Der sturköpfige Retter

Von 90PLUS
Nigel Pearson sicherte Leicester zusammen mit Robert Huth den Klassenerhalt in der Premier League
© getty
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Die Kritik der Medien und der Fans an Pearson und seinen taktischen Entscheidungen wurde zunehmend größer. Pearson versuchte, nach dem bewährten 4-4-2 aus dem Aufstiegsjahr, ein neues Spielsystem zu etablieren, allerdings verbesserten weder der Wechsel zu einem 4-3-3 noch zu einem 4-1-4-1 die sportliche Situation. Selbst mit der Rückkehr zum 4-4-2 konnte der Negativtrend nicht gestoppt werden. Wie es um Pearsons Nervenkostüm in dieser Zeit bestellt war, zeigte sein Ausbruch gegenüber einem Leicester-Fan bei der Niederlage an der Anfield Road im Dezember letzten Jahres.

Nachdem er während des Spiels von den negativen Kommentaren eines Fan zunehmend genervt war, rief er ihm aus der Coaching Zone ein charmantes "F*** off and die" zu. Später verschlimmerte er den ganzen Vorfall auf der anschließenden Pressekonferenz, als er kund gab, es gebe ihn für keinen Anlass sich für irgendetwas entschuldigen zu müssen. Der Jahreswechsel in Leicester dürfte nichtsdestotrotz bedingt durch die rote Laterne und dem verbalen Ausbruch äußerst frostig gewesen sein.

Robert Huth - Der Fels in der Brandung

Dafür gelang ihm im darauf folgenden Transferfenster ein echter Coup, der große Bedeutung für der späteren Klassenerhalt haben sollte: Pearson lieh Robert Huth aus, der bei Stoke City nur noch Edelreservist war. Trotzdem ging die sportliche Talfahrt zunächst weiter und nach der 0:1 Heimniederlage gegen den direkten Konkurrenten Crystal Palace schien die Zeit von Pearson nicht nur aus sportlichen Gründen abgelaufen.

Als Palace-Spieler James McArthur bei einem Tackling in Pearsons Coaching Zone rutschte und den Trainer dabei aus dem Gleichgewicht brachte, sah es aus als würge Pearson den am Boden liegenden McArthur, nur um ihn dann aufzuhelfen und dann doch am Trikot festzuhalten, damit dieser nicht unmittelbar auf das Spielfeld zurückkehren konnte. Für Pearson gab auch dieses Verhlaten keinen Anlass für eine Entschuldigung. In einer Nacht der Verwirrung meldeten mehrere englische Medien, dass Pearson entlassen worden wäre, was der Verein per Pressemeldung dementieren ließ.

Pearson vs. Lineker

Pearson bezeichnete die Geschehnisse als eine Geschichte, die unnötig aufgeblasen worden wäre und zielte damit vor allem auf die Berichterstattung des "Match of the Day"-Teams um Gary Lineker, welchen er als "Brunnen der Weisheit" verhöhnte. Einige Wochen später ließen die Füchse trotz ansprechender Leistung beim 0:0 Unentschieden gegen den späteren Absteiger Hull City abermals Punkte liegen.

Der Rückstand war enorm und Leicester hatte bis dahin gerade vier Siege einfahren können. Am nächsten Spieltag verloren die Füchse in einem packenden Spiel an der White Hart Lane bei den Tottenham Hotspurs mit 4:3. In den entscheidenden Situationen hatte Leicester erneut nicht das nötige Quäntchen Glück gehabt. Der Abstieg schien nun tatsächlich so gut wie besiegelt. Doch komischerweise änderte sich von da an alles.

Das Team von Pearson begann endlich damit sich für seine oftmals ansprechenden Leistungen auch zu belohnen. Am 31. Spieltag konnte der ersehnte erste Sieg seit Januar mit einem 2:1 Heimerfolg gegen West Ham United gefeiert werden können. Im nächsten Spiel entführte Leicester drei Punkte bei West Bromwich Albion, als James Vardy in der 90. Minute den umjubelten 3:2 Siegtreffer erzielte.

Leicester war nun wieder richtig dabei im Kampf um den Klassenerhalt und Pearson traf zu diesem Zeitpunkt eine geniale taktische Maßnahme. Er stellte von Vierer- auf Dreierkette um, welche wahlweise zu einer Fünferkette mit den laufstarken Außenspielern Albrighton und dem Deutschen Jeffrey Schlupp werden konnte. Die Dreierkette bestehend aus Kapitän Wes Morgan, Robert Huth und Marcin Wasilewski ließ vom 33. bis zum 37. Spieltag kein Gegentor mehr zu.

Wieder Probleme bei der PK

In den fünf Spielen konnte Leicester vier Siege und ein Remis verbuchen, wodurch der lang ersehnte Sprung von den Abstiegsplätzen gelang. Diese eindrucksvolle Serie wurde nur durch die 1:3 Heimniederlage beim Nachholspiel des 27. Spieltags gegen den späteren Meister Chelsea geschmälert. Auch hier sorgte Pearson erneute für einen Eklat, als er auf der Pressekonferenz einen Reporter als "Strauß" bezeichnete, da dieser aufgrund einer gestellten Frage wohl kein Spiel der Füchse in dieser Saison gesehen habe und nach Pearson´s Mutmaßung seinen Kopf in dieser Zeit im Sand gehabt haben müsse.

Kurz darauf wies BBC-Journalist Pat Murphy Pearson in der bereits oben erwähnten Standpauke (Kleiner Auszug: "Sie haben kein Angst, dass Sie als paranoider Tyrann dastehen?") zu Recht und rundete mit diesem Novum das Best-Of der Pressekonferenzen von Nigel Pearson in der vergangenen Saison adäquat ab. Den Nebengeräuschen zum Trotz konnte Leicester bereits am 37. Spieltag durch ein 0:0 beim AFC Sunderland vorzeitig den Klassenerhalt feiern.

5:1-Kantersieg zum Abschluss

Pearson wurde zum Premier League Trainer des Monats April gekürt und hat ebenfalls gute Chancen diese Trophäe auch für den Monat Mai zu gewinnen. Am letzten Spieltag wurden die turbulenten Wochen der Aufholjagd mit einem 5:1 Kantersieg gegen den designierten Absteiger Queens Park Rangers, der ironischerweise dadurch mit der ungeliebten roten Laterne in der Hand absteigen musste, welche die Füchse die meiste Zeit der Saison inne hatten, gebührend abgeschlossen.

Nigel Pearson hat in dieser Saison Geschichte geschrieben. Leicester war erst das dritte Team, das die Klasse halten konnte, nachdem es an Weihnachten auf dem letzten Platz stand. Insgesamt stand Leicester in der abgelaufenen Spielzeit an sage und schreibe 140(!) Tage auf dem letzten Tabellenplatz. Bei einer sportlichen Misere solcher Tragweite ist enorme mentale Stärke gefragt um die Nerven zu bewahren.

"Harte Schale, weicher Kern"

Das Pearson diese in einigen Situationen abging, ist menschlich und nachvollziehbar, allerdings natürlich nicht in der Art und Weise wie es beispielsweise an der Anfield Road geschah. Sich selbst charakterisiert wie viele, die als vermeintliche Badboys gelten, mit dem gerne verwendeten Stereotyp "harte Schale, weicher Kern".

Ob dies tatsächlich zutrifft, kann dahingestellt bleiben. Die Diskussion zeigt nämlich auch gleichzeitig das seltsam zweiseitige Denken der Fußballwelt, die einerseits nach "Typen wie früher" lechzt und sie bei einem Schuss über das Ziel hinaus umgehend als "unverbesserliche Starrköpfe" verteufelt.

Nigel Pearson im Steckbrief

Seite 1 - Nigel Pearson: Von League One bis in die Premier League

Seite 2 - Nigel Pearson: Ein Starrkopf rettet Leicester

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