NBA

LeBron James: Von wegen auserwählt

Von Philipp Dornhegge
Der selbsternannte König des Basketballs LeBron James ist bisher der große Verlierer der Finals
© Getty

Er ist der selbsternannte König des Basketballs, doch in den Finals versagt LeBron James als Closer. Die Auftritte in der Crunchtime sind beunruhigend - und bringen sein Denkmal ins Wanken.

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Es sind noch 29 Sekunden zu spielen in der fünften Partie der NBA-Finals 2011, als LeBron James zum Korb zieht und fast unbedrängt einen Korbleger versenkt. So eng, wie die Serie bisher ist, könnte man meinen, dass James damit in der Crunchtime seinen großen Auftritt gehabt und seinem Team zum Sieg - oder zumindest zur Chance auf einen Sieg - verholfen hätte.

Dem ist aber nicht so. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Small Forward bereits drei andere Würfe versemmelt, zudem in der Defense gegen Jason Terry wiederholt geschlafen und so entscheidend dazu beigetragen, dass Dallas seinerseits den Sieg schon so gut wie in der Tasche hatte.

Elf Punkte im 4. Viertel - insgesamt!

Ein Dreier des 15 Zentimeter kleineren Jet ins Gesicht von James hatte wenige Sekunden vor dem letztlich wertlosen Korbleger für die Vorentscheidung gesorgt. Und wäre dieser Korbleger in der Garbage Time nicht gewesen, LeBron James wäre erneut im vierten Viertel ohne Punkte geblieben. Wie schon in Spiel vier.

Nimmt man alle Schlussviertel der Serie zusammen, kommt der beste Spieler der Welt auf lächerliche 11, in Worten: elf Punkte. Das klingt nach der Leistung eines Dirk Nowitzki - in einem einzigen Viertel. Elf Punkte in 60 Minuten sind - vorsichtig ausgedrückt - eine mittelschwere Katastrophe für ein Heat-Team, das neben dem überragend guten Dwyane Wade ganz wesentlich von James' Leistung abhängig ist.

Sein Problem ist die Crunchtime

Elf Punkte sind rund drei Zähler weniger, als der 38-jährige Juwan Howard in 60 Minuten im Schnitt erzielt. "Ich hätte bestimmt mehr tun können, um meiner Mannschaft zu helfen", gab sich James immerhin selbstkritisch. Und trotzdem muss man festhalten, dass es schlicht und ergreifend zu wenig ist, was der Superstar in der Crunchtime leistet.

Denn in der Realität, so hart es klingen mag, leistet er fast gar nichts. Neben den Fehlwürfen und der erwähnten Patzer in der Defense erwies er seiner Mannschaft rund zweieinhalb Minuten vor Schluss einen Bärendienst, als er beim Zug zum Korb auf Chandler auflief und ein Offensivfoul kassierte. Zu einem Zeitpunkt, als noch alles offen und jeder Ballbesitz doppelt wichtig war.

Superstars erzwingen den Pfiff

Die Mavs machen James das Leben schwer, indem sie ihn konsequent am Zug zum Korb hindern und ihn so zu Würfen zwingen, die gar nicht seine Sache sind. Er lebt von seinen Drives, die er aber weder in der Set Offense, noch im Fastbreak bekommt.

Als Spot-Up-Shooter auf der Weakside, wo er auf Pässe seiner Mitspieler wartet, ist er seit jeher unbrauchbar. Frustriert ihn das? Zweifelsohne. Rechtfertigt das, dass er in der wichtigsten Phase des Spiels zum Statisten wird? Auf gar keinen Fall. Und es ist kaum vorstellbar, dass dies der eigentliche Grund ist.

LeBron James ist viel zu gut, als dass er sich von einer gegnerischen Defense, und sei sie noch so gut, aus der Bahn werfen lässt. Superstars, bei denen es nicht läuft, haben im Zweifel immer noch ein Mittel, um ihrer Mannschaft zu helfen: Freiwürfe. Superstars erzwingen den Zug zum Korb und bekommen im Zweifel eher den Pfiff des Schiedsrichters, als dass die Pfeife stumm bleibt.

James ist Zu Großem imstande - nur wann?

Das galt für Dirk Nowitzki in Spiel vier, als er nicht richtig fit war, das galt auch für Wade in Spiel fünf, als diesem aufgrund einer Hüftprellung die entscheidenden Prozentpunkte Dynamik abgingen. Wade stand zwölf Mal an der Linie, sogar Chris Bosh neun Mal. LeBron James: zwei Mal. Würde irgendjemand noch einen Nachweis für die Passivität von James brauchen, er hätte ihn an dieser Stelle gefunden.

Woran aber liegt es, dass er, den NBA-Legende Scottie Pippen vor kurzem noch für "besser als Michael Jordan" hielt, regelmäßig abtaucht, wenn es um alles geht? James hatte schon große Playoffspiele: 40-Punkte-Spiele, effektivere Triple-Doubles, Game-Winner.

Es ist nicht so, dass er nicht imstande wäre, Großes zu leisten. In den Finals allerdings wartet man noch auf einen begeisternden Auftritt des ehemaligen Cavaliers. Auch 2007, als er Cleveland quasi allein in die Finals geführt hatte, waren seine Leistungen in den entscheidenden Spielen wenig berauschend.

Kein Spieler wie Jordan, Bryant oder Wade?

Damals schob man dies auf seine Unerfahrenheit und die Tatsache, dass sich die San Antonio Spurs komplett auf James fokussieren konnten. Beides sicher berechtigte Argumente. Argumente, die in dieser Saison aber keine Rolle mehr spielen. Als sich James im Sommer mit Wade und Bosh zusammen tat, ging es ihm genau darum, schnellstmöglich wieder in die Finals einzuziehen.

Jetzt ist er dort angekommen - und produziert nicht? "ESPN"-Kolumnist Stephen A. Smith zitierte in der TV-Show "Jim Rome is burning" George Karl, der vor einiger Zeit erklärte: "Es gibt Spieler, die aufgrund ihres Talents einfach großartige Spieler sind, und es gibt Spieler, die wirklich großartig sein wollen. Sie wollen in den wichtigsten Momenten den Ball haben und sind beleidigt, wenn sie nicht Verantwortung übernehmen und über Wohl und Wehe ihrer Mannschaft entscheiden können. Spieler wie Michael Jordan, Kobe Bryant und Dwyane Wade sind solche Spieler. LeBron James offensichtlich nicht."

"Ich weiß, worum es geht"

Smith ist zudem nicht der einzige Experte, der inzwischen davon ausgeht, dass im privaten Umfeld von James etwas los ist, was den Superstar negativ beeinflusst: "Ich habe keine Ahnung, was es ist, aber ich kenne ihn gut genug, um mir darüber eine Meinung bilden zu können. Leute aus seinem direkten Umfeld haben diesen Eindruck bereits bestätigt."

Aber wen interessiert es, mit was James privat zu kämpfen hat? Er wird sehr gut dafür bezahlt, Spiele für seine Heat zu gewinnen. Und er sieht sich doch selbst als einen der besten Spieler aller Zeiten. Für den Spiel fünf das bisher bedeutendste Spiel seiner Karriere war.

"Ich weiß, worum es geht. Das ist mein wichtigstes Spiel, und genau so gehe ich die Sache an", sagte James noch vor Spielbeginn. Drei Viertel lang schien er seinen Worten Taten folgen zu lassen.

Die Probleme des Auserwählten

Aber wer dann, wenn es drauf ankommt, urplötzlich abtaucht, der hat keine Ausreden mehr. Und der darf auch nicht darauf hoffen, dass man ihm so einen Auftritt nachsieht, weil ihm vermeintlich privat irgendetwas Sorgen bereitet. Nicht, wenn er LeBron James heißt.

Auch dann nicht, wenn er müde ist, wie Dan LeBatard vom "Miami Herald" spekuliert: James spielt in diesen Playoffs über 44 Minuten im Schnitt, in Spiel fünf waren es gar 46. In der zweiten Hälfte bekam er nicht eine Verschnaufpause. Aber wenn es tatsächlich so wäre, dass er im vierten Viertel - regelmäßig - keine Kraft mehr hat, warum fordert er dann keine Ruhephasen?

Letztlich kann man die Sache drehen und wenden, wie man will: Am Ende bleibt immer wieder der Eindruck, dass James mit dem Druck nicht zurechtkommt und die mentale Stärke vermissen lässt.

Eine beunruhigende Überlegung, immerhin ist LeBron James der King, der selbsternannte "Chosen One". Und ohne Frage eines der größten, wenn nicht das größte, Basketballtalent aller Zeiten. Aber es ist derzeit die einzig plausible Erklärung für die Leistungen von LeBron James. Und es wäre ein nur allzu berechtigter Einwand, sollte ihn mal wieder jemand zu einem der besten Spieler aller Zeiten machen wollen.

Daten und Fakten: NBA-Playoffs 2011

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