NBA

Stockalone reloaded

Von Florian Regelmann
Deron Williams kommt in dieser Saison auf durschnittlich 18,4 Punkte pro Spiel
© Getty

Die Utah Jazz sind seit Wochen eines der heißesten Teams der NBA. Man nehme einen der besten Spielmacher der Welt, einen Top-Coach und einen Auferstandenen - fertig ist ein Titelkandidat? SPOX analysiert das Erfolgsrezept.

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Es ist noch gar nicht so lange her, da sah es so aus, als ob die Utah Jazz in dieser Saison in der ultra-kompetitiven Western Conference die Playoffs verpassen könnten. Am 9. Januar lag Utah mit einer bescheidenen Bilanz von 19 Siegen und 17 Niederlagen im Westen nur auf Rang zehn. Enttäuschend.

Seitdem haben die Jazz 21 Spiele absolviert - und 18 gewonnen. Von einem Team, das sich in einem Strichkampf um einen der letzten Playoff-Plätze befand, ist einer der potenziellen Herausforderer der Los Angeles Lakers geworden.

Wie ist diese wundersam erscheinende Wandlung, die das notorisch auswärtsschwache Utah jetzt auch plötzlich in fremden Hallen groß auftrumpfen lässt, zu erklären? Zu allererst ist sie mit dem Namen Andrei Kirilenko verbunden.

AK-47 is back!

Der Russe gehörte vor einigen Jahren mal in eine Kategorie mit Dirk Nowitzki und Pau Gasol. AK-47 hatte nicht nur einen der besten Spitznamen, er war dank seiner All-Round-Skills einer der besten Spieler der Liga. Ein All-Star.

Doch es folgte der Absturz. Kirilenko war oft verletzt. Kirilenko stritt sich oft mit Headcoach Jerry Sloan. Kirilenko war nur noch ein selten überzeugender Bankspieler mit einem fetten Vertrag, der ihm in dieser Saison stolze 16,45 Millionen Dollar einbringt.

Auch in dieser Saison war es um den 29-Jährigen lange still. Bis C. J. Miles vor dem Spiel gegen Miami am 11. Januar mit einer Virusinfektion ausfiel und Kirilenko wieder in die Starting Five rückte. Es war der Beginn des Aufschwungs.

"Kirilenko ist unser X-Faktor"

Kirilenko spielt seit Wochen wieder wie der alte AK-47. Wie ein All-Star. Wie jemand, der sein hohes Gehalt verdient. Kirilenko fegt wie in besten Zeiten wie ein Derwisch über das Feld, zieht unglaublich aggressiv zum Korb und füllt das Boxscore mit Punkten, Rebounds, Assists, Steals und Blocks. Dazu spielt er eine exzellente Defense.

"Meiner Meinung nach ist er unser X-Faktor. Wenn er gut spielt, sind wir unschlagbar", sagt Carlos Boozer über seinen Teamkollegen und Deron Williams ergänzt: "Ich kann ihn gar nicht hoch genug loben für das, was er offensiv und defensiv für uns leistet. Er spielt einfach wie ein All-Star."

Seine besten Spiele machte Kirilenko, als Boozer verletzt ausfiel und er mehr Zeit auf der Power-Forward-Position bekam. Seiner ohne Zweifel besten Position, die er auch in der russischen Nationalmannschaft spielt.

Dirk Nowitzki nahm er beispielsweise beim Sieg gegen Dallas im letzten Viertel so komplett aus dem Spiel, wie es dem Deutschen selten passiert. Klar ist aber auch, dass Kirilenko in Utah als kleiner Flügel gebraucht wird und auch das funktionieren kann. Die Power-Forward-Position ist mit Boozer und Top-Backup Paul Millsap schließlich bestens besetzt.

Boozer mit All-Star-Saison

Neben Kirilenko, der zuletzt wegen Rückenproblemen aussetzen musste, gibt es aber auch noch andere Gründe dafür, dass der Jazz-Express ins Rollen gekommen ist. Einen ebenso hohen Anteil hat Boozer, der de facto eine All-Star-Saison absolviert, auch wenn er nicht beim All-Star-Game dabei war.

Im Sommer hätte es kaum jemand für möglich gehalten, dass die Ehe zwischen Boozer und den Jazz noch zu kitten ist. Boozer kokettierte offen mit einem Trade und nannte Chicago oder Miami als mögliche neue Wunscharbeitgeber.

Doch jetzt ist Boozer immer noch in Utah, die Fans haben ihn wieder akzeptiert, und er kann sich sogar vorstellen, über die Saison hinaus zu bleiben.

Die Top-3-Point-Guards der NBA

"Ich bin stolz, ein Teil dieses Teams sein zu dürfen und hoffe, dass ich die Option haben werde, hier zu bleiben", sagt Boozer, der nach der Saison ein heißer Free Agent auf dem Markt sein wird.

Ein Grund, der für ein Bleiben in Utah spricht, ist die Tatsache, dass er aktuell mit einem der Top-3-Point-Guards der NBA zusammen spielen darf. Kirilenko ist wichtig, Boozer ist wichtig, aber der Schlüssel zu allem heißt Deron Williams.

Williams ist nicht zu ersetzen

Der 25-Jährige ist ein Franchise-Player, wie er im Buche steht. Williams kann schießen, passen, zum Korb ziehen, finishen und hat die körperlichen Voraussetzungen, um jeden Guard der Welt zu verteidigen. Kurzum: Er ist nicht zu ersetzen.

Normalerweise müssten die Verantwortlichen in Utah also alles versuchen, um D-Will langfristig zu binden, aber zuletzt hat man den Spielmacher nicht glücklich gemacht. Mitten in die Siegesserie fiel der Ärger um Ronnie Brewer.

Der Trade von Williams' "kleinem Bruder" nach Memphis, der so wie der Trade von Eric Maynor nach Oklahoma City zuvor auch finanzielle Gründe hatte, war ein Schock. Die Art und Weise dazu zweifelhaft. Die Mannschaft saß bereits im Flieger, als Brewer mitgeteilt wurde, dass er seine Tasche packen, das Flugzeug verlassen und sich einen Flug nach Memphis suchen solle. Für die Verabschiedung von seinem Freund blieben Williams zwei Sekunden.

Ärger um den kleinen Bruder

"Wenn wir schon einen Trade machen, hätte ich gedacht, dass er etwas anders aussehen würde. Überall im Westen verstärken sich die Teams und wir werden schwächer", beklagte sich Williams öffentlich. Wird der Trade einen Einfluss darauf haben, wie lange er noch das Jazz-Trikot trägt?

"Deshalb habe ich nur einen Dreijahresvertrag unterschrieben", sagt Williams und lässt damit alle Jazz-Fans zusammenzucken. Dennoch sollten sie sich nicht zu große Sorgen machen. Williams wird sich wieder beruhigen. Rein sportlich tut der Abgang von Brewer nämlich nicht weh. Zwar war Brewer seit langem als Shooting Guard ein fester Bestandteil der ersten Fünf, aber seine Produktion ging immer weiter zurück.

Mastermind Jerry Sloan

Hinzu kommt, dass Utah eines der am tiefsten besetzten Teams der NBA ist. Vor allem auch auf der Flügelposition. Für Brewer ist mit Wesley Matthews ein starker Rookie in die Starting Five gerückt, der zu den großen Überraschungen der Saison zählt. Von der Bank kommt mit Miles und Kyle Korver auch noch jede Menge Firepower, die Headcoach Jerry Sloan zur Verfügung steht.

Dieser Jerry Sloan ist überhaupt so eine Geschichte. Ein Mann, der seit über 20 Jahren (!) in Utah herausragende Arbeit leistet, aber warum auch immer noch nie zum Coach of the Year gewählt wurde. Er hätte es längst verdient gehabt.

Sloan ist ein Mastermind, das Utah zu der Franchise gemacht hat, die sie heute ist. Wer sich Videokassetten von den NBA-Finals 1997 und 1998 anschaut, als Utah zweimal den Chicago Bulls unterlag, und wer sich dann Videos von aktuellen Jazz-Spielen anschaut, der wird erkennen, dass statt Stockton, Malone, Hornacek, Russell oder Eisley jetzt Williams, Boozer, Kirilenko, Okur oder Price auf dem Feld stehen, aber das System ist immer noch dasselbe.

Die beste Offensiv-Maschine der Liga

Utah hat nach wie vor eine der am besten laufenden Offensiv-Maschinerien der Liga. Während bei vielen NBA-Spielen zu beobachten ist, wie ein Spieler den Ball hat und die vier anderen nur herumstehen und zuschauen, sind die Jazz das Team, das den besten Team-Basketball spielt.

Das Stichwort dazu: Flex Offense. Der Gedanke dahinter: Jeder ist (fast) gleich. Williams ist praktisch immer der Initiator, aber jeder Spieler stellt Screens und bekommt Screens gestellt, jeder Spieler passt und empfängt Pässe. Jeder ist ständig in Bewegung und hat immer die Möglichkeit, zum Abschluss zu kommen. Niemand ist an seine traditionelle Rolle gebunden. Für den Gegner ist es in der Konsequenz extrem schwer, Utah zu verteidigen.

Auch wenn Williams und Boozer nicht an Stockalone herankommen, ist es offensichtlich, dass die neuen Jazz-Stars das Pick-and-Roll-Spiel genauso perfekt beherrschen wie die Jazz-Legenden von früher.

Reif für den Titel?

Es ist deshalb auch kein Wunder, dass die Jazz die höchste Trefferquote (49 Prozent) aus dem Feld in der gesamten Liga aufweisen. Teilweise ist es eine reine Korbleger-Show, die Utah aufzieht. Kein Team kommt außerdem als Team pro Spiel auch nur annähernd auf so viele Assists (26).

Ist Utah also reif für einen Angriff auf den Titel? Schwer zu sagen. Die Lakers sind nach wie vor das Nonplusultra im Westen und im Normalfall zu stark. Auch die Nuggets scheinen einen Tick vor den Jazz zu stehen. Aber eines ist auch klar: Utah hat das Potenzial dazu, in den Playoffs ein extrem unangenehmer Gegner zu sein. Für jeden.

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