"Der Druck war unvorstellbar groß"

SID
Heinrich Popow gewann in London Gold über die 100 Meter
© getty

Spaß haben. Möglichst zweimal Gold holen. Und viel erleben. Das sind die natürlichen Ziele von Paralympicssieger Heinrich Popow. Doch für die Spiele in Rio de Janeiro (7. bis 18. September) hat der 33-Jährige noch ein ganz anderes, vielleicht viel wichtigeres Ziel.

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"Ich werde im Gegensatz zu London meine eigene Person nicht aus den Augen verlieren."

2012 in London gewann der Leverkusener Gold über 100 m. Doch irgendwie fühlte es sich nicht so toll an wie gedacht. "In London habe ich erlebt: Wenn man auf Gold fokussiert ist, fühlt sich das nachher nicht so schön an", sagt Popow im SID-Interview: "Wenn man mir ins Gesicht geschaut hat, hat man erkannt, dass ich nach der Bronzemedaille von Athen glücklicher ausgesehen habe als nach der Goldmedaille von London."

Der Grund: "Vor London wurde eine riesige Marketingmaschinerie um mich herum aufgebaut. Das hat mir viel Kraft geraubt. Die Goldmedaille war geplant, organisiert, die Marketingmaschinerie hat funktioniert, und ich habe zum Glück auch funktioniert. Aber der Druck war unvorstellbar groß. Ich hatte mir vorgenommen: Wenn ich Gold gewinne, nehme ich London auseinander. Wenn ich ehrlich bin: Am Ende habe ich in meinem Zimmer gefeiert. Ich war froh, niemanden zu sehen und meine Ruhe zu haben. Ich kam mit der Situation nicht klar."

Er habe sich einfach "unwohl gefühlt. Ich will nicht vor die Kameras gehen und überlegen, was ich sagen muss, um diesem oder jenem nicht weh zu tun", erklärt Popow: "Ich will sagen, was ich denke, authentisch bleiben. Aber ich habe gemerkt: Wenn Du ganz oben bist, musst Du überlegen, was Du sagst und wann Du es sagst. Aber wenn es mir scheiße geht, sage ich das. Auch mit der Wortwahl." Vor Rio habe er nun "wenig Interviews gemacht, wenig PR. Auf Facebook habe ich wochenlang keinen Post abgesetzt. Vor London gab es jeden Tag einen."

"Das Thema Techno-Doping ist heiß"

Das ändert nichts daran, dass Popow unbequeme Wahrheiten ausspricht. "Das Thema Techno-Doping ist heiß", sagt der Leverkusener, dem im Alter von neun Jahren wegen einer Krebserkrankung das linke Bein oberhalb des Knies amputiert werden musste: "Manche Athleten stoßen beim Sitzen mit dem Knie an die Nase, weil der Unterschenkel so lang ist. Das sieht aus wie im Zirkus. Das ist Affentheater, das hat nichts mit Leistungssport zu tun."

Obwohl das einseitig Amputierte nicht betrifft - wie ihn oder den zu Olympia nicht zugelassenen Weitsprung-Weltrekordler Markus Rehm - ist er auch gegen einen gemeinsamen Start von Athleten mit Prothesen und Nichtbehinderten. "Das hat nichts mit Markus zu tun", versichert Popow: "Aber ich bin generell der Meinung, dass der Vergleich so schwer ist, dass man das nicht in einen Wettkampf bringen kann. Ich merke ja, was die Feder am Brett mit mir macht." Innerhalb von Konkurrenten mit ähnlichen Voraussetzungen sei das okay, "gegenüber Nichtbehinderten ist es aber nicht vergleichbar."

Schließlich hält er auch eine weitere Anpassung der Prämien für Behindertensportler an die der Olympia-Athleten im Moment für nicht gerechtfertigt. "Wir sollten aufhören, mit gleichem Maß zu messen", fordert er. Für eine Honorierung auch für die Plätze vier bis acht fehle dem Behindertensport einfach die Breite: "Wir müssen uns an die eigene Nase packen. Die Nachwuchsförderung - in Deutschland und weltweit - ist so schlecht, dass es in mir kocht. Und dann will man für Platz 8 eine Prämie? Das ist lächerlich."

Konflikte und klare Worte scheut Heinrich Popow also weiterhin nicht. Doch in Rio will er vor allem sportlich für klare Verhältnisse sorgen.