Kampf der Elemente

Von Maximilian Schmeckel
Björn Borg und John McEnroe lieferten sich eins der legendärsten Wimbledon-Matches
© getty

Der Kampf zwischen Björn Borg und John McEnroe gilt als einer der größten in der Geschichte des Sports. Die beiden gehörten nicht nur zu den besten Spielern aller Zeiten, sondern verkörperten gleichzeitig zahlreiche Gegensätze. Gut gegen Böse. Eis gegen Feuer. Ruhe gegen Aggressivität. Ein Blick zurück.

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Die Novelle "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde" ist in ihrer Vielschichtigkeit und Deutungs-Pluralität nicht nur ein äußerst gerne zur Vergleichen oder Argumenten heran gezogenes Werk in Feuilleton und Sport, sondern auch der Beweis, dass es zu Popularität und Veränderung immer Protagonist und Antagonist geben muss, deren Taten und Bestrebungen zu einer Symbiose verschmelzen und alleinstehend niemals eine solche Wucht und Reichweite hätten.

Auch wenn in der literarischen Vorlage der gute, aufrichtige und edelmütige Dr. Jekyll und der hinterhältige, cholerische und dunkle Mr. Hyde sich letztendlich als ein und die selbe Person entpuppen - das Geniale an der Novelle ist das Wechselspiel der beiden Persönlichkeiten. Erst die Diskrepanz des Helden und des Bösewichts machte das Buch so berühmt.

Borg war Jekyll, McEnroe Hyde

In der Geschichte des Sports gab es viele mythenumrankte und legendäre Duelle. Manning gegen Brady, Messi gegen CR7, Lauda gegen Hunt, Celtics gegen Lakers. Kein Duell kommt dem Kampf zwischen Jekyll und Hyde aber so nah wie das zweier Stirnband tragender Tennisspieler in den Siebziger- und Achtziger-Jahren: Björn Borg und John McEnroe.

Der Schwede Borg schlüpfte in den blütenweißen Mantel des Dr. Jekyll. Er erhielt Orden der schwedischen Krone, war auf dem Court ein professioneller Gentleman, der auch in Minuten großer Niederlagen stets die Contenance bewahrte. Als Profi durch und durch hievte er einen bis zur Zeit seiner Ära als Nischen-Sportart oder gar als Alt-Männer-Vergnügung gebrandmarkten Sport zu einem begeisternden Event, das fortan als technisch extrem aufwändiger Speed-Sport galt, dessen Trainingsintensität der von Fußball, American Football oder Basketball glich.

"Ein Amerikaner, der Schande über sein Land bringt"

Große Sportler, die Veränderungen ihrer Sportart bewirkten wie Borg gab es einige, der Tennissport wurde aber erst nachhaltig und medienwirksam verändert durch den Auftritt des Mr Hyde. John McEnroe spielte eine bis heute einzigartig wirkende Mixtur aus arroganter Lässigkeits-Attitüde und aggressivem Angriffstennis.

Während Borg-Mania einen Eroberungsfeldzug rund um den Erdball startete und der Schwede Ehren-Medaillen und Verdienst-Orden erhielt, schrieb die New York Times über McEnroe, er sei "die schlechteste Werbung für amerikanische Werte seit Al Capone" und Hollywood-Ikone Charles Huston schlug eine Einladung nach Wimbledon aus, weil er sich die Peinlichkeit ersparen wollte "einen anderen Amerikaner zu sehen, der Schande über sein Land bringt". Diese zwei so gegensätzlichen Sportler dominierten eine Sportart und zementierten durch ihre Rivalität den Tennisport fest im Establishment der Sportwelt.

"Wunderkind" Borg kam zuerst

Zuerst erschien Saubermann Borg auf der Bildfläche - und das mit einer Brillanz, dass die Gazetten Borg früh Stempel wie "Jahrhunderttalent" und "Wunderkind" aufdrückten . 1972 gewann er mit gerade einmal 15 Jahren sein erstes Davis-Cup-Match und das Juniorenturnier bei Wimbledon. Nur ein Jahr später, mit zarten 16 Jahren, spielte er seine erste Profisaison und erreichte in Wimbledon das Viertelfinale. Wiederum ein Jahr später, 1974, gewann Borg minderjährig seine ersten sechs Turniere, darunter als bisher jüngster Spieler der Geschichte die French Open. Er beendete das Jahr als Dritter der Weltrangliste und fortan war sein Triumphzug in den Tennisolymp nicht mehr aufzuhalten.

1976 gewann er zum ersten von insgesamt fünf Malen den Rasenklassiker in Wimbledon, 1977 war er mit 20 Jahren erstmals kurzzeitig Weltranglistenerster und 1978 galt er nach seinem Doppeltriumph bei den French Open und in Wimbledon endgültig als der beste Spieler der Welt.

McEnroe siegt im ersten Duell

Im Jahr 1978 wurde Argentinien Fußball-Weltmeister, Papst Paul der VI. starb und ein 19-jähriger Amerikaner trat dem Zirkus des Profitennis bei: John McEnroe.

Im gleichen Jahr trafen Borg und McEnroe zum ersten Mal aufeinander. Ausgerechnet in Borgs Heimat Stockholm duellierten sich die heutigen Legenden im Halbfinale des ATP-Turniers. Borg wurde umjubelt empfangen, Schilder im Publikum huldigten den erst 22-Jährigen - ein Zeichen, welchen Stellenwert er schon in jungen Jahren in Skandinavien hatte. Am Ende stand es 6:3, 6:4, eine klare Sache. Sensationell nur, dass der Dominator nicht Björn Borg hieß, sondern John McEnroe. 1978 auf einem Court in Schweden war eine Rivalität geboren, die die nächsten vier Jahre nachhaltig prägen und schließlich den ganzen Sport verändern sollte.

Schlacht der Elemente

In puncto Klasse und Titeln nahmen sich die beiden Ausnahmekönner nicht viel, auch wenn Borg der etwas erfolgreichere Spieler war. Insgesamt gewann Borg in den neun Jahren bis zu seinem Rücktritt 1982 elf Grand-Slam-Titel, 53 weitere Turniere und stand 109 Wochen auf Platz eins der Weltrangliste (Platz acht der Bestenliste). McEnroe sammelte in 14 Profijahren sieben Grand-Slam-Titel, 70 weitere Turniersiege und stand 170 Wochen auf Platz eins (Platz fünf).

Es waren jedoch nicht die Titel, Statistiken oder Siege, die das Duell so populär und bis in die heutige Zeit legendär machten, denn Siege feierten beispielsweise Nadal und Federer auch zur Genüge. Es waren die direkten Duelle, von denen einige in puncto Klasse, Spannung und vor allem Intensität noch heute als beste Spiele der Tennisgeschichte gelten. Wenn Borg auf McEnroe traf, und das war 22 Mal der Fall, dann waren das keine gewöhnlichen Tennismatches. Es war wie eine Schlacht der Elemente. Das sonst so gediegene Publikum warf alle Manieren über Bord und johlte und grölte, während sich auf dem Court unter ihnen diese beiden so gegensätzlichen Spieler duellierten.

Das legendäre Match

Es ist kein Zufall, dass beide jeweils elf von 22 Duellen gewannen. Denn beide hatten auf ihre Weise dem anderen etwas voraus. Das legendärste Match, das mehrfach zum besten Match der Tennis-Geschichte gekürt wurde und auf dem der Mythos der beiden Sportler und in letzter Instanz der des ganzen Tennissports ruht, trug sich 1981 zu: Im Wimbledon-Finale besiegte McEnroe Borg in einem unfassbaren Match 4:6, 7:6(7:1), 7:6(7:4), 6:4.

Das Spiel bot reichlich Stoff für einen Spielfilm. Regen, tolles Serve-and-Volley McEnroes, lange Ballwechsel und am Ende den Sieg des Underdogs, der Borgs unheimliche Rasen-Dominanz mit zuvor fünf Wimbledon-Siegen in Serie brach und so die Voraussetzung für sportlich prägende Duelle schuf: Augenhöhe.

Ice-Borg versus Super-Brat

"Wir waren wie Feuer und Eis", sagte McEnroe 2011 dem Tennismagazin und bringt somit es auf den Punkt. Auf der einen Seite der coole Schwede Borg, dessen Augen fokussiert und dessen Gesichtsmuskeln angespannt waren. Der "Ice-Borg", wie sein passender Spitzname lautete, zeigte nach einem Doppelfehler die gleiche Mimik wie nach einem krachenden Volley zum Spielgewinn. Als hätte er irgendwo tief in seiner Heimat ein Labor, das es ihm ermöglichte störende Emotionen während seiner Matches auf ein Minimum herunter zu fahren, eilte er mit mechanischer Genialität von Sieg zu Sieg.

Auf der anderen Seite der feurige Amerikaner John McEnroe, der vor pikiertem Publikum Schläger in Serie zertrümmerte und dessen Spitzname "Super-Brat" (Super-Rüpel) lautete. Wenn die Emotionen wieder einmal überkochten, dann brannten seine Augen, dann fuhrwerkte er auf dem Court herum wie ein cholerischer Krieger, der in jedem einen potenziellen Feind sieht.

Die Liste seiner Ausraster ist lang. Er warf Schläger, beleidigte Zuschauer, schoss Bälle auf Balljungen (besonders bekannt ist die Szene, als er den damals als Balljungen tätigen Schauspieler Hayden Christensen abschoss). Die primäre Zielscheibe seiner Wutanfälle waren jedoch die Schiedsrichter. "Are you fucking serious?", fragte er dann in seiner unnachahmlichen Art, die Ungläubigkeit und Wut vereinte. Heute ist genau diese Frage Teil der Marketingwelt.

"Wir wollten beide der Beste der Welt sein"

Die jeweiligen Fanlager liebten beide innig und beiden ist es zu verdanken, dass die ersten Tennis-Fanklubs gegründet wurden. Borgs Anhänger verehrten den Saubermann, der mit der Revolutionierung und Perfektionalisierung des Top-Spin-Stils, seiner ungeheuren Fitness und einer neuen Art der Rückhand (beidhändig mit vielen verdeckten Schlägen) ein bisher nie dagewesenes Repertoire kreierte, das das Fundament seiner Dominanz legte.

McEnroes Fans liebten den Choleriker mit den ungestümen Netzangriffen und dem so aktiven Speed-Tennis für seine Menschlichkeit. Er wirkte sehr authentisch auf dem Court, wollte gewinnen und zeigte in Momenten der Niederlage in seiner Wut eine beinahe sympathische Verletzlichkeit.

Auch die Zeitungen nahmen das Duell mit größtem Vergnügen auf. Manche lobten McEnroe, der dem "Tennis-Roboter" (New York Times) Borg als Mensch die Stirn bot, andere Borg, der "mit einer unfassbaren neuen Art und Weise zu spielen, den Beginn einer Ära darstellt, deren Ende wir nicht mehr miterleben werden." (Le Monde). Der Antrieb der beiden war bei allen Unterschieden der gleiche, wie McEnroe verriet: "Wir waren uns ähnlich. Wir wollten beide der Beste der Welt sein."

Ziemlich vergessene Freunde

Was in Vergessenheit geraten ist und vielleicht auch bewusst oft außen vor gelassen wurde, um die Idee der Schlachten schlagenden Feinde nicht zu konterkarieren, ist, dass Borg und McEnroe sich nicht nur schätzten, sondern sogar befreundet waren. "Wir spielten in Stockholm und John schlug mich leicht. Wir haben dann ein paar Showmatches in den Staaten ausgetragen und festgestellt, dass wir uns mögen", erzählt Borg heute und stellt so das Match 1978 in Schwedens Hauptstadt nicht als den Beginn einer Feindschaft, sondern den einer Freundschaft dar.

Borg fungierte in dieser als der etwas ältere Ruhepol, den McEnroe so beschreibt: "Ich kann mich an eine Szene in New Orleans erinnern. Ich hatte mich schlecht benommen. Er rief mich zum Netz. Ich dachte, er sagt jetzt, dass ich das größte Arschloch der Welt bin. Aber er legte seinen Arm um meine Schulter und sagte: 'Es ist okay. Du solltest das alles ein bisschen genießen. Du wirst Teil von etwas Großem sein.'"

Das Große, von dem Borg sprach, war nicht der individuelle Erfolge seines Widersachers, sondern die goldene Ära des Tennis. Menschen auf aller Welt standen in den vier Jahren der Rivalität der beiden nachts auf, um Tennis zu sehen. Es entstand ein Tennis-Boom und Kinder wünschten sich plötzlich keine Fußballschuhe mehr zu Weihnachten, sondern einen Tennisschläger und ein Stirnband. Ähnlich wie es in Deutschland nach den Erfolgen von Boris Becker und Steffi Graf geschah, wurde zu Beginn der Achtziger weltweit ein Rutsch ausgelöst, der das Tennis dank Borg attraktiver und populärer machte und es dank McEnroe vom Image des steifen Sports der Reichen löste und es so auch in die Großstädte und in die Jugend trug.

Pioniere begründeten Mythos

Das goldene Zeitalter des Fernsehens nahm den Tennissport an der Hand und beide bildeten eine befruchtende Symbiose. "Wir waren die Pioniere. John und ich haben unsere Sportart auf ein anderes Niveau gehoben. Wir haben Tennis zu dem gemacht, was es heute ist", beschrieb Borg die Metamorphose.

Jekyll alleine, ohne Hyde, kann nicht funktionieren. Natürlich kann man die Geschichten beider Männer auch ohne den anderen erzählen, aber erst die Verschmelzung beider Figuren zu ein und derselben Person kreiert eine so wuchtige Wirkung. "Wenn du deinen größten Gegner verlierst, verlierst du auch einen Teil deiner selbst", sagte McEnroe nach dem Rücktritt Borgs über die Verschmelzung der beiden Superstars. Für sich alleine waren beide einfach nur Weltklasse-Tennisspieler. Erst die Verflechtung ihrer beiden Wege hat einen Mythos geschaffen, der bis heute andauert - und der eine ganze Sportart für immer verändert hat.