Vom Veteran zum Vorbild

Von Adrian Bohrdt
Betont lässig: Heath Calhoun ist ein Vorbild. Großes Aufsehen will er aber vermeiden
© getty

Er ist eine der schillernden Persönlichkeiten der Paralympics und soll für die USA auf Medaillen-Jagd gehen. Heath Calhoun hat den harten Weg nach seiner schweren Kriegsverletzung gemeistert und ist mit seiner positiven Art Vorbild für viele. Der Veteran, der im Irak beide Beine verlor, saß seit neun Jahren nicht mehr im Rollstuhl. Seinen Kriegseinsatz bereut er trotz allem nicht.

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Es war 1999, als sich Calhoun in die US-Army einschrieb und damit eine Familientradition fortsetzte. Sein Großvater hatte im zweiten Weltkrieg gedient, der Vater war in Vietnam. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 wurde er schließlich mit der 101. Airborne Division in den Irak geschickt. Bei einem Angriff auf seinen Konvoi verlor er 2003 beide Beine.

"Ich war im Irak und eine raketenbetriebene Granate hat meine beiden Beine oberhalb der Knie amputiert", erinnerte er sich Jahre später bei "NBC": "Ich habe mich wirklich lange an die Prothesen gewöhnen müssen, aber nach zweieinhalb Jahren im Rollstuhl hatte ich die richtige Materialzusammensetzung für eine Prothese gefunden, mit der ich aufstehen konnte." Seit 2006 saß der Veteran nicht mehr im Rollstuhl.

Dabei betont er stets, dass auch er hin und wieder daran dachte, aufzugeben: "Ich wollte am Anfang mit den Prothesen aufhören, als ich Infektionen hatte. Es gab sogar Zeiten, da wollte ich aufhören Ski zu fahren. Aber ich habe das verdrängt und weitergemacht. Aufhören kann man morgen immer noch. Solange man weiter macht, kann man am nächsten Tag immer noch aufhören."

Das schüchterne Vorbild

Bereits 2010, sieben Jahre nach der schweren Verletzung, nahm Calhoun an den Paralympics in Vancouver teil und wurde Achter im Super-G sowie Zehnter in der Alpinen Kombination. Doch nicht nur das: Der 34-Jährige durfte bei der Eröffnungsfeier die amerikanische Flagge tragen, wenngleich er sportlich als klarer Außenseiter in die Spiele ging.

In der Rolle des Vorbilds fühlt er sich dennoch sichtlich unwohl: "Wenn es irgendjemanden gibt, der zu mir aufschaut, ist das eine große Ehre. Aber ich selbst mache mir darüber wenig Gedanken."

Sofort verliebt in die Skier

Immerhin hatte Calhoun erst einige Jahre vorher mit dem Skifahren angefangen - fünf Monate nach seiner Verletzung, noch während seines Aufenthalts im Walter Reed Army Medical Center in Maryland.

"Eines der ersten Dinge das mir gezeigt wurde war das Skifahren. Ich habe mich sofort verliebt. Dabei fühlte ich mich frei und wollte es so oft wie möglich machen", berichtete der Veteran später.

Weiter führte er aus: "Ich saß in einem Rollstuhl, aber das wollte ich nicht. Ich wollte wieder laufen und zu meinem vorherigen Leben zurück. An irgendeinem Punkt habe ich akzeptiert, dass es nie mehr so werden würde wie früher, aber dass es anders und sogar besser sein könnte. Das Skifahren hat mich auf ein Level mit allen anderen gebracht und von da an wollte ich einfach gut darin sein - ich wollte der Beste sein."

"Habe entschieden, das Positive zu sehen"

Doch auch neben der Piste begann Calhoun jetzt, sich verstärkt zu engagieren. So half er 2005 ein Gesetz im Kongress durchzusetzen, durch das verletzte Soldaten besser abgesichert werden. Im gleichen Jahr lernte er auf einem Workshop einen Prothesenhersteller kennen, der ihn nach zweieinhalb Jahren mit der richtigen Prothese ausstatten sollte.

Außerdem ist Calhoun mittlerweile Sprecher des Wounded Warrior Projects, einer Organisation die verwundeten Veteranen diverse Leistungen und Aktionen bietet, und bringt darüber hinaus behinderten Mensch das Skifahren bei. Seine positive Art wirkt auf andere ansteckend und im Umgang mit seiner Verletzung beweist er sogar Humor: Calhouns Twitter-Name ist "LeglessHeath".

"Ich hätte mich auch zuhause hinsetzen können, mich ärgern und enttäuscht darüber sein können, wie sich mein Leben entwickelt hat", blickt der dreifache Vater mittlerweile stolz zurück: "Aber ich hatte das Gefühl, dass ich noch so vieles hatte, wofür es sich zu leben lohnt, anstatt mich selbst zu bemitleiden. Deshalb habe ich entschieden, das Positive zu sehen und es hat mich auf einen tollen Weg gebracht."

"Jeder hat tragische Geschichte"

Mittlerweile ist Calhoun ein Star. 2010 war er das Thema der Doku "The Fall Line" und vor den Paralympics in Sotschi hat er die Hauptrolle in einem landesweiten AT&T-Werbespot. Dennoch ist es ihm wichtig, sich nicht über andere Athleten zu stellen: "Ich denke jeder bei den Paralympics hat eine tragische Geschichte, irgendetwas hat nicht so geklappt, wie es hätte klappen sollen."

Stattdessen versucht er, die Spiele als eben das zu sehen, was sie sind - ein sportlicher Wettkampf, bei dem er in den Disziplinen Downhill, Slalom, Super G und Super Kombination abräumen will.

"Würde alles wieder so machen"

"Die Paralympics geben mir eine Plattform um der Welt zu zeigen, was ich kann. Das ist wichtig für uns um zu zeigen, dass es tolle Athleten gibt und dass es nicht immer perfekt ist oder das ist, was man erwartet. Es gibt aber keinen Grund, aufzugeben."

Zweifellos eine Einstellung, die den 34-Jährigen auszeichnet und andere motiviert. Denn auch enttäuschte Rückblicke oder "Was-wäre-wenn"-Fragen erlaubt sich Calhoun nicht. "Ich kannte das Risiko", antwortet er geduldig auf die häufigen Fragen nach seinem schicksalhaften Irak-Einsatz: "Ich würde alles wieder genauso machen."

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