NFL

Früher warf er Gurkengläser

Von Florian Bogner
Durch den Sieg über die Eagles erreichte Kurt Warner mit seinen Cardinals den Super Bowl
© Getty

Kurt Warner, 37, hat die Arizona Cardinals in den Super Bowl geführt. Dabei hat der alternde Quarterback einen der skurrilsten Werdegänge der Football-Geschichte hinter sich, der durchaus Stoff für zwei Hollywood-Filme liefern würde.

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Böse Zungen behaupten, Kurt Warner habe noch persönliche Erinnerungen daran. Der letzte Triumph der Cardinals ist gemeint, damals, als der Super Bowl noch nicht Super Bowl hieß und die Arizona Cardinals noch Chicago Cardinals. 1947 war das, und die Zungen sind wirklich sehr böse, wenn man bedenkt, dass Warner heute erst 37 Jahre alt ist.

Jedenfalls ist es herzzerreißende 61 Jahre her, dass es für die Cardinals um mehr ging, als eine Saison einfach nur mit Anstand zu Ende zu bringen und damit die Cards-Fans davor zu behüten, für die lange Off-Season nicht zur Zielscheibe alltäglicher Mitleidsbekundungen zu werden.

Seit der Verfrachtung nach Phoenix 1988 - und daran erinnert sich der heute 37-jährige Quarterback nun wirklich - haben die Cardinals nie das Endspiel um den Football-Olymp erreicht und sogar, noch schlimmer, nur einmal Playoff-Luft schnuppern dürfen.

Und dann kommt dieser alte, verschrobene Quarterback und versetzte eine ganze Stadt, einen ganzen Staat in Ekstase.

Gestern Harder, heute Warner

Die Helden von 1947 trugen imposante Namen wie Elmer Angsman, Charly Trippi oder Pat Harder, heute heißen sie Larry Fitzgerald, Adrian Wilson und eben Kurt Warner.

Gerade letzterer hat eine Karriere hinter sich, die man selbst den besten Drehbuchschreibern Hollywoods allenfalls mit den Prädikaten marginal glaubwürdig und vor Schmalz triefend abnehmen würde. Warner war nämlich für eine unverhältnismäßig lange Zeit gelinde gesagt ein Niemand.

Anfang der Neunziger war Warner noch ein ganz normaler Student und spielte nicht einmal regelmäßig Football. Erst 1993, in seinem Senior-Jahr, kam er am Northern-Iowa-College in der Startformation zum Einsatz, blieb von den NFL-Scouts aber hartnäckig unentdeckt.

"Ich warf so präzise wie Favre"

Als "undrafted free agent" wurde er ein Jahr später zum Trainingscamp der Green Bay Packers eingeladen - und fiel durch. Warner sagt heute dennoch: "An diesem Tag wurden meine Träume von einer Profi-Karriere Wirklichkeit. Ich habe damals nicht gedacht, ich wäre nicht gut genug für die NFL. Im Gegenteil, ich bin da weggegangen und hatte den festen Glauben daran, dass ich das Zeug dazu hatte, auf diesem Niveau zu bestehen. Meine Pässe waren immerhin genau so präzise wie die von Brett Favre."

Mit dieser Meinung stand er allerdings erstmal alleine da. Nach dem College-Abschluss kam die wohl dunkelste Zeit auf Warner zu. Dieses Kapitel würde in einem Hollywoodstreifen wohl mit mehlig melancholischer Musik unterlegt werden und der Warner-Darsteller würde immerzu traurig gucken.

Warner arbeitete nämlich in dieser Zeit in einem Supermarkt namens Hy-Vee. Räumte in der Nachtschicht Regale ein. Nahm ausgelaufenes Gurkenwasser mit einem Mob vom Boden auf. Und wurde höchstens mit dem "Mitarbeiter des Monats"-Award ausgezeichnet statt irgendwelcher Football-Trophäen.

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Umweg über den Parkplatz

Hätte man dem Regaleinräumer-Warner damals gesagt, er würde in den nächsten 15 Jahren dreimal als Starting-Quarterback im Super Bowl stehen, hätte er wohl ein Gurkenglas nach einem geworfen. Dennoch, die Hoffnung blieb. "In den paar Wochen, in denen ich für 5,50 US-Dollar die Stunde im Supermarkt gearbeitet habe, habe ich nie gemeckert. Obwohl ich ein Niemand war, hatte ich nie das Gefühl ich würde NICHT in die NFL gehören."

Seine NFL hieß in der Folge jedoch erstmals NFL Europe. Nach zwei Saisons in der Hallen-Liga bei den Iowa Barnstormers - die heißen wirklich so - verschlug es Warner, von den St. Louis Rams aufgenommen, auf den Parkplatz für die zweite Garde nach Europa, genauer zu den Amsterdam Admirals. Und endlich ging es bergauf.

Der Stoff, aus dem die Träume sind...

Schon in der Arena war er einer der auffälligsten Quarterbacks, die NFL-Europe-Statistiken 1998 führte er mit seinem guten Auge in punkto Touchdown-Pässe und Pass-Yards an.

Sein Backup war übrigens ein gewisser Jake Delhomme, heute QB der Carolina Panthers.

In der folgenden Saison ließen ihn die Rams endlich ins Roster und als sich Starting-Quarterback Trent Green verletzte, war Warner endlich in der NFL angekommen. "Ich wusste, ich kann dieser Liga meinen Stempel aufdrücken. Es hat nur fünf Jahre gedauert, bis alle anderen das auch so sahen."

1999 gewann er mit den Rams den NFL-Titel, stellte mit 414 Passing Yards einen neuen Super-Bowl-Rekord auf und wurde zum Saison- und Final-MVP gewählt.

"Na, wie klingt das für Euch?"

Ein Hollywood-Film wäre nun vermutlich zu Ende. Genügend Stoff für "Kurt Warner - Teil 2" gibt es aber dennoch. Bei den Rams folgten ein paar schwierige Jahre. Im Drehbuch würde stehen: Der Held erleidet Verletzungen, verliert einen Super Bowl, wird von einem Jüngeren ersetzt, glaubt nicht mehr an sich selbst.

Ein Jahr bei den New York Giants (2004) gerät zur Enttäuschung und der alternde Warner wechselt 2005 zu den Losern der Liga, den Cardinals. Viele lachten über den alten Mann und das hilflose Team. Heute lacht niemand mehr. Die Cardinals spielen um den Super Bowl.

"Cardinals und Super Bowl in einem Satz - na, wie klingt das für euch?", fragte Warner nach dem 32:25 über die Philadelphia Eagles im Conference Finale die Journalisten.

"Ich verspüre eine solche Genugtuung. Dafür bin ich 2005 hier her gekommen. Ich wollte wieder spielen und diesem Team helfen, bei den Leuten anders wahrgenommen zu werden", so Warner, dessen Kongenialität mit Wide Receiver Larry Fitzgerald schon mit Tom Brady und Randy Moss verglichen wird.

Wehe, wenn er Feuer fängt

Für das Finale am Sonntag werden Warner und Co. dennoch wenig Chancen eingeräumt. Keyshawn Johnson, ehemaliger Wide Receiver und heute "ESPN"-Experte, ist einer der wenigen, der Arizona den ersten Super-Bowl-Titel zutraut.

"Wir wissen alle, was Kurt kann - besonders, wenn er Feuer fängt", sagte er gegenüber SPOX. "Er weiß doch nach zwei Super Bowls genau, worauf es ankommt. Wenn er gleich zu Beginn richtig in Schwung kommt, wird er das Spiel entscheiden."

In Phoenix jedenfalls glauben sie daran. Denn wer erstmal vom Regaleinräumer zum Helden aufgestiegen ist, den kann nichts mehr aufhalten.

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