetzt auf gleich die Aufgaben langjähriger NBA-Veteranen, man setzt sich nicht auf Anhieb als erste Option durch, und man wird nicht über Nacht zum Star. George wusste, dass von ihm mehr kommen musste - instinktiv. "Es ist alles in mir. Mir war klar, dass ich die Chance nutzen musste und jetzt die Gelegenheit hatte, zu zeigen, was ich alles kann und wie hart ich an meinem Spiel gearbeitet habe. Ich wäre sehr von mir enttäuscht gewesen, wenn ich genauso weiter gespielt hätte wie letzte Saison."

Träume werden wahr

Anstatt sich und sein Spiel komplett umzustellen, blieb George bei seinen Leisten und arbeitete einfach noch härter, noch länger, noch konzentrierter an den Schwachstellen in seinem All-Around-Game. Unterstützung erhielt er dabei von Coach Vogel und Assistenztrainer Brian Shaw. Der hatte als Spieler und Trainer mehrere Meisterschaften gewonnen und erkannte sofort, dass aus George ein Großer werden kann: "Als ich nach dem Lockout hierher kam, fiel mir als erstes seine immense Länge auf", sagt Shaw. "Seine Fähigkeiten sind unglaublich, er hat das komplette Arsenal, eine fantastische Fußarbeit. Es ging also nur noch darum, sein Vertrauen in all diese Dinge zu fördern."

Shaw nahm sich George immer wieder zur Seite, kritisierte, motivierte. Und George arbeitete unermüdlich. Vor, im und nach dem Training. Er verbesserte sein Ballhandling, seinen Mitteldistanzwurf und lernte dank intensivem Videostudium, wie er seinen Gegnern am besten zusetzen und seine Fehler minimieren konnte. Die Lernfortschritte waren gigantisch, von Woche zu Woche. Er gewöhnte sich ans Tempo, den Druck, die Tendenzen seiner Gegner. Je sicherer und selbstbewusster George wurde, je besser sein Zusammenspiel mit seinem Mentor David West, desto erfolgreicher wurden auch die Pacers.

Von Dezember bis März fuhr Indiana 38-19 Siege ein und hat sich dank der stärksten Defensive und einer Top-10-Offense in Saisonhälfte zwei längst wieder als Miamis gefährlichster Ost-Kontrahent reetabliert. Georges Produktion betrug im selben Zeitraum exklusive 18,8 Punkte, 8,1 Rebounds und 4,3 Assists pro Spiel. Der einzige andere NBA-Spieler, der diese Durchschnittswerte erreicht? LeBron James, der dreifache MVP. Über die Saison verteilt erzielt der Youngster fantastische 17,5 Punkte, 7,7 Rebounds und 4,1 Assists pro Abend. Die NBA-Coaches honorierten Georges enormes Wachstum und seinen Einfluss an beiden Enden des Courts mit seiner ersten Ernennung ins All-Star-Team.

Unendliches Potenzial

Für George aber noch lange kein Grund, selbstgefällig zu werden. Ganz im Gegenteil: "Dass ich es ins All-Star-Team geschafft habe, ist ein unbeschreibliches Gefühl. Ein Traum ist wahr geworden. Aber wenn man dieses Ziel erreicht hat, dann will man automatisch noch höher, die nächste Stufe erklimmen. Ich muss auf diesem Weg bleiben. Ich muss mein Spiel auf die nächste Stufe hieven, und das kann ich nur, wenn ich weiter hart arbeite."

Georges nächste Ziele müssen sein, seine eklatanten körperlichen Vorteile in Offense und Defense zu maximieren. Dank seiner 2,05 Meter bei extrem schnellen Reflexen ist er ein wandelnder Matchup-Alptraum, egal, ob gegen schwerere Gegner am Perimeter oder gegen kleinere Guards im Low Post. Im Konterspiel ist er ohnehin nicht zu stoppen.

Wenn er lernt, häufiger nach innen zu gehen, den Mitteldistanzwurf noch konstanter zu treffen (die Verbesserungen gegenüber Jahr zwei sind bereits enorm) und zum absoluten Führungsspieler heranzureifen, dann gibt es nach oben hin keine Grenzen.

Wichtig ist nur, dass ihm Indiana genug Zeit und die nötige Unterstützung zur Verfügung stellt - obwohl das angesichts seiner immensen Leistungssprünge vielleicht schwer fällt. Oder wie Shaw das abschließend formuliert: "Er macht es einem echt einfach, ihn immer auf die nächsthöhere Stufe zu triezen. Aber das geht eben nicht von heute auf Morgen. Diese Erkenntnis ist manchmal schwierig, weil man die Entwicklung instinktiv verschnellern möchte, aber das kann man einfach nicht. Alles braucht seine Zeit. Er hat einen unglaublichen Job gemacht, und er wird immer besser werden."

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