NBA

Center-Talent auf der Therapiecouch

Von Maurice Kneisel
Center Roy Hibbert stürzte nach tollem Saisonstart im Dezember ins Formtief
© Getty

Im November galt er noch als aussichtsreichster Kandidat auf den Most-Improved-Player-Award, nur einen Monat später hagelte es harsche Kritik für Roy Hibbert. Fakt ist: Der Riese ist noch reichlich unkonstant, aber es schlummert ein enormes Potential in seinem nicht minder großen Körper. Um seine Probleme in den Griff zu bekommen, begab sich der Center der Indiana Pacers  sogar in psychologische Behandlung - und offenbarte dabei eine seiner größten Qualitäten.

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"Müssen wir jetzt über Roy Hibbert reden? Darauf habe ich weder heute Lust, noch morgen", stellte Orlando Magics Dwight Howard vor der Partie in Indiana Ende Januar klar. Wieso auch? Schließlich holte der Pacers-Center im laufenden Monat gerade mal durchschnittlich 7,4 Punkte und 6,7 Rebounds - wahrlich keine Stats, die seinen Gegenspielern die Knie schlottern lassen.

Und in der Partie kam es noch deutlich schlimmer: Gerade mal 15 Minuten stand Hibbert auf dem Parkett, versenkte dabei zwei von sechs Würfen und schnappte sich nur 2 Rebounds, während er ebenso viele Turnover produzierte. Sein Gegenüber Howard war hingegen stark aufgelegt und führte sein Team zum 111:96-Sieg. So klar, wie die Geschichte klingt, ist sie allerdings nicht.

In einer Liga, in der die meisten Mannschaften aus Mangel eines echten Centers einen Power Forward auf der Fünf starten lassen, ist der 2,18 Meter große und 126 Kilogramm schwere Hüne eine Ausnahmeerscheinung.

Angesichts seiner Statur und seines Potentials hat Hibbert die Chance, einer der kommenden Top-Center der NBA zu werden. Auch, da sich die übrigen Old-School-Fünfer wie Shaquille O'Neal, Yao Ming oder Zydrunas Ilgauskas aus Alters- oder Verletzungsgründen ihrem Karriereende nähern.

Einbruch im Dezember

Im November rockte der ehemalige Georgetown Hoya noch die Liga. 15,6 Punkte und 9,4 Rebounds sammelte er damals noch durchschnittlich - beides deutliche Karrierebestwerte in seiner dritten NBA-Saison. Kein Wunder, dass er zu dem Zeitpunkt als Top-Kandidat auf den Most-Improved-Player-Award gehandelt wurde.

Praktisch mit dem Monatswechsel kam jedoch der Einbruch, zwischen der zweiten Dezemberwoche und Ende Januar lief bei Hibbert nur noch wenig zusammen. Es schien, als sei der Druck zu groß geworden.

Entsprechend hart fiel auch die Kritik seines damailigen Trainers Jim O'Brien aus: "Ich finde nicht, dass Roy eine sehr gute Saison absolviert. Er kann auf einem deutlich höheren Level spielen, als das aktuell der Fall ist. Er ist noch nicht der Antreiber unserer Offensive, der er eines Tages werden kann. Und meine Erwartungen sind vermutlich nicht mal so hoch wie seine eigenen."

Hibbert ist sehr selbstkritisch - teilweise zu sehr. Nach einer schwachen Partie gegen die Washington Wizards Ende Dezember erklärte er gegenüber den Reportern: "So, wie ich momentan spiele, sollte man mich in die verdammte D-League schicken." Der Hüne war sichtlich frustriert und suchte nach Wegen raus aus der Krise.

Psychologen und Legenden

So erklärte er Anfang Januar gegenüber dem "Indianapolis Star", dass er fortan mit einem Sportpsychologen arbeiten wolle: "Jemanden aufzusuchen, um über seine Probleme zu sprechen, wird nicht mehr als etwas schlechtes empfunden. Andere Spieler haben diesen Weg bereits gewählt." Zudem bestätigte Hibbert, dass seine Probleme "mental sind. Ich muss weiter an mir arbeiten, um da raus zu kommen."

Bereits im vergangenen Sommer hatte er verbissen mit Hall of Famer Bill Walton trainiert, um sein Spiel zu verbessern. "Es ist eine Ehre für mich, mit einem so außergewöhnlich talentierten jungen Mann zu trainieren", so der frühere Teamkollege von Pacers-Präsident Larry Bird über seinen Schüler, "er hat enormes Potential."

Hibberts Bereitschaft, Hilfe zu suchen, belegt seinen Willen sowie seine professionelle Einstellung. Sein Siegergen hat er bereits während seiner Zeit am College bewiesen. 2007 führte er die Georgetown Hoyas gemeinsam mit dem heutigen Boston Celtic Jeff Green und FC-Bayern-Spielmacher Jonathan Wallace zur ersten Big-East-Championship seit 1992 sowie in die NCAA-Final-Four.

Wallace zeigte sich im SPOX-Interview von Roys Potential überzeugt: "Er wird noch ein super Spieler werden. Größe kann man niemandem beibringen, deshalb ist jeder 2,20-Meter-Mann automatisch eine Waffe. Vor allem, wenn er Roys Talent hat."

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"Es war echt komisch, ihm zuzusehen"

Der in Queens geborene Hibbert spielte die vollen vier Jahre an der Georgetown University, die bereits Center-Legenden wie Patrick Ewing, Dikembe Mutombo und Alonzo Mourning hervorbrachte. "Es war echt komisch, ihm zuzusehen", erinnert sich Green an den ersten Eindruck von seinem früheren Mitspieler, "damals konnte er sich einfach nicht so bewegen, wie man es von einem Basketballer erwartet."

Wenig schmeichelhaft war auch der Spitzname, den ihm der frühere Hoyas-Coach John Thompson Jr. während seines Freshman-Jahres verpasste: "Big Stiff", was soviel bedeutet wie "große Leiche".

Kein Wunder, denn Hibbert maß bereits mit 13 Jahren 2,08 Meter und musste sich erstmal an seinen Körper gewöhnen. Am College wirkte er unbeweglich und unathletisch - beides Bereiche, in denen sich der ehemalige Pick 17 mittlerweile deutlich verbessert hat, auch wenn seine Aktionen nach wie vor teilweise etwas unbedarft wirken.

Dementsprechend musste auch Thompson seine Meinung mittlerweile revidieren und eingestehen: "Ich habe noch nie erlebt, dass sich eine so steife Person zu einem so hervorragenden Spieler entwickelt." Im zweiten und dritten College-Jahr stiegen Hibberts Stats steil an, bevor er als Senior stagnierte.

Wachstumsschmerzen

Und auch in der NBA scheint er weiterhin von Zeit zu Zeit unter sogenannten "Growing Pains" zu leiden. Schmerzen, die ihn letztendlich aber nicht nur zu einem der köperlich größten, sondern auch zu einem der besten Center in der NBA machen könnten.

Seine Formschwankungen in der laufenden Saison sind für Wallace leicht zu erklären: "Er wurde in eine Rolle gedrängt, in der er die Pacers gemeinsam mit Danny Granger tragen sollte. Dafür ist er vielleicht noch nicht bereit. Um Abend für Abend als Go-To-Guy gegen Teams wie die Celtics, Magic und Heat zu bestehen, muss man aus einem besonderen Holz geschnitzt sein. Aber dahin wird er noch kommen, da bin ich sicher."

Keine Frage: Ein Roy Hibbert in Bestform ist für die Pacers Gold wert. Wie sehr, zeigte sich im Verlauf dieser Saison: Während Hibberts Formhoch zu Saisonstart legten die Pacers eine 9-7-Bilanz hin - dann folgte die Krise des Centers im Dezember und Januar, Indiana holte während dieser Zeitspanne nur 9 Siege bei 19 Niederlagen.

Im Februar ging es wieder bergauf, was sich erneut auch in der Bilanz (8-5) wiederspiegelte. Granger mag der Franchise Player des Teams aus Indianapolis sein, aber für den Erfolg der Mannschaft ist Hibbert nicht minder ausschlaggebend.

Feines Händchen für einen "Big Stiff"

Vor allem offensiv hat sich Hibbert wieder gefangen und erzielte seit dem 22. Januar in fünf Spielen 20 Punkte und mehr, nur neun Mal (in 30 Partien) scorte er nicht zweistellig. Auch seine Double-Double-Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: In der laufenden Spielzeit gelangen ihm bereits 17 Stück, in der gesamten Vorsaison nur zehn. Zudem hat er seine Foulprobleme der ersten beiden Jahre mittlerweile besser im Griff und steht entsprechend länger auf dem Court.

Hibbert hat zweifelsohne das Potential, um einer der dominantesten Big Men in der Liga zu werden. Neben seinen Stärken beim Rebounden und Shotblocking sowie seinem feinen Händchen beim Wurf besitzt er auch noch eine Qualität, die den meisten seiner Center-Kollegen völlig abgeht: Er ist ein hervorragender Passer mit einem feinen Auge für seine Mitspieler. "Ich will nicht jeden Wurf nehmen", erklärt Hibbert, "mir ist es auch wichtig, meine Mitspieler in Szene zu setzen."

Weiterhin ist er, allem Spott aufgrund seiner Statur zum Trotz, eben nicht steif, sondern mitunter erstaunlich agil. Dies zeigt sich besonders in seinem Angriffsspiel, das eben nicht nur aus Putback-Dunks besteht. Vielmehr verfügt Hibbert über einen feinen Fadeaway Jumper, mit dem er auch aus der Mitteldistanz punkten kann, sowie ein effizientes, wenn auch teilweise noch ausbaufähiges Arsenal an Post Moves.

"Roy ist unglaublich, bei seiner schieren Größe übersieht man leicht, was er alles kann", weiß Wallace aus eigener Erfahrung, "im Training habe ich gesehen, wie er sich den Rebound schnappt, selbst ans andere Ende des Courts läuft, mit Crossover-Dribblings seinen Gegner nass macht und punktet. Er kann auch Dreier schießen, und wenn man diese Fähigkeiten hat und gleichzeitig groß ist, dann kann man jeden Gegner vor Probleme stellen. Meiner Meinung nach hätte er den MIP-Award verdient."

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