Des Herminators Geburtstunde

Von Christoph Köckeis
Hermann Maier wurde in Nagano 1998 zur Legende
© imago

Die Olympischen Winterspiele in Sotschi stehen vor der Tür. Bevor im Februar das Olympische Feuer brennt, widmet sich SPOX wieder den Olympic Moments. Teil sieben handelt von Hermann Maier, dessen Sturz 1998 in Nagano ihn zur Legende werden ließ - und seinen Ruf als Herminator für immer zementierte.

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Der Terminator höchstselbst, in adretten Zwirn gehüllt, glorifizierte ihn: "Er ist ein Landsmann und Freund, einer der größten Sportler aller Zeiten." Sein Blick schweifte hinüber zum erwartungsfrohen Gastgeber, zu US-Talkmaster Jay Leno, weiter ins Publikum der "Tonight Show". Gewohnt pathetisch wandte sich Arnold Schwarzenegger anschließend den Millionen vor der Mattscheibe zu.

"Dieser Sturz", räsonierte er in markantem austro-amerikanischem Dialekt, garniert mit kultiger Worthülse, "hätte jeden von uns das Leben gekostet. Aber er steht auf, blickt in die Kamera und sagt: 'I'll be back.' Deshalb nennt man ihn den Herminator." Sein Bruder im Geiste schmunzelte verlegen über die Hommage. Ganz wohl fühlte sich Hermann Maier nicht auf dem fremden Terrain. Wenngleich er auch im Showbiz angesichts seines rustikal-authentischen Habitus zu punkten vermochte.

Nach seinem Jahrhundertsturz in Nagano befragt, ließ er Leno, den berühmten Inquisitor, auflaufen. "Ich war womöglich zu schnell für diese Kurve", suggerierte der Skistar und beanspruchte die Lacher für sich: "Ich stieg hoch und dachte mir: 'Das ist nicht wie bei United Airlines.'"

Es war Freitag, der 13. Bezeichnenderweise. Nach schier nicht enden wollenden Kapriolen zeigte sich der Wettergott gnädig mit den alpinen Stars. Hakuba erstrahlte in frischem Weiß - endlich war die Stunde X gekommen. Resolut katapultierte sich der Österreicher mit vier kräftigen Stockschüben in die Abfahrt. Getrieben - und geblendet - vom unbändigen Siegeswillen.

Mit aller Gewalt zur Medaille

Sechs Erfolge verbuchte Maier bis zu den Olympischen Spielen. Als turmhoher Favorit nach Japan gereist, spitzte sich alles auf das eine Rennen zu. Er wollte die Gold-Medaille, die Krönung unter den fünf Ringen. Koste es, was es wolle. Unter den Füßen hatte er jene Raketen, die Markus Wasmeier vier Jahre zuvor in Lillehammer doppelt triumphieren ließen.

"Nach dem ersten Sprung wurde es ruhig im Helm. Ein Zeichen für starken Rückenwind. Bis zur lang gezogenen Rechtskurve beschleunigte ich extrem. Ich wollte sie enger nehmen als im Training. Obwohl die Piste viel schneller war."

Der abschließende Testlauf lag nunmehr sechs Tage zurück. Maier, mit der seltenen Gabe gesegnet, sich jedes Streckendetail haarklein einzuprägen, blieben die frappierenden Modifizierungen bis zur abschließenden Besichtigung keineswegs verborgen. Doch anstatt über versetzte Tore zu lamentieren, folgte er dem Hang zum Wagnis. Kompromisslos hielt er seine Linie, ehe ihm der verhängnisvolle Fehler widerfuhr.

Festgehalten für die Ewigkeit

Vor der Kante entglitt ihm der Außenski. Er stützte sich nach innen, versuchte so zu korrigieren. "Es kam zu einem Trampolin-Effekt. Ich wurde ausgehebelt, mein Körper beschleunigte extrem nach vorne. Die Kräfte waren unglaublich, sodass ich höher und höher stieg." Während die Sportwelt längst den Atem anhielt, kokettierte Maier gleichwohl mit einem Happy End.

"Wenn ich etwas weiter fliege, fallen die Beine durch die Schwerkraft nach unten", schilderte er den wahnwitzigen Irrglauben. "Plötzlich war ich allerdings manövrierunfähig." Waagrecht hing er in der Luft, die Abfahrtslatten auf Kopfhöhe, mit den Armen um Kontrolle rudernd. Eine hehrer Moment - festgehalten durch Carl Yarbrough.

Bewaffnet mit einer Leiter vertraute der schlitzohrige Fotoreporter seinem Instinkt. Dort, wo die FIS aus Sicherheitsgründen einen Kamera-Turm versetzen ließ, positionierte er sich. Und begründete den Mythos mit: "Ich wusste: Entweder er erschlägt mich, oder ich habe das Foto meines Lebens - ich hielt drauf." Unentwegt knipste er und erlebte hautnah, wie sein Motiv um Schadensbegrenzung bemüht war.

Vom Fotograf zum Millionär

Um das Genick zu schützen, drehte der Verunglückte sein Haupt zur Seite. Nur den Bruchteil einer Sekunde später detonierte er in den japanischen Schnee. Kopfüber mit rund 100 Stundenkilometern die Fangzäune durchschlagen, landete er meterweit dahinter sanft im Powder. Im heimischen Wohnzimmer schlugen seine Eltern die Hände über den Kopf. Den Fans im Zielraum widerfuhr Fassungslosigkeit. Bange Sekunden der Ungewissheit.

"Ich dachte, das kann er nicht überlebt haben", sinnierte Yarbrough. Er stolperte gen Maier, der aufstand, "als wäre nichts geschehen". Artig fragte er zunächst nach dessen Wohlbefinden und schob hinterher: "Great Shot!" Noch 16 Jahre danach ergötzen sich Fans weltweit am formvollendeten Februar-Cover der "Sports Illustrated". Es ist ein Bild mit unerschöpflicher Strahlkraft. Ein exklusives Stück Sportgeschichte, das Yarbrough zum Millionär machen sollte.

Geschockt quälte sich Maier, übersät mit Blutergüssen und Prellungen, zurück ins Hotel. Dort verharrte die Journalisten-Meute und drängte auf neue Informationen. Langsam dämmerte ihm die Tragweite seiner Bruchlandung. Zur kurzfristig anberaumten Pressekonferenz taumelte Maier in Trance. Ob der Traum zu Ende wäre? "Wenn ich noch eine Goldmedaille gewinne, dann bin ich unsterblich", proklamierte Maier hochtrabend.

Ein Wettlauf mit der Zeit

Zu seiner Blüte mutete die rot-weiß-rote Speerspitze prätentiös an, egozentrisch, war zum sturen Querkopf verkommen. Eine Art Selbstschutz, wie er heute, um einige Niederlagen und einen schweren Motorrad-Crash reifer, gestand: "Der Ski-Verband wollte mich nicht haben. Sie schmissen mir Prügel zwischen die Füße. In Nagano war es der absolute Größenwahn."

Jahre verdingte er sich auf dem Bau. Als gelernter Mauer schuftete Maier hart. Er reifte nicht im heilen Talentesystem zum Weltstar, kannte vielmehr den beschwerlichen Alltag. Nun loderte das Olympische Feuer in ihm. "Er hat sich bei mir gemeldet und geschildert, welche Blessuren er davongetragen hat. Von Rücken bis Knie. Trotzdem war Hermann felsenfest überzeugt, rechtzeitig für den Super-G fit zu werden", erklärte Heinrich Bergmüller gegenüber SPOX (hier geht's zum Interview).

Der Fitnessguru reiste, nachdem er sich mit dem ÖSV beharkte, als japanischer Betreuer an - und zwar ausgerechnet am Tag der Abfahrt. In Tokio gelandet erreichte ihn ein Anruf von Alpin-Direktor Hans Pum. Dieser bat ihn um eine Einschätzung zu Maiers Konstitution: "Er sagte mir: 'Wenn ich Hermann melde und er kann nicht starten, dann reißen sie mir den Kopf ab.'" Zur glücklichen, beinahe schicksalhaften Fügung im Wettlauf mit die Zeit sollte die witterungsbedingte Verschiebung werden.

Gegen jeden Widerstand

Dank seiner Ergebnisse war der nunmehr 41-Jährige um jeden Zweifel erhaben. Aber im ÖSV entbrannte ein Ärztestreit: "Es spielte sich ein Drama ab: Der eine Mannschaftsarzt sagte, Hermann würde nur über seine Leiche starten. Der andere war für eine Teilnahme. Sie bekriegten und zerstritten sich." Maier terminierte jeglichen Widerstand. Mit Hochdruck arbeitete er unter Anleitung Bergmüllers.

Statt Bettruhe wurde ihm Training auf dem Ergometer verordnet. Am Abend vor dem Super-G dann der Stresstest: "Er hatte keine richtige Belastung für sein lädiertes Knie, deshalb ließ ich ihn intensiv trainieren. Er sollte Spannung bekommen, merken, dass alles hält, und Vertrauen gewinnen."

Zwei Mal fünf Minuten radelte sein Schützling unter extremer Belastung. Ein Vabanquespiel. "Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen", erinnerte Bergmüller an die nervlichen Strapazen. "Ich war nicht sicher, ob es vielleicht zu viel war. Gott sei Dank entstand keine neue Schwellung."

"Vielleicht schmeißt er den Terminator weg"

72 Stunden nach dem Abflug stand Maier im Starthaus. In seiner Paradedisziplin. Mit unerschütterlichem Selbstverständnis. "Er hatte von seiner Genetik einen derart robusten Körper, war auf ein solch hohes Niveau getrimmt. Ein anderer hätte den Sturz vermutlich nur mit schlimmen Verletzungen überstanden. Er befand sich aber in einem Höhenflug, schüttelte das einfach ab." Maier legte einen Sicherheitslauf hin - und düpierte die Konkurrenz um über eine halbe Sekunde.

Beim Interview suggerierte er mit belegter Stimme: "Nach all dem hätte meine Karriere vorbei sein können. Wahnsinn!" Kurz darauf raste er im Riesentorlauf allen davon. Und die Sportwelt verneigte sich vor dem frischgebackenen Doppel-Olympiasieger. Der Ausgeschlossene wurde zum schillernden Heroen stilisiert, Maier zur boomenden Marke Herminator, deren Wert sogar auf astronomische zehn Millionen Dollar taxiert wurde.

Der Nimbus des Unbesiegbaren zog auch die Amerikaner in ihren Bann. Sie lieben solch hollywoodreife Inszenierungen. Schon damals meinte Maier augenzwinkernd: "Vielleicht schmeißt Arnie den Terminator jetzt weg und dreht einen Herminator-Film." Über den Flug für die Ewigkeit.

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