NBA

Die Heulsuse entscheidet die NBA-Finals

Von Haruka Gruber
Glen "Big Baby" Davis (r.) erzielt in den Finals im Schnitt 6,8 Punkte und holt 5,0 Rebounds
© Getty

Er gilt als Supertalent und machte als 15-Jähriger beim Wrestling Shaq fertig - dennoch zweifelt jeder an Glen Davis. Beim Showdown in Los Angeles setzen die Boston Celtics jedoch auf ihr Big Baby.

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Es war ein warmer Sommertag in Louisiana 2001, als sich für einen damals 15-jährigen Jungen das Leben für immer ändern sollte.

In seiner Heimatstadt Baton Rouge gehörte der für sein Alter so große und schwere Teenager, der sich gleichzeitig mit einer ungeheuren Anmut zu bewegen wusste, zu den größten Sport-Talenten - doch erst an diesem Sommertag verstanden die Anwesenden, welch immenses Potenzial in ihm steckt.

Es war ein eher zufälliger Besuch, den der pubertierende Glen "Big Baby" Davis einem Bekannten abstattete, der auf dem Campus der Louisiana State University (LSU) wohnte. Ebenfalls bei der Feier in einem Hinterhof auf dem College-Gelände anwesend war kein Geringerer als NBA-Superstar und LSU-Absolvent Shaquille O'Neal, das 29-jährige Idol von Davis.

Davis stellte sich vor, beide unterhielten sich - und beide entschlossen sich aus der Laune des Moments heraus, miteinander zu wrestlen. Zum Leidwesen des sichtlich überraschten 150-Kilo-Kolosses Shaq, der vom 14 Jahre jüngeren Davis schnell hochgehoben und auf den Boden geschmettert wurde.

Davis ist der X-Faktor in Spiel 7

Neun Jahre später steht Davis erneut vor einem Moment, der sein Leben von Grund auf ändern könnte. Einem Moment, der die Karriere eines Basketballers für immer definieren könnte.

Wenn die Los Angeles Lakers und die Boston Celtics zum entscheidenden siebten Final-Spiel in der Nacht auf Freitag (3 Uhr im LIVESCORE) antreten, hängt der Ausgang des Endspiels zwischen den beiden ewigen Erzrivalen wesentlich von Davis' Leistung ab.

Denn nach Kendrick Perkins' Kreuzbandriss in Spiel 6 muss Bostons Coach Doc Rivers zwangsläufig auf den unzuverlässigen, aber gleichzeitig ungemein talentierten Davis setzen, um den Ausfall seines Starting-Centers zu kompensieren. Offen ist nur, ob der 24-Jährige in der ersten Fünf steht oder als wichtigster Spieler von der Bank kommt.

"Hör auf, rumzuheulen"

"Wegen solchen Herausforderungen spiele ich Basketball. Ich verspreche euch: Ihr werdet euch für immer an dieses Spiel 7 erinnern. Und ich verspreche euch: Am Ende werden die Celtics die Trophäe hochhalten. Ich kann gar nicht abwarten, dass es losgeht", kündigt Davis in seiner so typisch kindisch-unüberlegten Art an.

Nicht umsonst nennen ihn in Boston alle "Big Baby". Das Riesen-Baby.

Den Spitznamen bekam Davis bereits im Alter von neun. Er wollte nur mit seinen Altersgenossen Football spielen, aber weil er die anderen körperlich überragte, wurde er in eine Mannschaft mit Elf- und Zwölfjährigen gesteckt, was ihm gar nicht behagte.

Die Älteren würden ihn hänseln und sich lustig machen, klagte er fortwährend - weswegen ihn sein genervter Coach vor allen irgendwann anschrie: "Hör verdammt noch mal auf, rumzuheulen, du Riesen-Baby."

Drogen und Diebstahl: Schwierige Kindheit

Womöglich reagierte Davis derart feinfühlig, weil der Sport für lange Zeit eine der wenigen Konstanten in seinem sonst chaotischen Leben war. Seine Mutter Tonya war eine Drogensüchtige, die ihn und seine kleine Schwester LaJazzia manchmal für Tage alleine ließ, so dass die zwei Geschwister stehlen gehen mussten, um etwas zu essen. Später lebte Davis bei einer Pflegefamilie, in einem Heim und bei den Großeltern.

Die eingangs erwähnte Catch-Einlage mit Shaq sorgte jedoch für die Wende in seinem Leben. Der Superstar war derart von Davis' Hingabe und Energie beeindruckt, dass er ihn mit Dale Brown, dem ehemaligen Coach des Basketball-Teams von LSU, bekanntmachte.

Davis wurde 2004 von LSU rekrutiert, avancierte schnell zum neuen Aushängeschild der Mannschaft und führte sie 2006 erstmals seit 20 Jahren wieder ins Final Four.

Mavericks übersehen Davis

Trotz des Erfolgs und der basketballerischen Begabung wird er von den NBA-Teams jedoch weitgehend ignoriert. Beim Draft 2007 wird er erst an Position 35 von Seattle gezogen und im Rahmen des Ray-Allen-Megatrades an Boston als unbedeutende Beigabe weitergereicht.

An 34. Stelle entschieden sich beispielsweise die Dallas Mavericks für einen gewissen Nick Fazekas, mittlerweile in den Niederungen des internationalen Basketballs untergetaucht.

Der Grund für die Zurückhaltung ist offensichtlich: Big Baby heißt nicht nur so, er sei auch verzogen, launisch und unreif, so die Meinung der meisten Manager. Die Celtics jedoch sahen vor allem ein Basketball-Juwel, das die seltene Mischung aus Kraft, Schnelligkeit, Ballfertigkeit und Wurfgefühl verkörpert. "Er ist einer der ungewöhnlichsten Spieler der NBA", sagt Lakers-Coach Phil Jackson.

Der etwas füllige Power Forward/Center schaffte es bei den Celtics im Rookie-Jahr sofort in die Rotation, in der Vorsaison gehörte er mit 21,5 Minuten zu den meist eingesetzten Bankspielern und in den diesjährigen Finals war er vor allem in Spiel 4 mit 18 Punkten hauptverantwortlich für Bostons Erfolg.

"Er muss erwachsen werden"

Wären nur nicht die unzähligen Geschichten abseits des eigentlichen Basketball-Geschehens, die seit Jahren an Davis' Reife und der mentalen Stabilität zweifeln lassen.

2008 etwa erzürnte er Teamleader Kevin Garnett derart, dass dieser ihn in einer Auszeit kräftig beschimpfte. Der sensible Davis reagierte, wie ein Big Baby wohl reagiert: Vor laufender Kamera fing er auf der Auswechselbank sitzend an zu weinen.

Wenige Tage vor dieser Saison balgte er im Spaß mit einem Freund - und brach sich dabei einen Daumen. 27 Spiele Pause. "Er hat weiterhin seine Phasen und er hat sich den Namen 'Big Baby' redlich verdient. Aber dieser Unfall hat ihm hoffentlich geholfen zu verstehen, dass er erwachsen werden muss", sagt Rivers.

Personifizierte Unbeständigkeit

Wegen der Verletzung verlor Davis zunächst den Anschluss und legte in der restlichen Regular Season durchweg schwächere Statistiken als im Vorjahr auf. In den Playoffs aber knüpft er wieder an die starke Postseason 2009 an.

Die Zahlen sind zwar nicht beeindruckend (Playoffs: 7,3 Punkte und 4,3 Rebounds in 20,1 Minuten) und nach wie vor ist seine Unbeständigkeit frappierend - in Spiel 5 und 6 blieb er komplett punktlos -, dennoch wird Davis in der siebten Final-Partie in L.A. eine Schlüsselrolle spielen. Nicht nur, weil Perkins verletzt und Wallace außer Form ist.

Die perfekte Waffe gegen L.A.

Davis verfügt über einen butterweichen Wurf, kann jedoch auch direkt am Brett abschließen und holt ungemein viele Offensiv-Rebounds (2,5 gegen die Lakers). Die perfekte Waffe also, um dem Lakers-Frontcourt bestehend aus dem angeschlagenen Center Andrew Bynum sowie die unbeständigen Pau Gasol und Lamar Odom vor Probleme zu stellen.

"Es ist eine Frage des Willens. Ich denke nicht daran, dass Kobe Bryant alle Würfe trifft oder dass wir verlieren könnten. Es geht nur darum, für sich herauszufinden, was man zum Triumph der Celtics beitragen kann", sagt Davis. "In solchen Spielen werden Legenden geboren."

Angefangen hat alles aber an einem warmen Sommertag in Louisiana vor neun Jahren.

Perkins fehlt Boston im entscheidenden Spiel