Kompakter Raum gegen Dominanz

Von Manuel Behlert
Beide Teams stehen vor der Herausforderung, das taktische Konzept des Gegners zu brechen
© getty
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Auch beim FC Barcelona fand vor der laufenden Saison ein Trainerwechsel statt. Luis Enrique übernahm das Amt des Trainers der Katalanen und hatte zumindest bis zum Winter kleinere Probleme. Er arbeitete fokussiert, drehte an den notwendigen Stellschrauben und veränderte den Stil ein wenig, ohne die typische Barcelona-Identität zu verlieren. Man ist nicht mehr die alles dominierende Ballbesitzmaschine, legt aber weiterhin viel Wert auf Dominanz und Kontrolle, allerdings mit stärkeren Tempowechseln und einer seit dem Winter wieder formstarken Defensive, die die Fehler der vergangenen Saison größtenteils abgestellt hat.

Besonders in der Rückrunde hat sich bei den Spaniern eine Stammformation gefunden, die seit einigen Monaten optimal im Rhythmus und sehr gut eingespielt ist. Torhüter in der Königsklasse ist ter Stegen, der fußballerisch sehr gut zur technisch versierten Mannschaft passt und in der bisherigen Saison nahezu fehlerfrei gespielt hat.

Die eingespielte Viererkette besteht aus Dani Alves (rechts), zumeist Pique und Mascherano (zentral) und Jordi Alba (links). Im Mittelfeld wird Barcelona mit Sergio Busquets, Neuzugang Ivan Rakitic und Ideengeber Iniesta auflaufen. Prunkstück des Kaders ist aber die Offensive, bestehend aus Lionel Messi, Luis Suarez und Neymar, auch "MSN" genannt. Diese drei Spieler sind nicht nur individuell absolute Weltklasse, sondern auch im Zusammenspiel kaum zu stoppen.

Formstärke und Kontrolle als Defensivmerkmale

Barcelona verfügt über eine gute Defensive, die sich im Laufe der Saison permanent weiterentwickelt hat. 10 Gegentore kassierte man in 12 Spielen in der Königsklasse, alleine 3 im Rückspiel beim FC Bayern, das aufgrund der zwei frühen Treffer Barcelonas keine elementare Bedeutung mehr hatte. In der Saison 13/14 war die Defensive ein Schwachpunkt der Katalanen, Dani Alves und Pique waren teilweise komplett außer Form, aber in dieser Saison hat man sich die Form und die Stabilität nach und nach zurückgeholt, Luis Enrique hat seinen Spielern das Vertrauen ausgesprochen und das hat sich ausgezahlt.

Dani Alves hat seine teilweise blinden Ausflüge nach vorne mit fehlendem Umschalten auf die Defensive größtenteils abgeschaltet, spielt cleverer und dosiert seine Offensivausflüge sehr gut. Besonders Pique ist wieder in seiner besten Form, gewinnt fast jeden Zweikampf und macht individuell kaum mehr Fehler. Außerdem sind die technischen Fähigkeiten in der Abwehr so hoch, dass man nur schwer unter Druck zu setzen ist.

Stabilität als A und O

Nach einer Hinrunde, mit der man nicht komplett zufrieden sein konnte, baute Barcelona im Winter extrem auf Stabilität, wollte als oberste Prämisse die Verteidigung verstärken und so Sicherheit und Balance generieren. Die wichtige Stabilität wird auch mithilfe einer sehr guten Spieleröffnung generiert, man spielt sehr souverän und verschafft sich dadurch natürlich ein gewisses Selbstvertrauen. Mascherano ist technisch sicherlich etwas versierter als Mathieu, aber auch der Franzose ist wenn er spielt kein Risiko und spielt die Bälle notfalls im Pressing auch etwas sicherer zum Torhüter oder wählt den langen Schlag nach vorne.

Aus der verbesserten Defensive, die sich hauptsächlich im Januar mit einer beeindruckenden Vehemenz entwickelt hat, entwickelte sich nicht nur eine Grundstabilität, sondern es wurde auch mehr Einsatzbewusstsein bei eigentlich allen Offensivspielern geweckt. Besonders Iniesta ließ sich häufiger zurückfallen und baute das Spiel neben Busquets auf, hat dann aber auch mit seinen gewohnt klugen Doppelpässen und dem direkten Passspiel für Raumgewinne gesorgt und einen Angriff eingeleitet.

Celta Vigo als Vorbild

Barcelona ist aber nicht immer absolut pressingresistent und unverwundbar. Celta Vigo zeigte zu Beginn des Spiels (0:1), dass man Barcelona durchaus mit aggressivem und konsequentem Pressing unter Druck setzen kann und kleinere Ungenauigkeiten und Fehler provozieren kann. Man stellt damit quasi alle Passwege zu und könnte dafür sorgen, dass Barcelona riskanter spielen muss und mit dem eigenen Passspiel ein wenig zu viel Tempo aufnimmt, sodass man wiederum die Möglichkeit hat, dem FC Barcelona in der Vorwärtsbewegung den Ball abzunehmen und die eigene Umschaltbewegung zu forcieren.

Dabei besteht natürlich die Gefahr, dass man im Ballbesitzspiel der Katalanen ein wenig zu forsch agiert und dann hinten offen ist. Diese Lücken können wohl von keinem Klub so effektiv genutzt werden wie von Barcelona, das Passspiel kann natürlich auch in kürzester Zeit und mit einigen direkten Zuspielen funktionieren.

Große Kontrolle und viele Tempowechsel

Vielleicht ist der FC Barcelona taktisch nicht mehr so nahe an der Perfektion wie noch vor einigen Jahren, allerdings fällt in der Betrachtung der Mannschaft und der Art und Weise des Spiels der Katalanen auf, dass fast nur Stärken vorhanden sind. Die individuelle Klasse, die Variabilität der offensiven Dreierreihe, die fast jeden Gegner verwirrt und verunsichert, der seit Jahren eingeimpfte Spielstil und das enorme Selbstvertrauen der Mannschaft gepaart mit den nicht vorhandenen Verletzungssorgen lassen Barcelona fast übermächtig wirken.

Gegen das lauf- und zweikampfstarke Mittelfeld von Juventus wird Barcelona relativ häufig auf die Außen ausweichen müssen, um das Spiel in die Breite zu ziehen, dennoch geht die Kontrolle im Spiel vom Zentrum aus, vor allem von Busquets, der für die Balance immens wichtig ist.[

Die strategischen Veränderungen unter Luis Enrique benötigten etwas Zeit, bis sie ihre Wirkung entfalten konnten. Eine Passgenauigkeit von 90 % verhilft den Spaniern zu der Kontrolle, die man im Spiel eigentlich fast immer hat. Der durchschnittliche Ballbesitz Barcelonas liegt in der Champions League bei 59 %, nur der FC Bayern hatte mit 61 % mehr. Gegen Juventus, das auch viel Wert auf ein geordnetes und strukturiertes Passspiel legt, wird man trotzdem relativ viel Ballbesitz haben, da man gegen die kompakte Defensive sehr geduldig spielen muss, um etwaige Lücken zu nutzen.

Wenig Flanken in die Spitze

Auf die Ballsicherheit und gepflegtes Kombinationsspiel wird bei Barcelona traditionell viel Wert gelegt, man schießt viele Tore (28 in der CL), hat aber von allen Topteams die wenigsten Flanken in den Strafraum geschlagen. Die Positionswechsel in der Offensive und die gute Abstimmung aller offensiv orientierten Spieler verwirrt die gegnerische Defensive regelmäßig. Enrique stellte Messi nach der Rückkehr von Luis Suarez auf den rechten Flügel und Suarez auf die Mittelstürmerposition, trotzdem rückt Messi häufig auch in die Mitte ein und sorgt mit Dribblings für Gefahr oder fügt sich in das Kombinationsspiel ein.

Abgesehen von den bisher angesprochenen Merkmalen des "neuen" FC Barcelona fällt auf, dass man häufiger das Tempo wechselt, urplötzlich mit schnellen Pässen Torgefahr generiert und damit unberechenbarer wird. Das sture Ballbesitzspiel ist Geschichte, Kontrolle, Struktur und Homogenität stehen im Vordergrund - als Basis für die offensiven Elemente.

Iniesta der Ideengeber

Iniestas Rolle als Ideengeber darf dabei keinesfalls zu kurz kommen, besonders gegen Juventus wird er im Zentrum immer wieder mit seiner Handlungsschnelligkeit im Mittelpunkt stehen und mit klugen Bewegungen, raumöffnenden Pässen und der gewohnten Kreativität das Angriffsspiel mitbestimmen.

Klar ist, dass die Spanier die Favoritenrolle inne haben und damit umgehen können. Man verlässt sich auf die individuelle Klasse der Offensive, die gute Form und die neuen taktischen Elemente, die man unter Luis Enrique verinnerlicht hat. Diese Mannschaft kann sich für eine fantastische Saison krönen und genau wie Juventus das Triple gewinnen.

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Barcelona im Steckbrief