Galacticos reloaded

Von Daniel Reimann
Gesichter von Real Madrid 2014: Carlo Ancelotti, Gareth Bale, Cristiano Ronaldo und Toni Kroos (v.l.)
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Doch Ancelotti hat nicht nur ein Team geformt und ihm eine Handschrift gegeben. Viele der Leistungsträger machten auch auf individueller Ebene nochmal einen Sprung nach vorne: Ronaldo knackt einen Rekord nach dem anderen und ist seit der Weltfußballerwahl beflügelt wie nie zuvor. Luka Modric zeigte gerade in der K.o.-Runde der Champions League beinahe unmenschliche Auftritte und Karim Benzema war womöglich noch nie so konstant wie 2014.

Die beiden aufsehenerregenden Verpflichtungen Toni Kroos und James Rodriguez haben sich optimal eingefügt. Vom neuen Taktgeber Kroos schwärmen Medien, Trainer und Fans bereits im regelmäßigen Wechselspiel, während James auf bestem Wege ist, das Image des überbezahlten WM-One-Hit-Wonders abzuarbeiten

Der 80 Millionen Euro schwere Kolumbianer ist fester Bestandteil der Startelf, harmoniert gut mit der ähnlich teuren Flügelzange Ronaldo / Bale und kommt in seiner Debütsaison bereits auf 17 Scorerpunkte.

Noch wertvoller ist die die Nummer 10 von Real womöglich neben dem Platz. Nach seinen spektakulären WM-Auftritten leckte sich halb Europa nach ihm die Finger. Bei Florentino Perez läuteten die Alarmglocken, wenngleich dieser gar nicht wusste, "wo James spielt. Aber er hat eine gute WM gespielt und wollte hierher kommen".

"Galacticos reloaded" mit neuem Triumvirat

So sicherte sich Real die Dienste des umworbenen Kolumbianers. Eine fußballerische Verstärkung, aber auch eine neue Marketing-Figur, eine neue "Cash Cow". Innerhalb von zwei Tagen gingen rund 350.000 James-Trikots über die Ladentheke.

Spätestens seit seiner Verpflichtung erinnert der Kader der Königlichen an eine neue Version der Galacticos, der Generation von Figo, Zidane und Roberto Carlos: Eine Zusammenstellung von Ausnahmefußballern mit höchstem Marketing-Wert. Mit dem Triumvirat Ronaldo/Bale/James als Speerspitze. Die "Galacticos reloaded", wenn man so will.

Die wichtigste Voraussetzung für eine solche Sonderstellung hat das Team bereits jetzt erreicht: den größtmöglichen Triumph auf internationalem Parkett, kombiniert mit der Wachablösung Barcelonas. Auch mit James und Kroos behält Real derzeit die Oberhand, gewann den Liga-Clasico und liegt in allen Wettbewerben auf Kurs. Sie sollen nun dazu beitragen, dass die fußballerische Vorherrschaft weiter in der Hauptstadt bleibt.

Sportliche Qualität vs. Vermarktungspotenzial

Doch es bleibt abzuwarten, ob Real die bemerkenswerte Konstanz auch langfristig und über die Saison hinaus aufrechterhalten kann. Der Fußballklub Real Madrid ist darauf angewiesen, doch ihm gegenüber steht die Hochglanzmarke Real Madrid und mit ihr Faktoren wie öffentliches Interesse und Vermarktungspotenzial.

Dass sich die 80 Millionen Euro für James nicht durch seine rein sportliche Qualität errechnen, ist augenscheinlich. Die Marke Real brauchte im Sommer eine weitere Koryphäe, um die Umsätze nach La Decima weiter anzukurbeln.

Damit die horrenden Vereinsverbindlichkeiten nicht noch größer wurden, musste ein anderer weichen: Angel Di Maria, der die wohl beste Saison im Madrid-Trikot hinter sich hatte, wurde für gutes Geld nach Manchester verabschiedet. Es darf bezweifelt werden, ob James im Vergleich zu einem Di Maria in Hochform für Real deutlich wertvoller ist.

Zweifellos ist er jedoch das bessere Marketingprodukt im Vergleich zum eher unscheinbaren Argentinier, der zu jenem Zeitpunkt bereits die vierte Saison bei Real hinter sich hatte. In der Vorsaison bot sich ein zumindest ähnliches Szenario, als der spektakulären Verpflichtung von Bale der leise Abschied von Publikumsliebling Özil gegenüberstand. Dass dieser Schachzug aus sportlicher Perspektive derart aufgehen würde, war damals noch nicht abzusehen.

Mahnendes Beispiel der Geschichte

Und so bleibt spannend, welcher der aktuellen Leistungsträger sich im nächsten Transferfenster der Sehnsucht nach immer neuen vom Hype der Öffentlichkeit beflügelten Ballkünstlern zum Opfer fallen könnte. Vor allem aber, ob sich die Kosten-Nutzen-Rechnung aus möglichem Verlust sportlicher Qualität und hinzugewonnenem Marketingwert die Waage hält, sprich: Ob Ancelottis Kader entscheidend geschwächt wird.

Die Historie hat genügend mahnende Beispiele parat. 2003 wurde David Beckham als neues Merchandise-Zugpferd geholt und dieses gleich in einem sportlich fragwürdigen Trainingslager in Asien der Welt präsentiert. Claude Makelele hingegen, einer der wichtigsten Faktoren im Spiel der einstigen Galacticos, wurde an den FC Chelsea verscherbelt.

Zidane brachte den enormen sportlichen Verlust damals auf den Punkt: "Wieso sollte man einem Bentley eine neue Schicht Gold verpassen, wenn man den kompletten Motor verliert?" Neben Makelele ließ man auch Trainer Vicente del Bosque gehen, dessen Vertrag nicht verlängert wurde - nur ein Jahr nach dem neunten CL-Titel. Doch keiner seiner Nachfolger schaffte es, an Del Bosques Erfolg anzuknüpfen.

Auch heute scheint es fraglich, ob dieses Real Madrid mit einem anderen Coach als Ancelotti ähnlich erfolgreich seien könnte. Diverse hochdekorierte Coaches sind mit dem königlichen Star-Ensemble an den hohen Ansprüchen gescheitert. Das Jahr 2003 darf somit gleich doppelt als Warnung gelten: Am Ende jener Saison wurde Real Madrid Vierter und schied in der Champions League im Viertelfinale aus. Es sollte das zweite von zwölf langen Jahren sein.

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