Der schmutzigste Sport der Welt

Das Gewichtheben hat in Sachen Doping zurecht einen desolaten Ruf
© getty

Das Gewichtheben kommt auch bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio nicht aus den Negativschlagzeilen heraus - ganz im Gegenteil. Zahlreiche Ex-Betrüger sind am Start und bestätigen das katastrophale Bild. Auch auffällig tiefe Frauenstimmen sorgen für Ärger.

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Ronny Wellers Olympiasieg 1992 in Barcelona, Matthias Steiners emotionaler Triumph bei den Spielen 2008 in Peking: Das Gewichtheben hat Deutschland unvergessliche Momente geschenkt, die den Fans, die sie erlebt haben, bis heute unter die Haut gehen.

Olympic Moments: Steiners Peking-Coup

Allerdings leidet die Sportart seit vielen Jahren unter massiven Dopingproblemen, die aktuell einen weiteren, unrühmlichen Höhepunkt erreichen. So traurig es auch ist: Dass die Medaillengewinner der Wettbewerbe in Rio sauber sind, muss nach den Erfahrungen der Vergangenheit angezweifelt werden.

Das aktuellste Beispiel ist das der polnischen Brüder Adrian und Tomasz Zielinski. Beide wurden am Zuckerhut positiv auf das anabole Steroid Nandrolon getestet und deshalb von der Teilnahme in Brasilien ausgeschlossen. Die Brüder bestreiten natürlich, ein verbotenes Medikament genommen zu haben.

"Ein Drama, ein Skandal"

Bereits im Vorfeld hatten sich Dinge abgespielt, die einfach nur als Farce zu bezeichnen sind. Russland und Bulgarien wurden zwar wegen systematischem Doping nicht zu den Spielen zugelassen, trotzdem tummeln sich an der Copacabana zahlreiche Athleten mit nachweislich betrügerischer Vergangenheit.

"Die Probleme sind offensichtlich. Es ist ein Drama, es ist ein Skandal, es muss etwas passieren", startete Steiner via Bild einen fast schon verzweifelten Hilferuf.

Das Problem verdeutlicht eine schon über zehn Jahre alte Aussage Wellers: "Die bescheißen doch alle. Da tauchen plötzlich Gestalten auf, die kannte vorher kein Mensch, und mischen vorne mit." Geändert hat sich also offensichtlich nicht viel.

Eigentlich war damit gerechnet worden, dass zumindest noch Kasachstan und Weißrussland für Rio gesperrt würden. Der Weltverband IWF hatte die Länder bereits wegen dreier positiver Nachtests von vergangenen Olympischen Spielen sanktioniert. Doch beide Länder sind startberechtigt.

Bundestrainer stinksauer

"Das IOC hätte sagen müssen: Kasachstan - 27 Dopingfälle seit 2012? Raus mit euch! Weißrussland - 14 Fälle? Ihr habt systematisch betrogen: Raus mit euch! Stattdessen dürfen die munter starten", kann es Bundestrainer Oliver Caruso nicht fassen.

Außerdem nannte der 42-Jährige noch Usbekistan, Armenien, Moldawien, Rumänien und die Ukraine als Länder, in denen im Gewichtheben systematisch betrogen werde. "Das System ist krank. Das ganze System ist korrupt", wetterte Caruso. Auch die Türkei und Aserbaidschan werden immer wieder genannt, wenn es um Doping im Gewichtheben geht.

Carusos Vorwürfe ganz von der Hand zu weisen, ist unmöglich. Ungeniert Anabolika oder andere Substanzen zu nehmen, ist in der Szene weit verbreitet.

Ergebnisse der Nachtests eine Schande

Die Ergebnisse der Nachtests der vergangenen Olympischen Spiele in Peking 2008 und London 2012 sind für die Sportart eine Schande. Bei der ersten Welle stammten 20 von 55 positiven Doping-Proben aus dem Gewichtheben. Es kamen bei der zweiten Testrunde noch einmal 11 dazu, macht also insgesamt 31. Darunter sind zahlreiche Medaillengewinner.

Russland führt im Gesamtranking der nachgewiesenen Doping-Betrüger mit sieben Fällen vor Kasachstan (6), Weißrussland und Aserbaidschan (je 4). Die Kasachen stellten gleich vier gedopte Olympiasieger. Dazu gehört Nationalheld Ilja Iljin, der sowohl in Peking als auch in London Gold holte und beide Male gedopt war.

Nicht besser sieht es übrigens bei den Frauen aus. Von 21 Medaillen-Gewinnerinnen in London waren zehn nicht ganz sauber. In der 75-Kilo-Klasse wurde gleich das gesamte Podest nachträglich erwischt. Olympiasiegerin ist nun die Spanierin Lidia Valentin, die ihre Goldmedaille per Post zugeschickt bekam.

"Wir bleiben positiv"

Gedopt wird im Gewichtheben, was das Zeug hält - und natürlich nicht nur bei Olympischen Spielen. Bei der WM 2014 in Kasachstan waren 130 Athleten von vorneherein gesperrt, ein Jahr später in Houston kam es noch dicker: 24 Dopingfälle in acht Tagen, jeder zehnte Test positiv: So lautete die Bilanz von Texas.

Aufgrund der absurd hohen Zahlen flüchtete sich damals der Präsident der deutschen Heber, Christian Baumgartner, in Sarkasmus: "Wir bleiben positiv! Was auch sonst?"

Insgesamt soll es im Gewichtheben in den vergangenen 13 Jahren deutlich über 600 positive Dopingtests gegeben haben. Um bei Baumgartners Sarkasmus zu bleiben, könnte man sagen: Dagegen kann beispielsweise die Leichtathletik einpacken.

Tiefe Frauen-Stimmen sorgen für Misstrauen

Wie überall sind die Leidtragenden die Athleten, die ihren Sport ehrlich betreiben. Wie Sabine Kusterer, die anstatt auf Anabolika auf Bananen mit Nutella setzt. Sie hatte in Rio in ihrer Gewichtsklasse bis 58 kg nichts mit der Medaillenvergabe zu tun.

Gold ging an Sukanya Srisurat. Die Thailänderin war vor fünf Jahren als 16-Jährige positiv auf ein anaboles Steroid getestet und für zwei Jahre gesperrt worden.

"Wenn ich neben meinen Konkurrentinnen stehe und man hört die tiefe Stimme, dann weiß ich, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht. Ich hoffe darauf, dass sie noch erwischt werden und es ein kleines Happy End gibt", sagte Kusterer dazu der taz.

Dopingmeldungen wie Wasser trinken

Ähnlich geht es mit Almir Velagic einem weiteren deutschen Athleten, der in der Klasse ab 105 kg antritt. "Es ist schon immer so gewesen, dass ich mir meine Konkurrenten anschaue und denke: Eigentlich dürfte der hier nicht am Start sein", sagte der 35-Jährige. Unterkriegen lässt er sich davon nicht, das Gewichtheben macht ihm einfach zu viel Spaß.

Illusionen gibt sich Velagic allerdings schon längst nicht mehr hin. Er sagt einen Satz, der traurig ist, die Wahrheit aber ziemlich genau auf den Punkt bringt: "Wir Gewichtheber wachsen mit Dopingmeldungen auf. Das ist leider so selbstverständlich wie Wasser trinken."

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