NBA

Nowitzki seziert

Von Haruka Gruber
Nowitzki, Jones, Dallas, Mavericks, Jones
© Getty

München - Es ist das Schicksal, vor dem es jedem Sportler graut. Ohne Ausflucht aus der Klischee-Schublade, reduziert auf die Misserfolge. Ein ständiges Anrennen gegen Vorurteile und festgefahrene Meinungen.

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Nachzufragen bei Dirk Nowitzki, seit den Enttäuschungen gegen Golden State vergangene und gegen Miami Heat in der vorherigen Saison gefangen in der Schublade namens "mental meltdown" - frei übersetzt so etwas wie "mentaler Zusammenbruch".

Bei einer Umfrage wurde Nowitzki konsequenterweise von keinem General Manager der NBA als möglicher MVP genannt - obwohl der Deutsche als Titelverteidiger in die kommende Saison geht.

Nur: Zuletzt bekommt man den Eindruck, dass Nowitzki rein auf seine mentale Konstitution reduziert werden könnte. Seine Stärken oder Schwächen als Basketballer werden hingegen kaum thematisiert.

Deswegen seziert SPOX.com zusammen mit Scouting-Experte David Thorpe pünktlich vor der Saison Nowitzkis Spiel in seine Einzelteile. In welchen Bereichen ist der 29-Jährige nahezu perfekt, wo hat er noch Steigerungspotenzial? Eine Analyse in fünf Schritten.

Der Wurf

Das Filetstück in Nowitzkis Offensivarsenal. "Die Wurftechnik passt perfekt zu Dirk. Die Bewegung ist natürlich und flüssig, er hat in jedem Moment Kontrolle über seinen Wurf", sagt Thorpe. Was ihn besonders beeindruckt: "Dirk kann den Moment des Loslassens beim Schießen beliebig variieren, weil er genau weiß, inwieweit er seine Arme und Beine auszustrecken oder anzuwinkeln hat."

Fazit: "Er hat vermutlich den besten und zuverlässigsten Wurf innerhalb der Dreierlinie - unter allen NBA-Spielern, vielleicht sogar weltweit."

Die Ausrechenbarkeit

Nowitzkis Wurfstärke ist das eine, seine Berechenbarkeit das andere. "Es stimmt. Die Gegner können sich mittlerweile sehr gut auf ihn einstellen, weil sie wissen, dass er häufig wirft, statt zum Korb zu ziehen", sagt Thorpe.

"Deswegen wird auf Nowitzki in der Regel ein kleinerer, schnellerer Spieler angesetzt, der ihn aus seinem Wurfrhythmus bringt."

Warum postet Nowitzki dann nicht gegen die kleineren Spieler auf? "Dirk hat ein paar Post-Moves drauf, aber wenn er sich in die Nähe des Korbes bewegt, hängen sich immer gleich zwei Verteidiger an ihn ran. Deswegen fühlt er sich am Perimeter wohler, wo er schneller sieht, von welcher Seite die Help-Defense kommt."

Die Spielintelligenz

Trotzdem schätzt ihn Thorpe als "den zweitbesten Offensivspieler der Welt ein - hinter Kobe Bryant und auf gleicher Höhe mit Dwyane Wade".

Der Grund: "Sein Basketball-IQ ist gut, als Scorer überragend. Er weiß instinktiv, was zu tun ist."

Müsste er aber nicht mehr Assists verteilen? Thorpe: "Ich halte nichts davon, Nowitzki als einen Point-Forward einzusetzen, der das Spiel lenkt. So ist er nicht."

Die Verteidigung

Sie gilt als Nowitzkis Achillesferse. Von wegen Irk statt Dirk. Thorpe stimmt dem jedoch nur bedingt zu. "Seine Defense wird unterschätzt. Sie wäre sogar ganz ordentlich, wenn er es bei der Manndeckung häufiger schaffen würde, sich frontal zwischen Ball und Korb zu stellen."

Zumal es kontraproduktiv sei, aus Nowitzki einen zweiten Ben Wallace machen zu wollen. "Er wird sich niemals in einen Block-Spezialisten verwandeln, aber warum sollte er auch? Er ist in der Offensive unersetzlich, daher sollte er sich nicht am eigenen Korb aufreiben und in Foul-Probleme kommen."

Das fehlende Mosaik

Überragender Angriff, passable Verteidigung: "Dirks Spiel ist aus der Sicht eines Talent-Scouts komplett. Mehr geht nicht", sagt Thorpe.

Wäre da nur nicht das verflixte Wort mit m.

"Es gibt nur noch eine Sache, wo er sich steigern könnte: Die mentale Komponente des Basketballs. Er muss sich in diesem Bereich entwickeln und seine Teamkollegen zu besseren Leistungen anstacheln", so Thorpe. "Wenn er sich darauf mehr konzentriert, ein besserer Anführer zu sein, bin ich mir sicher, dass er es in sich hat."

David Thorpe arbeitet als NBA-Analyst für ESPN.com und ist Geschäftsführer des Pro Training Centers, einem Basketball-Zentrum der IMG Academies in Bradenton, Florida, wo er die Weiterbildung von NBA- und College-Spielern beaufsichtigt. Zu seinen Schützlingen gehörten unter anderem Sacramentos Kevin Martin, Zweiter der letztjährigen Most-Improved-Player-Wahl, und Miami-Heat-Star Udonis Haslem.

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