NBA

Der schlechteste Publikumsliebling aller Zeiten

Von Martin Gödderz
Stolz präsentiert Brian Scalabrine seinen NBA-Championship-Ring von 2008
© Getty

Wenn er das Feld im TD Garden betritt, erheben sich die Zuschauer von den Sitzen. Verwandelt er einen Wurfversuch, erntet er frenetische Begeisterungsstürme von allen Bostoner Fans. Die Rede ist nicht etwa von Paul Pierce oder Kevin Garnett, sondern von Brian Scalabrine, dem schlechtesten Spieler der Celtics-Geschichte.

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Wir schreiben das Jahr 2008. Mit der neu formierten Mannschaft um die drei großen Stars Kevin Garnett, Paul Pierce und Ray Allen haben die Boston Celtics die NBA-Finals gegen die Los Angeles Lakers gewonnen. Zum ersten Mal seit 1986 hatte der NBA-Rekordchampion damit wieder eine Meisterschaft geholt.

Brian Scalabrine stand in den Finals keine Sekunde auf dem Feld. In den ganzen Playoffs kam die Nummer 44 der Celtics nicht zum Einsatz, dabei war er topfit. Zumindest war er so fit, wie es ein bleicher, rothaariger und langsamer Basketballspieler eben sein kann.

Doch Scal, wie er von seinen zahlreichen Fans genannt wird, saß die ganze Zeit auf der Bank. Alles andere hätte die Chancen auf die Meisterschaft wohl auch geschmälert.

In 30 Jahren MVP

Trotzdem scharten sich nach den Finals die Journalisten um den 2,06 Meter großen Power Forward.

Auf der Pressekonferenz fragten sie ihn, wie er damit umgehen würde, dass er die ganze Zeit nur auf der Bank gesessen hätte und somit eigentlich keinen Anteil am Titel gehabt hätte.

Scalabrines Antwort überraschte die Presseleute. "Das ist nicht so schwer. Vielleicht sagt ihr jetzt, dass ich keine Sekunde gespielt habe, aber in fünf Jahren habt ihr das vergessen. In zehn Jahren bin ich allerdings noch immer ein Champion. In zwanzig Jahren werde ich meinen Kindern erzählen, dass ich von Beginn an gespielt habe. Und in dreißig Jahren werde ich ihnen sagen, dass ich den MVP-Award geholt habe. Ich bin also nicht wirklich traurig, dass ich die ganze Zeit an der Seitenlinie saß."

Schlechtester Celtic aller Zeiten

Zwei Jahre später und nach fünf Jahren in Boston ist die Zukunft von Scalabrine, der in diesem Sommer Free Agent wurde, noch offen. Wahrscheinlich folgt er aber dem ehemaligen Defensiv-Coach der Celtics, Tom Thibodeau, zu den Chicago Bulls. Nicht wenige Menschen glaubten, dass Scalabrine kein neues Team finden würde. Schließlich hat der Rotschopf eigentlich nichts, was einen guten Basketballspieler auszeichnet. Kaum ein Spieler ist langsamer und so entsetzlich unathletisch. Außerdem gibt es fast keinen Big Man, der weniger Rebounds holt und so schlecht im Low Post agiert.

So kommt es nicht von ungefähr, dass Scal in diesen fünf Jahren zum schlechtesten Spieler in der langen Franchisegeschichte der Boston Celtics avancierte. Wenn ein Power Forward durchschnittlich mehr Fouls als Rebounds holt, dann kann schon etwas nicht stimmen. Schließlich ist die Foulgrenze schon bei sechs Fouls erreicht und die Arbeit unter dem Korb gehört zumeist zum elementaren Bestandteil eines Big Man. Die 38 Prozent Würfe, die der Kalifornier in fünf Jahren bei den Celtics im Durchschnitt im Korb unterbrachte, sind ebenfalls unterirdisch.

Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass "ESPN" den mittlerweile 32-Jährigen in einer Rangliste der schlechtesten Celtics-Spieler an erster Stelle sieht, vor so klangvollen Namen wie Lou Tsioropoulos und Andy Phillip.

Gleichzeitig wurde der 35. Pick des NBA-Drafts 2001 aber zum Liebling der Massen. Da liegt natürlich die Frage auf der Hand, woher die unvergleichliche Liebe eines Publikums zu einem Bankwärmer kommt - und warum Celtics-Coach Doc Rivers ihn am liebsten in Boston behalten würde.

So bleich wie Larry Bird

Antworten liefert in Teilen schon die legendäre Pressekonferenz von 2008. Scalabrine weiß, dass seine Fähigkeiten als Basketballspieler arg limitiert sind. Er bildet sich nicht ein, überragend gut zu sein und nimmt sich selbst nicht allzu ernst.

Er weiß, dass er dem Team nur durch seinen Kampfgeist und seine Entertainer-Qualitäten helfen kann. Genau das macht er so gut wie kaum ein Zweiter und beeinflusst die Teamchemie damit massiv.

Alleine der seltene Anblick von Scalabrine, wenn er den Court betritt, ist mit nichts zu vergleichen. Sein schwerer Körper erhebt sich langsam von der Bank, die knallroten Haare sind mit einem unvorteilhaften weißen Stirnband umhüllt.

Der 2,06 Meter große Forward sieht allem ähnlich, nur keinem Basketballspieler. Der letzte Celtics-Spieler, der so durch und durch bleich war, spielte in den 80ern in Boston und heißt Larry Bird.

Einer aus dem Volk

Mit seinen roten Haaren, dem nicht zu übersehenden Übergewicht und den nicht vorhandenen Muskeln ist Scalabrine das Ebenbild eines Bostoner Durchschnitts-Fans mit irischer Abstammung. Genau so einen wie Scal findet man auf den Tribünen des TD Garden in Scharen.

Meistens mit einer Tüte Popcorn und einem frischen Bier in der Hand feuern diese Menschen die Celtics an. Es fällt natürlich leichter, sich mit einem Spieler zu identifizieren, der sich vom Aussehen nicht von den Fans unterscheidet.

Im letztjährigen Roster der Celtics war Scalabrine der einzige weiße Spieler. Paradoxerweise war er auch der Spieler, der für die gute Stimmung sorgte. Der Mann, der an der Seitenlinie tanzte und mit seiner lockeren Art den Spaß ins Team brachte. Er war einer der Anführer, obwohl er kaum spielte.

Ein Rap und Breakdance-Moves

Scalabrines Tanzeinlagen sind schon längst Kult in Boston. Nach wichtigen Körben der Celtics packt Scalabrine stets seine lässigen Breakdance-Moves aus, die bei einem bleichen Rotschopf eben nur lustig aussehen.

Genauso lustig wie Scalabrines Rap gegen LeBron James, in dem er den Neu-Heat disst. Passagen wie "Du kaust dir auf den Fingern, ich beisse dir in den Arm" oder "Ich nutze fünf Fouls für dein Gesicht und eins für deine Seele" wirken umso witziger, wenn man bedenkt, dass Scalabrine in einem NBA-Spiel nicht einmal den Schatten von James sieht und sich dessen auch selbst bewusst ist.

Bester Beweis für Scalabrines basketballerisches Unvermögen ist eine Szene aus der letzten Saison. Im Spiel gegen die Portland Trail Blazers sind noch vier Sekunden im dritten Viertel zu spielen. Die Celtics führen deutlich mit 73:59. In genau solchen Situationen darf Scal auf das Feld.

Die Celtics haben einen Einwurf in der eigenen Hälfte, den Scalabrine ausführt. Einen Meter neben ihm steht Spielmacher Rajon Rondo völlig ungedeckt. Doch Scalabrine wirft den Ball in die Füße der weit entfernten Trail Blazers. Einfach so.

Obamas Wahlkampf und Scalabrines Kopf

Die ironische Art und Weise, mit der Scal auf seine Schwächen reagiert und die Leidenschaft, die Scalabrine von der Bank bringt, begeistern die Fans und veranlassen diese zu verrückten Ideen.

Vor den Spielen der Celtics waren im letzten Jahr nicht etwa die Trikots von Stars wie Paul Pierce oder Kevin Garnett der Verkaufsschlager, sondern T-Shirts mit der an den Obama-Wahlkampf angelehnten Aufschrift "Hope" und Scalabrines Kopf als Motiv. Sogar ein eigener Song wurde Scalabrine gewidmet. Dieser handelt "vom weißen Typ im Celtics-Outfit, der nie spielt."

Im diesjährigen Free-Agent-Sommer analysierten zahlreiche Blogs die Wechselaussichten der besten Spieler. Darunter die von Stars wie LeBron James, Chris Bosh, Carlos Boozer und - natürlich - Brian Scalabrine.

Nicht selten wird Scalabrine als entscheidender Faktor für die Celtics-Meisterschaft 2008 gesehen. Selbstverständlich hat der Publikumsliebing auch einen eigenen Fanklub, auf dessen Homepage alle Menschen beschreiben können, was sie an ihrem Idol lieben.

Boston-Scalabrine-Ehe geht zu Ende

Nicht zuletzt Scalabrine war es, der den TD Garden selbst bei einem stinknormalen Spiel der Regular Season zum Beben bringen konnte, wenn er das Feld betrat oder an der Seitenlinie durchdrehte.

Aller Voraussicht nach geht die Zeit von Scalabrine in Boston mit Beginn der neuen Saison zu Ende. Die Fans in Boston werden ihn vermissen. Und nicht nur die: "Er ist der selbstloseste Spieler, den ich je trainiert habe. Ich hätte ihn eigentlich gerne weiter um mich", sagte Coach Rivers unlängst.

Denn er hielt die Plätze auf der Bank eben nicht nur mürrisch warm, sondern lebte für das Team und brachte Freude in die Kabine.

Scalabrine wird auch in den kommenden Jahren kein Star mehr werden. Eines aber hat der Fan-Liebling vielen Spielern voraus. Er trägt einen NBA-Championship-Ring an seinem Finger - Chris Paul, LeBron James oder Dirk Nowitzki nicht.

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