Der Fluch der Leitplanke

Felix Neureuther schied im Slalom im zweiten Durchgang aus
© getty

Felix Neureuthers Autounfall war ein schlechtes Omen, im Slalom kommt am 15. Tag der Olympischen Winterspiele in Sotschi das vorzeitige Aus. Rodel-König Felix Loch rät zum Frustsaufen. Biathlet Erik Lesser hat die Hosen voll, holt dann mit der Staffel aber Silber. Snowboarderin Amelie Kober wird zur Iron Lady, ein finnischer Oldie zum Mann des Tages. Yohan Goutt Goncalves zwingt den Staat Osttimor dazu, ein Wort für Skifahren zu erfinden.

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Sie war ein schlechtes Omen, diese verdammte Leitplanke. Vor acht Tagen war Felix Neureuther auf dem Weg zum Flughafen bei Blitzeis mit seinem Auto in sie hineingekracht. Die Folge: Schleudertrauma und Nackenverletzung, der Abflug nach Sotschi musste verschoben werden. Irgendwie war seither absehbar, dass diese Geschichte nicht gut ausgehen würde.

Nun die bittere Bestätigung. Neureuther konnte zwar - was lange alles andere als gesichert war - im Slalom starten, bekam aber im zweiten Durchgang eine blaue Torstange zwischen die Beine. Wie 2006 in Turin und 2010 in Vancouver platzte auch diesmal der Traum von einer Medaille vorzeitig. "Das war die bitterste Woche meiner Karriere", war Neureuther anschließend komplett bedient.

Ähnlich dramatisch endeten die Winterspiele für Fritz Dopfer. Der 26-Jährige war nach dem ersten Durchgang zwar nur 14., düste anschließend aber grandios nach vorne und verpasste Bronze um mickrige fünf Hundertstel. "Es ist ein bisschen tragisch", sagte Wolfgang Maier mit Tränen in den Augen. Es waren aber auch Tränen der Wut, die der DSV-Sportdirektor vergoss. Der Grund: Der Vater von Ivica Kostelic, Ante Kostelic, hatte den Kurs für den zweiten Durchgang extrem schwierig und nach Maiers Ansicht "unwürdig für Olympia" abgesteckt.

Wie es jetzt für die deutschen Skifahrer weitergeht? "Jetzt brauche ich erstmal Abstand", meinte Neureuther. Der womöglich beste Tipp kam via "Twitter" von Rodel-König Felix Loch: "Fritz und Felix, da hilft nur eins: a Bier im Kufenstüberl! Kopf hoch, Jungs! Ihr warts trotzdem super!"

Für einen Paukenschlag sorgten derweil Anke Karstens und Amelie Kober, die den deutschen Snowboardern im Parallel-Slalom mit Silber und Bronze überraschend doch noch zwei Medaillen sicherten. "Es ist der Wahnsinn, was die gesamte Mannschaft heute abgeliefert hat", jubelte Sportdirektor Stefan Knirsch.

Dabei wäre für Karstens sogar der Olympiasieg möglich gewesen. Die 28-Jährige unterlag im Finale allerdings der Österreicherin Julia Dujmovits. Dennoch war Karstens Freude - völlig zurecht - ungetrübt. "Ich habe nichts verloren, ich habe Silber gewonnen", stellte Karstens klar. Kober raste derweil verletzt und unter starken Schmerzen zu Bronze (mehr dazu bei der Frau des Tages).

Der Tag zum Nachlesen im Ticker

"Lesser hat die Hosen voll", skandierte im Biathlonstadion Laura glücklicherweise niemand. Dabei gab der mit zwei Mal Silber erfolgreichste deutsche Biathlet in Sotschi zu, vor dem Staffel-Rennen ungewöhnlich nervös gewesen zu sein. "Ich war so aufgeregt", sagte Erik Lesser: "Ich habe meine Unterwäsche ein paar Mal wechseln müssen."

Ein Grund waren sicher die Ereignisse der vergangenen Tage: derr Dopingschock um Evi Sachenbacher-Stehle, deren Privatwohnung vom LKA Bayern durchsucht wurde, und auch das zuvor äußerst mäßige sportliche Abschneiden des gesamten Teams. Kein Wunder also, dass nach dem zweiten Platz von Lesser, Simon Schempp, Daniel Böhm und Arnd Peiffer hinter den Russen die Erleichterung riesig war. "Das haben die Jungs bravourös gemacht. Großes Kompliment auch bei den Vorgeschichten", meinte Trainer Mark Kirchner.

Durch dreimal Edelmetall steht Deutschland mittlerweile bei 19 Medaillen - und vielleicht kommt ja am 16. und letzten Tag der Spiele (7.45 Uhr im LIVE-TICKER) noch eine dazu. Im Viererbob gibt's nämlich durchaus gerechtfertigte Hoffnungen. Zudem steht der Langlauf-Marathon über 50 km und das große Eishockey-Finale zwischen Schweden und Team Canada an.

Die Entscheidungen des Tages:

WettbewerbEntscheidung
Langlauf/30km Massenstart, FrauenBjörgen schreibt Geschichte
Snowboard/Parallelslalom, FrauenSilber für Karstens - Bronze für Kober!
Snowboard/Parallelslalom, MännerGold! Wild nicht zu stoppen
Eisschnelllauf/Teamverfolgung, MännerTeamverfolgung: Niederländer nicht zu stoppen
Eisschnelllauf/Teamverfolgung, FrauenUnd nochmal Gold! Auch Oranje-Frauen räumen ab
Biathlon/Staffel, MännerDeutsche Biathlon-Staffel gewinnt Silber
Ski Alpin/Slalom, MännerÖsterreicher Matt holt Slalom-Gold

Was sonst noch wichtig war:

Eishockey: Was für eine Enttäuschung!!! Mit einer schallenden Ohrfeige und ohne Medaille im Gepäck treten die US-Boys die Heimreise an. Einen Tag nach der 0:1-Pleite gegen Kanada im Halbfinale ging das Team von Coach Dan Bylsma im Kampf um Bronze nach einem leblosen Auftritt mit 0:5 gegen Finnland unter.

Dabei vergab Patrick Kane gleich zwei Penaltys. Erst scheiterte der 25-Jährige von den Chicago Blackhawks an Finnen-Goalie Tuukka Rask (14.), später am Pfosten (27.). Nach einem torlosen ersten Drittel stellten Teemu Selänne und Jussi Jokinen in der 22. Minute durch zwei Treffer innerhalb von elf Sekunden die Weichen auf Sieg.

Im Schlussabschnitt sorgten Juuso Hietanen (47.), erneut Selänne (50.) und Olli Maatta (54.) für die insgesamt fünfte Medaille einer finnischen Eishockey-Mannschaft bei Olympischen Spielen. Neben Goalie Rask (27 Saves) und Selänne (2 Tore) kamen bei Finnland mit Jokinen (1 Tor, 1 Assist), Jori Lehtera, Lauri Korpikoski und Mikael Granlund (alle drei 2 Assists) vier weitere Spieler auf jeweils zwei Scorerpunkte.

Bob: Es gibt Hoffnung. Hoffnung, dass das totale Debakel der deutschen Bobfahrer doch noch abgewendet werden kann. Nach zwei von vier Läufen belegt Maximilian Arndt mit seiner Crew im Vierer den dritten Platz hinter Alexander Subkow (Russland) und Oskars Melbardis (Lettland). Thomas Florschütz liegt auf dem fünften Platz, Francesco Friedrich ist Neunter.

Mann des Tages: Teemu Selänne

Spielfreudig wie ein junger Hüpfer und abgezockt wie ein alter Hase: Diese Mischung macht Kapitän Teemu Selänne zu einem ganz Großen. Mit zwei Toren führte der Angreifer von den Anaheim Ducks die finnische Eishockey-Nationalmannschaft zum 5:0-Sieg gegen die USA und dem damit verbundenen Gewinn der Bronzemedaille.

Mit 43 Jahren und 234 Tagen ist Selänne der älteste Eishockey-Spieler, der je bei Olympia eine Medaille holte. Zur Einordnung: Als The Finnish Flash 1992 erstmals eine Partie bei Winterspielen absolvierte, war sein heutiger Teamkollege Mikael Granlund noch nicht einmal geboren.

"Trotz seines Alters spielt er noch auf höchstem Niveau. Und es ist nicht so, dass er es gerade noch so schafft, er macht den Unterschied aus, hilft dem Team zu gewinnen. Deswegen respektiert ihn jeder so sehr", ist Granlund vom Oldie begeistert.

"Ich bin bei 100 Prozent und sogar noch etwas hungriger, als ich es jemals war. Ich habe vielleicht nicht mehr dieselben Beine wie früher, bin aber mental sicher stärker", sagt Selänne. Dennoch war die Partie gegen die USA sein letztes Länderspiel: "Vor 26 Jahren habe ich mein erstes Länderspiel bestritten. Dieses Spiel war ein wunderbarer Abschluss."

Frau des Tages: Amelie Kober

Anke Karstens holte Silber und natürlich wäre auch Langläuferin Marit Björgen eine mögliche Wahl gewesen. Die Umstände, wie aber Amelie Kober im Snowboard-Parallelslalom zu Bronze rauschte, machen die 26-Jährige zur Frau des Tages. Hart, härter, Kober! Die Bundespolizistin war nämlich am Mittwoch gestürzt und hatte sich einen knöchernen Kapselausriss im Ellbogen zugezogen.

Doch weder die Behinderung durch eine Schiene am linken Arm, noch die starken Schmerzen konnten Kober aufhalten - auch wenn zwischendurch Zweifel aufkamen. "Die Starts waren sehr schmerzhaft. Ich war zwar darauf eingestellt, aber hin und wieder dachte ich mir: 'Was machst du da eigentlich?'", erklärte die Kämpferin aus Bad Aibling.

Dass Kober hart im Nehmen ist, stellte sie in Sotschi nicht zum ersten Mal unter Beweis. 2010 in Vancouver war sie schwanger und nahm dennoch teil. "Ich wusste, dass ich unheimlich kämpfen muss. Aber ich wusste auch, dass ich nichts zu verlieren habe", meinte die Silbermedaillengewinnerin von 2006 nun: "Die Medaille ist auch für meinen Sohn."

Sprüche des Tages:

"Es ist ein Unding, einen solchen Kurs zu setzen. Eine Katastrophe. Ab einem gewissen Alter haben manche Leute bei Olympia nichts mehr zu suchen." (DSV-Alpindirektor Wolfgang Maier über Ante Kostelic, der den Kurs zum zweiten Slalom-Lauf abgesteckt hatte)

"Ich verbringe mit dem Kerl sechs Monate im Jahr. Es wäre furchtbar, wenn wir uns hassen würden." (US-Bobpilot Steven Holcomb über seine Freundschaft mit seinem russischen Rivalen Alexander Subkow)

"Drei Niederländer in einem Rennen sind einfach zu viel. Der Weltverband ISU sollte darüber nachdenken, ihr Team auf zwei Läufer zu beschränken." (Der französische Eisschnellläufer Benjamin Mace nach dem Ausscheiden in der Teamverfolgung gegen die Niederlande)

"Es ist schwierig, schnell den Berg hinunterzufahren." (Die slowenische Alpin-Doppelolympiasiegerin Tina Maze nach dem achten Platz im Slalom)

"Einige hören gerne Musik. Wenn ich Nezka im Scrabble schlage, weiß ich, dass ich in guter Form bin. Sie ist sehr gut." (Maze über ihre Vorbereitung mit Physiotherapeutin Nezka Poljanesk)

"Wunder sind kein Zufall. Du hast dein Schicksal selbst in der Hand. Ich bin hierher gekommen, um mein eigenes Wunder zu schaffen." (Die Amerikanerin Mikaela Shiffrin nach ihrem Olympiasieg im Slalom)

"Zwei Frauen in einem Raum sind ja schon das totale Chaos. Zwei Frauen auf einem Schlitten würden sich wohl die Augen auskratzen." (Die russische Rodlerin Tatjana Iwanowa über die Idee, den Doppelsitzer-Wettbewerb auch für Frauen einzuführen)

"Es ist wie Disney World für Athleten - und ich habe Micky Mouse getroffen." (Die kanadische Curling-Olympiasiegerin Kirsten Wall über eine Begegnung mit Eishockey-Superstar Sidney Crosby)

"Dieses Rennen kann mächtig Spaß machen - aber es tut auch so verdammt weh." (Petter Northug blickt mit gemischten Gefühlen auf das 50-km-Rennen der Langläufer am Sonntag voraus)

Zahlen des Tages:

3 Mal Gold und einmal Bronze holte Russlands Shorttracker Wiktor Ahn. Damit steht der 28-Jährige als erfolgreichster Sotschi-Teilnehmer fest.

3 Mal Kim! Donghyun Kim, Sik Kim, Kyunghyun Kim und Jeahan Oh: So liest sich die Besatzung des Viererbobs Südkorea II.

4 Doping-Fälle haben die Spiele in Sotschi mittlerweile zu beklagen. Neben der deutschen Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle und dem italienischen Bobfahrer William Frullani wurden nun auch die ukrainische Langläuferin Marina Lisogor und der lettische Eishockeyspieler Vitalijs Pavlovs positiv getestet.

Hier geht's zum Medaillenspiegel

6 Mal Gold! Unfassbar, was Langläuferin Marit Björgen in ihrer Karriere leistet. Durch den Olympiasieg im 30-km-Massenstartrennen stieg die Norwegerin zur erfolgreichsten Teilnehmerin in der Geschichte Olympischer Winterspiele auf. Mit sechs Goldmedaillen, drei Mal Silber und einer Bronzemedaille verdrängte Björgen die russische Langläuferin Ljubow Jegorowa (6-3-0) von der Spitze der ewigen Frauen-Rangliste.

6 Olympiateilnahmen hat Ski-Exot Hubertus von Hohenlohe nun auf dem Konto. Der 55-Jährige, der für Mexiko startet, kam im Slalom allerdings nicht ins Ziel. Von Hohenlohe ist das Aussehen aber ohnehin wichtiger als der sportliche Erfolg. "Ich will unter den drei bestgekleideten Teilnehmern landen", sagte er. Der Ski-Prinz trat diesmal mit einem Rennanzug im Stil eines Mariachi-Sängers an - das sollte reichen.

23 von 36 Medaillen im Eisschnelllauf gingen an die Niederlande. Zum Abschluss holten Ireen Wüst, Marrit Leenstra und Jorien ter Mors Gold in der Teamverfolgung der Frauen. Bei den Männern triumphierten Sven Kramer, Jan Blokhuijsen und Koen Verweij.

6000 Flugkilometer legte Lizzy Yarnold mal schnell zurück. Die britische Skeleton-Olympiasiegerin flog für einen Besuch in einer BBC-Talkshow von Sotschi nach London, um zwei Tage später wieder ans Schwarze Meer zurückzukehren. Der Grund: Die 25-Jährige trägt am Sonntag bei der Schlussfeier die britische Fahne.

Name des Tages:

Die demokratische Republik Timor-Leste, besser als Osttimor bekannt, muss der von uns aus gesehen am schwierigsten zu erreichende Staat der Erde sein. Wie sonst kann es sein, dass Bestsellerautor und Welterklärer Peter Scholl-Latour dieses Land einst als allerletzten weißen Fleck von seiner persönlichen Weltkarte entfernte?

Wie Scholl-Latour kennen auch Olympische Spiele keine Grenzen, weshalb selbst der südostasiatische Inselstaat in Sotschi erstmals bei Winterspielen überhaupt vertreten ist - in Form des Skifahrers Yohan Goutt Goncalves, der im Slalom an den Start ging und mit 49,05 Sekunden Rückstand auf dem 45. Platz landete.

Yohan Goutt Goncalves stammt aus Frankreich, die Mutter des 19-Jährigen ist Osttimoresin. Skifahren würde man in Osttimor übrigens keinesfalls als Randsportart beschreiben, es existierte bisher schlichtweg nicht. Der Beweis: In der Landessprache Tetum musste kurz vor den Spielen erst ein Wort für Skifahren erfunden werden.

Der Olympia-Zeitplan

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