"Fußball braucht kein Mensch"

Fußball genießt bei Olympia einen überschaubaren Stellenwert
© getty

Sind die Olympischen Spiele in Rio eine Enttäuschung? Ist Michael Phelps oder Usain Bolt der absolute Superstar? Was war das bisherige Highlight am Zuckerhut? Und: Welche Sportart sollte gestrichen werden? Die SPOX-Redakteure Felix Götz und Stefan Petri diskutieren mit den sich ebenfalls am Zuckerhut befindenden PERFORM-Kollegen, den Engländern Neil Barker (Senior Video Journalist) und Rob Ellis (Production Editor News).

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Probleme ohne Ende! Ist Olympia in Rio eine Enttäuschung?

Neil Barker (Senior Video Journalist): Was mich am meisten enttäuscht, sind die vielen leeren Plätze bei der Leichtathletik, die ja eigentlich so etwas wie die Paradedisziplin von Olympischen Spielen ist. Das liegt einerseits an den Ticketpreisen, die sich viele Brasilianer nicht leisten können. Andererseits sind viele Touristen durch die meiner Meinung etwas aufgeblasene Zika-Diskussion verscheucht worden. Was die Einheimischen betrifft, habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie Olympia oft sehr kritisch gegenüberstehen. Sie sehen diese Gaudi als Verschwendung von ohnehin schon knappem Geld an, mit dem man in Rio die vielen sozialen Probleme etwas verkleinern hätte können. Und ja: Die Organisation würde ich mal als planlos bezeichnen. Dazu kommt die komplizierte Sicherheitslage. Zusammenfassend muss man sagen, dass die Spiele in Rio viele negative Punkte haben. Trotzdem würde ich die Frage nicht so einfach bejahen. Ich persönlich finde es hier nämlich fantastisch - auch außerhalb der Olympischen Blase. Mich persönlich haben die hässlichen Seiten dieser Stadt bisher zum Glück noch nicht eingeholt.

Felix Götz (SPOX): Die von dir genannten Probleme sind nicht von der Hand zu weisen, Neil. Trotzdem bin ich nicht bereit, den Brasilianern deshalb Vorwürfe zu machen oder von einer Enttäuschung insgesamt zu sprechen. Dass es chaotisch zugeht, kommt für mich nicht überraschend. Brasilien steckt in einer ökonomischen und politischen Krise, wie will man in so einer Situation problemlos ein derartiges Großereignis über die Bühne bringen? Bittere Armut, Korruption, Gewalt, mitunter eine katastrophale Krankenversorgung - das sind die Punkte, die ein Großteil der Menschen in Brasilien derzeit beschäftigen. Ganz sicher aber nicht, wie viele Meter weit ein Leichtathlet springt oder wie viele Tore irgendeine Mannschaft schießt oder wirft. Mir geht deshalb offen gestanden auch das Gejammer von einigen Athleten und Funktionären über das Chaos oder die Sauberkeit ein bisschen auf die Nerven. Klar finde auch ich einige Dinge gewöhnungsbedürftig und anstrengend. Aber wir sind hier in Südamerika: Da ticken die Uhren eben anders. Da ist ein bisschen mehr Anpassungsfähigkeit gefragt.

Rob Ellis (Production Editor News): Ihr erlebt da ein bisschen mehr von Rio, Jungs. Was mich betrifft bin ich im Hauptpressezentrum stationiert und lebe deshalb ein wenig in einer Parallelwelt. Von der Unterkunft mit dem Shuttlebus zum Arbeitsplatz und wieder zurück, das ist größtenteils mein Leben hier. Deshalb kann ich auch nicht viel von irgendeinem Chaos erzählen, ich empfinde die Organisation als sehr gut. Was mir auffällt: Die teils weit auseinander liegenden Austragungsorte machen es ein bisschen schwierig, den Spielen eine Seele zu verleihen. Außerdem hätte meiner Meinung nach mehr dafür getan werden müssen, der brasilianischen Bevölkerung das Gefühl zu vermitteln, Teil der Spiele zu sein.

Stefan Petri (SPOX): Es ist schwierig, mich bei Olympia zu enttäuschen. 16 Tage vollgepackt mit Highlights, Drama, Heldengeschichten - da müsste man schon die Hälfte der Events absagen, um meine Leidenschaft wirklich abzukühlen. Wenn es allerdings darum geht, ob Rio im Vergleich zu London abfällt und man sagen muss, dass in vielen Bereichen sehr viel Luft nach oben war: kein Zweifel. Meine Perspektive von Deutschland aus ist natürlich eine andere, ich erlebe vor allem die Wettbewerbe und nicht die Probleme in Sachen Sauberkeit, Verkehr, Sicherheit und dergleichen. Aus sportlicher Sicht sind die leeren Ränge und die teils extrem unfairen Zuschauer definitiv enttäuschend. Dazu kommen fragwürdige Referee-Entscheidungen wie im Boxen, wobei es derartige Kontroversen alle vier Jahre gibt. Andererseits muss man sagen, dass es bei den Kanuten und Seglern dann doch glimpflicher ausgegangen ist als gedacht. Große Probleme mit den Sportstätten gab es auch nicht. Insgesamt ist es aber in meinen Augen definitiv keine Werbung für einen Brasilien-Urlaub in nächster Zeit.