NBA

Die NBA vor der Zerreißprobe

Von Haruka Gruber
Ligaboss David Stern steht mit der NBA vor entscheidenden Monaten
© Getty

Die jüngsten Trades von Carmelo Anthony und Deron Willliams beweisen: Die NBA-Superstars ballen sich in den Metropolen - was katastrophale Folgen für die gesamte Liga hat. Etliche Klubs stehen vor dem Nichts. Jetzt ist Commissioner David Stern gefordert. Ein Kommentar von Haruka Gruber.

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Er gehörte zu den ersten Gratulanten. Nur wenige Sekunden, nachdem Carmelo Anthonys Trade zu den Knicks vermeldet wurde, ließ Magic Johnson über Twitter wissen: "Dass @carmeloanthony in New York endet, ist gut für die NBA und für die Fans auf der ganzen Welt!"

Und gut für Anthonys Frau La La Vasquez, die keine Zeit vergeudete und die Ausstrahlung einer Reality-Sendung über den Umzug der Familie nach New York ankündigte, deren Titel mehr an die Teletubbies erinnert: "La La's Full Court Life."

Es bedarf keiner Bestätigung, um zu wissen, dass Anthony nicht nur aufgrund der sportlichen Perspektive aus Denver weg wollte, sondern eben auch wegen des Glitzerns und des Leuchtens einer Weltstadt. Diese beinahe kindliche Attitüde spricht auch aus seinem neuen Teamkollegen Amare Stoudemire, wenn dieser sagt: "Mit Melo wird es großartig. Zukünftig werden mehr Promis nach New York statt nach L.A. kommen."

Wertewandel bei den Superstars

Es ist offensichtlich: Unter den NBA-Superstars trat ein Wertewandel ein. Früher wechselten die besten Basketballer primär zu den Klubs, bei denen sie mit ihrem Talent derart heraus stachen, dass sie ihre Egozentrik pflegen konnten und so viele Würfe wie möglich bekamen.

In der heutigen Generation jedoch haben sich die Prioritäten verschoben und Individualstatistiken an Bedeutung verloren. Vielmehr sprechen sich die Superstars ab, ballen sich in einer Metropole, teilen sich die Würfe und den öffentlichen Druck und genießen gemeinsam die Annehmlichkeiten einer Großstadt. Siehe New York mit Melo und Stoudemire, siehe Miami, siehe Los Angeles, Boston und Chicago.

Dieser Zentralismus sorgt wegen der erhöhten Star-Dichte bei einzelnen Klubs für erhöhte Aufmerksamkeit, augenscheinlich etwa bei Melos Debüt gegen Milwaukee oder dem Hype nach dem Wechsel von LeBron James und Chris Bosh zu den Heat. Für die NBA als Ganzes wird dieses Phänomen jedoch negative, womöglich gravierende Konsequenzen haben.

Keine Stars für kleine Märkte

Die Grundidee der NBA ist recht simpel: Jedes Team soll wettbewerbsfähig sein. Schwache Mannschaften werden beispielsweise in Form von hohen Draft-Picks subventioniert, so dass zumindest mittelfristig die Liga ausgeglichen ist und sich keine Franchise dauerhaft in den Niederungen wiederfindet. Jenes System hat sich als recht praktikabel erwiesen - doch durch den Strom an Superstars weg von den Small- und Medium-Market-Franchises hin zu den Big-Market-Franchises ist dieses Gleichgewicht gefährdet.

Die Superstars verteilen sich nicht mehr homogen auf die 30 Teams, stattdessen konzentrieren sie sich auf einige wenige. Angefangen hatte die Landflucht mit Kevin Garnett (Minnesota), die Liste wurde fortgesetzt von Pau Gasol (Memphis), LeBron James (Cleveland), Chris Bosh (Toronto), Carlos Boozer (Utah) und zuletzt von Anthony (Denver) und Deron Williams (Utah).

New Jersey will auf die Welle

Boston verfügt nun über vier Spieler aus der A- und B-Kategorie (Garnett, Paul Pierce, Ray Allen, Rajon Rondo), Miami über drei (James, Dwyane Wade, Bosh), für die L.A. Lakers (Kobe Bryant, Gasol, Lamar Odom) und Chicago (Derrick Rose, Boozer, Joakim Noah) spielen je nach Betrachter zwei bis drei Stars.

New Jersey will mit dem Umzug nach Brooklyn ebenfalls vom Trend profitieren und verpflichtete mit Williams den ersten Hochkaräter. Macht zusammengerechnet fünf Teams, hinzu kommen Dallas und San Antonio, die seit Jahren erfolgreich eine Nische besetzen und ihre Leistungsträger auch wegen der familiären Atmosphäre vom Bleiben überzeugen können.

Eine Sonderstellung kommt Oklahoma City zu, das dank der Weitsicht ihres General-Manager-Genies Sam Presti den massiven Standortnachteil mit klugen Personalentscheidungen ausgleicht und mit Kevin Durant und Russell Westbrook zwei All-Stars erst gedraftet und später mit langfristigen Verträgen an sich gebunden hat.

Blog zum Trade-Wahnsinn: Schritt in die falsche Richtung?

Zwei drittel aller Teams droht Bedeutungslosigkeit

Orlando (Dwight Howard), Atlanta (Josh Smith, Al Horford) und Lakers-Stadtrivale Clippers (Blake Griffin) befinden sich noch in einem Zwischenstadium, den verbleibenden 19 (!) Klubs droht hingegen das Absinken in die Bedeutungslosigkeit. Stellvertretend stehen Cleveland (ohne James), Utah (Williams, Boozer) und Houston (Yao Ming, Tracy McGrady), die vor nicht allzu langer Zeit zu den bestimmenden Franchises gehörten, nun jedoch im nichtssagenden Mittelmaß oder im Falle der Cavs am Bodensatz angekommen sind.

Und ein Ende der besorgniserregenden Entwicklung ist nicht in Sicht. In New Orleans glaubt kaum jemand an den langfristigen Verbleib von Chris Paul, David West wiederum wird Free Agent. Es ist vermutlich auch kein Zufall, dass jüngst Orlandos Howard und Washingtons John Wall öffentlich erklärten, wie unzufrieden sie doch mit den Leistungen der Mitspieler seien, und damit zumindest in Kauf nehmen, dass über einen Wechsel spekuliert wird.

Auf James' Aussage hin, dass er auch Double-Double-Maschine Kevin Love gerne bei einer besseren Mannschaft sehen würde als Minnesota, sagte dieser vielsagend: "Das sind interessante Kommentare. Ich weiß, dass viele ähnliche Gedanken haben."

Kings nach L.A.?

Über den Markt scheint sich das Problem der Superstar-Konglomerate nicht mehr regulieren zu lassen. Die Klubs aus den Metropolen üben eine ungebremste Sogwirkung aus, die kleineren Franchises haben dem kaum etwas entgegenzusetzen, wodurch für sie eine verhängnisvolle Kettenreaktion einsetzt. Ohne Stars kommen keine Zuschauer, ohne  Zuschauer fehlen die Einnahmen, ohne die Einnahmen steht die Franchise vor dem Ruin. New Orleans musste von der NBA übernommen werden, weil sich keine Abnehmer fanden. Ähnlich desolat sieht es in Detroit und Sacramento aus.

Die Kings jedoch treten nun die Flucht nach vorne an und planen den Umzug nach Anaheim. Ob es jedoch Sinn macht, dass im Großraum Los Angeles ein dritter NBA-Klub ansässig ist, darf bezweifelt werden.

Der NBA droht eine Zweiklassen-Gesellschaft - entsprechend gefragt ist nun Commissioner David Stern. Im Sommer stehen mit der Spielergewerkschaft die entscheidenden Verhandlungen wegen eines neuen Mantel-Tarifvertrags an.

Stern und die Klub-Besitzer haben die Gefahr immerhin erkannt und das Thema auf die Agenda gesetzt. Es gibt einige Ideen wie etwa das aus der NFL bekannte Franchise Tag, wonach ein Spieler auch gegen seinen Willen für ein Jahr bei einem Klub bleiben muss, dafür aber sehr gut entlohnt wird. Ein Ansatzpunkt, um die Zerreißprobe zu überstehen.

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