Made in Austria

Von Christoph Köckeis
Werner Schuster betreut seit 2008 die deutschen Skispringer
© getty

Einst in Österreich sein Handwerk erlernt, beflügelt er nun just den Erzrivalen: Werner Schuster. Er reformierte Skisprung Deutschland und verlieh den Adlern neue Flügel. Bei den Olympischen Spielen soll nun die Reifeprüfung abgelegt werden.

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Unaufgeregt, nahezu stoisch späht er gen Zitterbalken. Sein Blick getrübt vom strömenden Regen. Neben ihm gestikuliert Alexander Pointner, poltert erbittert vor sich hin. Unmittelbar zuvor wurde bereits Thomas Diethart, frischgebackener Tournee-Triumphator und Mann der Stunde, durch die Hölle geschickt.

Bei peitschendem Wind springt die Ampel trotz alledem auf Grün. Werner Schuster wartet zu. Der Arm fällt. Freigabe. Nach bangen Sekunden quittiert Andreas Wellinger, von heftigen Turbulenzen gebeutelt, den Versuch. Auf dem Vorbau. Mit ernüchternden 86 Metern landet er schließlich am Ende des Tableaus. In Zakopane führte die FIS ihre Aushängeschilder vor tausenden, euphorisierten Polen vor - mal wieder.

"Manchmal muss man das Wetter einfach akzeptieren", monierte der Bundestrainer in Allianz mit seinem Pendant aus Österreich. "Das", betonte Schuster, "war hochgradig unfair." Pointiert. Sachlich. Mit ruhigem, aber bestimmtem Tonfall. Wie es seinem Naturell entspricht. Von trivialen Emotionen lässt sich der 44-Jährige allzu ungern leiten. Er ist ein zielgerichteter Kopfmensch, mimt den ewig nüchternen Analytiker.

"Er lebt den Sport"

Seine Philosophie fußt auf Kontinuität und Akribie. Mit jenem Fundament wusste er seit 2008 die ersehnte Aufbruchsstimmung zu evozieren. "Werner kennt den Sport nicht nur theoretisch. Er lebt ihn zu hundert Prozent, setzt sich für seine Athleten ein", suggeriert Pointner im SPOX-Interview. Gemeinsam reisten sie zu aktiven Zeiten mit dem Tross, waren Zimmerkollegen und gewissermaßen Leidensgenossen.

Meist kämpften sie vergeblich um den Anschluss. Für die Elite reichte es nie, weshalb man früh den zweiten Bildungsweg einschlug, sich der Karriere nach der Karriere widmete. Im ÖSV-Nachwuchs fanden sie Unterschlupf. Dort, in der Talentschmiede Stams, förderte Schuster mitunter Wunderknabe Gregor Schlierenzauer - und genoss selbst eine Ausbildung höchster Güte.

"In Österreich steckt im Skispringen viel Kultur, es hat einen hohen Stellenwert", sagt Pointner: "Persönlichkeiten geben Erfahrungen weiter. Sie können begeistern." Etwa Toni Innauer oder Ernst Vettori, beide verdiente Ex-Athleten. Als Nordische Direktoren wirkten sie florierend auf das System. Ersterer sinniert bei SPOX: "Stams entwickelte im Lauf der Jahrzehnte den größten Trainerpool der Skisprungwelt."

DSV wird österreichisch

Rot-weiß-rot revolutionierte und dominierte. Dies weckte in der Szene wiederum Begehrlichkeiten. Mittlerweile ist das Tafelsilber längst europaweit verstreut. Alexander Stöckl inspiriert die Norweger. Schuster heuerte zunächst in der Schweiz an, übersiedelte jedoch zum Leidwesen von Simon Amman nach einer Saison zum DSV. Im Schlepptau zahlreiche Vertrauenspersonen aus der Heimat.

"Eine Hand" gibt Pointner unverhohlen zu, "reicht nicht, um die Leute abzuzählen. Da steckt sehr viel rot-weiß-rotes Know-How dahinter." Schuster verordnete Deutschland einen radikalen Umbruch. Er sollte die Missstände beseitigen, die um die Jahrtausendwende schleichend zutage traten. Dazumal, geblendet vom ungeahnten Höhenflug, suhlte sich die Führungsriege kollektiv in Zufriedenheit.

Martin Schmitt und Sven Hannawald hatten zuvor das Kunststück vollbracht, den Sport salonfähig zu machen. In der öffentlichen Wahrnehmung stiegen sie zu Teenie-Idolen, zu umgarnten Popstars empor. Als die Hochkonjunktur zunehmend abebbte, vermochte man die Negativspirale nicht mehr zu stoppen. Der Verband verpasste es, das monetäre Potenzial auszuloten, die Weichen für eine glorreiche Zukunft zu stellen. Nicht alleine Trends verschliefen sie, speziell in der Nachwuchsarbeit wurde geschludert. Man ließ die Nachhaltigkeit, das visionäre Konzept vermissen.

Einheitlichkeit statt Uneinigkeit

"Schuster hat an verschiedenen Schrauben gedreht", rekapituliert Adler-Legende Jens Weißflog bei SPOX: "Momentan scheint das aufzugehen, wobei sich die Prozesse schnell ändern können." Eine gefallene Skisprung-Nation lechzte nach Erfolgen früherer Tage. Fortan überließ man daher nichts dem Zufall. Der neue starke Mann trieb den Paradigmenwechsel unermüdlich voran - und profilierte sich als sanfter Reformer

Er implementierte ein Stützpunkt-übergreifendes, einheitliches Leitbild, welches insbesondere die Durchlässigkeit gewährleisten sollte. Sein Dogma: "Mir war wichtig, in Oberwiesenthal nach dem gleichen Muster zu arbeiten wie im Schwarzwald. Da gab es Uneinigkeiten." Um das verworrene Konstrukt konzipierte Schuster ein straffes, austariertes Korsett und rüstete er einzelne Zellen mit Bedacht qualitativ auf. Ähnlich dem österreichischen Modell.

"Im strukturellen Bereich operiert er sehr ähnlich zu uns", erklärt Pointner, Mastermind hinter dem ÖSV-Skisprung-Imperium. Sofern ihn künftig Amtsmüdigkeit überkommt, gilt Schuster schon jetzt als legitimer Erbe. Umso wohlwollender verfolgt die Alpenrepublik das Treiben hinter der Landesgrenze. Plakativ für den Aufschwung in Schwarz-Rot-Gold: die mannschaftliche Geschlossenheit.

"Ihm ist etwas Besonderes geglückt"

Severin Freund etablierte sich im erlauchten Zirkel der Topstars. Dazu schlug Andreas Wellinger im November 2012 kometenhaft ein. Unter Schusters Ägide bekam das Juwel seinen Feinschliff. Vor wenigen Wochen lächelte der 18-Jährige in Wisla erstmals auf die Konkurrenz herab, wird vielerorts als künftiger Seriensieger geadelt. Nicht zu vergessen Shootingstar Marinus Kraus, oder Richard Freitag - eine Ausbeute, die bleibenden Eindruck hinterlässt.

"Werner ist etwas Besonderes geglückt: Skisprung Deutschland konnte in ein Boot geholt werden", würdigt Innauer die Errungenschaft. Ob Jugend oder Senioren, ob A-Nationalmannschaft oder B-Kader, die einzelnen Betreuer bilden eine Symbiose. Über individuelle Dissonanzen und politische Ränkespiele konnte man sich hinwegsetzen. Schuster, der studierte Psychologe, schuf ein neues Wir-Gefühl.

Federführend im Hintergrund agierte Horst Hüttel. Zusammen mit ihm wandte er den Kollaps ab. So konstruiert es auch klingen mag: Begünstigt werden solch tiefgreifende Umstrukturierungen immer von einer misslichen Lage. "Man hat mir stets das Gefühl gegeben, an meine Ideen zu glauben", meinte Schuster unlängst mit einer guten Portion Dankbarkeit. Im gleichen Atemzug bekräftigte er allerdings: "Sie wussten, dass sich die Wende verzögert, sollten sie einen Zickzackkurs einschlagen."

Schmitt, und der letzte Höhepunkt

Die Verbandsspitze war schlichtweg nicht in der Position, dem neuen Führungsduo vielleicht sogar Wünsche abzuschlagen, und machte Zugeständnisse. Pointner unterstreicht dies: "Sie nahmen sehr viel Geld in die Hand, scheuten nicht vor unmoralischen Angeboten zurück." Dank neuzeitlicher Strukturen, angetrieben von innovativen Methoden keimte Eigendynamik auf.

Plötzlich war das Vertrauen in das System, in das Personal, die Selbstverständlichkeit zurück. Zwar fielen der Verjüngungskur prominente Namen zum Opfer, das Innenleben der erstarkten Mannschaft wurde dadurch nicht beeinträchtigt. "Er hat es geschafft, alle auf eine Linie zu bringen, eine Identität zu schaffen, eine einheitliche Philosophie. Wie wollen wir springen? Was sind die Eckpunkte? Dann hat er ruhig und konzentriert an den Grundlagen arbeiten lassen", attestiert Martin Schmitt.

Ausgerechnet er, von Schuster aussortiert, stimmt in den Jubelchor ein. Groll? Weit gefehlt! Ihm trat der Österreicher mit reichlich Respekt entgegen, diffamierte sein Denkmal trotz ausbleibender Leistungen nie. Vielmehr kitzelte er 2009 den gefallenen Superstar sogar zu WM-Silber - der letzte Höhepunkt.

Zwei Medaillen das Ziel

Selbst als Schmitt vom Blätterwald aufgefordert wurde, die Skier in die Ecke zu stellen, bestärkte ihn Schuster. Er zwingt anderen Leuten nicht seine Meinung auf, macht nicht durch autoritäres Gehabe aufmerksam. "Ich bin kein General, der draufhaut", so die treffende Selbsteinschätzung. "Respekt habe ich mir eigentlich überall durch meine Kompetenz verdient."

Anders als Wolfgang Steiert oder Peter Rohwein findet er in der Öffentlichkeit die richtigen Worte. Er begegnet Journalisten nicht von oben herab, zog sie durch Authentizität und Glaubwürdigkeit auf seine Seite. Als sich nach der enttäuschenden Vierschanzentournee - Wellinger klassierte sich als Bester auf Gesamtrang neun - Ex-Springer abschätzig äußerten und an der mentalen Belastbarkeit seiner Schützlinge zweifelten, stellte sich Schuster schützend davor: "Es muss Ruhe und Klarheit in die Mannschaft."

Vom Gezeter unbeeindruckt, analysierte er. Und der Formaufbau für die Olympischen Spiele gibt ihm recht. Fünf der vergangenen sechs Einzel-Siegerehrungen gingen mit deutscher Beteiligung über die Bühne. Bei den Olympischen Spielen trachtet Schuster nach mehr: "Das Ziel ist es, in Sotschi zwei Medaillen zu machen. Eine im Einzel sowie eine in der Mannschaft", proklamierte er. Unaufgeregt, und dennoch bestimmt.