Wolf holt Silber hinter Lee

SID
Denkbar knapp verlor Jenny Wolf gegen Lee Sang-Hwa und bekam nur Silber
© Getty

Jenny Wolf brauchte etwa 30 Sekunden, um aus der größten Enttäuschung ihrer Karriere eine fröhliche Silberparty zu machen.

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Nachdem die Topfavoritin olympisches Gold im 500-m-Sprint um fünf Hundertstelsekunden verfehlt hatte, stützte sie die Hände niedergeschlagen auf die Knie und trauerte auf der Eisbahn im Richmond Oval eine halbe Runde lang sichtbar niedergeschlagen der vergebenen Chance hinterher.

Plötzlich klatschte sie zweimal aufmunternd in die Hände, richtete sich auf und winkte lächelnd ins Publikum. 'In diesem Moment habe ich mir gesagt: "Du hast Silber gewonnen, und darüber sollte man sich freuen", sagte Wolf, die ihren großen Traum noch nicht ganz aufgeben will: "Für mich sind Olympiasieger immer noch die größten, deshalb glaube ich im Moment, dass ich es in vier Jahren noch einmal versuchen werde."

"Ein guter Lauf reicht halt nicht aus"

Später am Abend, im Deutschen Haus, meinte sie, die endgültige Entscheidung über die Fortsetzung ihrer Karriere stehe noch aus. 2014 bei Olympia in Sotschi wäre sie 35 Jahre alt. Ihrem Trainer Thomas Schubert gelang die schnelle Umkehr der Gefühle nicht. "Sie hat nicht Silber gewonnen, sondern Gold verloren, so einfach ist das", sagte Schubert und konnte den sarkastischem Unterton in seiner Stimme nicht verbergen: "Seit geraumer Zeit besteht der 500-m-Sprint aus zwei Läufen. Ein guter reicht halt nicht aus."

Die Nummer mit Sotschi nahm er seinem Schützling nicht ab. "Ich kann nicht glauben, dass sie es nochmal versucht. Ich denke, sie hat eine andere Lebensplanung", sagte Schubert und blickte auf Wolfs Freund Oliver, der einige Meter weiter im Foyer des Richmond Ovals stand. Der Berufssoldat, den die überzeugte Pazifistin Wolf im Sommer heiraten wird, sicherte seiner künftigen Frau bei allen ihren Plänen Unterstützung zu.

Wang stärker eingeschätzt als Lee

Doch auch er schien nicht recht an eine Fortsetzung ihrer Karriere zu glauben: "Jenny braucht jetzt etwas Zeit." Zuvor hatte wohl eine Verkettung unglücklicher Umstände den entscheidenden Ausschlag gegeben, dass sich die haushohe Favoritin am Ende der erst 20 Jahre alten Sprint-Weltmeisterin Lee Sang-Hwa aus Südkorea beugen musste.

Knackpunkt war der erste Durchgang. Zunächst lieferte Wolfs vermeintlich schärfste Rivalin Wang Beixing aus China, die später Bronze gewann, eine durchschnittliche Leistung ab. "Da fiel schon etwas die Spannung ab", sagte Wolf, die Wang stärker eingeschätzt hatte als Lee.

Dann stürzte in der Paarung vor ihrem ersten Duell mit Lee die Niederländerin Annette Gerritsen. Das Eis musste repariert werden. Bei Wolf, die am Start warten musste, stieg die Nervosität. Der folgende Fehlstart von Lee gab ihr dann den Rest. "Wenn jemand einen Fehlstart macht, bin ich immer etwas wackelig", sagte Wolf, die, obwohl an Lees Vergehen schuldlos, der Regel entsprechend bei einem folgenden Fehlstart disqualifiziert worden wäre.

Wolf: "Mental nicht stark genug"

"Ich war mental nicht stark genug, in dieser Situation locker zu bleiben", sagte Wolf. Sie verlor im ersten Durchgang auf die wie entfesselt laufende Wang sechs Hundertstel, die sie im zweiten Rennen nicht mehr aufholen konnte: "Ich habe auf der Ziellinie ihren Fuß neben meinem gesehen, da war mir klar, dass es nicht gereicht hat."

Jetzt will Wolf Olympia genießen und etwas Zeit mit ihrem Verlobten sowie mit Vater Hartmut und Schwester Julia verbringen, die zur Unterstützung mitgereist sind. Das Eis im Richmond Oval lässt sie aber nicht ganz los.

"Es war eine Riesenstimmung in der Halle, und die Rennen haben Spaß gemacht. Ich wüsste nicht, warum ich nicht auch über die 1000 Meter am Donnerstag starten sollte", sagte Wolf. Da hat sie keinen Druck, denn die Medaillenkandidatinnen sind andere.

Wolf nach erstem Durchgang nur Zweite