"Sport geht den Bach runter"

Birgit Fischer ist die erfolgreichste deutsche Olympionikin aller Zeiten
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SPOX: Sorgen Aspekte wie das Zika-Virus, halbfertige Sportstätten, die Unzufriedenheit der Brasilianer oder auch die fragliche Sicherheitslage dafür, dass in diesem Jahr die mentale Komponente noch wichtiger ist?

Fischer: Ich habe viele Olympische Spiele erlebt und kann nur sagen, dass es im Vorfeld jedes Mal die schlimmsten Geschichten gab. Sportstätten waren nicht fertig, es wurden Probleme heraufbeschworen. Im Endeffekt darf man sich davon überhaupt nicht verrückt machen lassen. Eigentlich braucht es nur eine Unterkunft und eine Wettkampfstätte, die in Ordnung sind. Solange das halbwegs fair ist, ist alles gut. Der Rest muss dann einfach ausgeblendet werden.

SPOX: Sie haben allein bei Olympischen Spielen 8 Gold- und 4 Silbermedaillen gewonnen, die Unterkünfte und Wettkampfstätten scheinen also sehr gut gepasst zu haben. Ist Ihnen etwas besonders im Gedächtnis geblieben?

Fischer: Würde ich eine meiner Medaillen besonders bewerten, wäre das im Grunde so, als ob ich eines meiner Kinder bevorzugen würde. Eigentlich sind mir alle gleich lieb. Klar gibt es Medaillen und Wettkämpfe, an die man sich besonders erinnert. Zum Beispiel meine letzte in Athen oder auch die erste in Moskau. Ich war damals 18 Jahre alt, wollte eigentlich erst anfangen und dann so etwas. Insgesamt gab es viele gute und schlechte Jahre. Auch ich hatte Niederlagen. Jede Medaille hat auch immer eine kleine Geschichte. Manche sind weniger, andere richtig gut. Missen möchte ich keine.

SPOX: Das Olympische Dorf ist ein Thema für sich. Sie waren gleich bei sechs Spielen dabei, haben jede Menge Erfahrung. Was ist dran am Mythos?

Fischer: Das Olympische Dorf ist in der Tat etwas ganz Spezielles. (lacht) Es ist nicht eines wie das andere. Eine große Rolle spielen aber vor allem Vorlieben. Es gibt Menschen, die fühlen sich in einem Einfamilienhaus am wohlsten, andere in einem Neubaublock. Ich habe mich beispielsweise in Barcelona am wohlsten gefühlt. Das Dorf war damals direkt am Meer, es waren sehr leichte Spiele. Das Wetter war gut, die Security nicht so präsent. Der Wettkampf hat natürlich ebenfalls gepasst. Aber auch das Dorf in Seoul 1988 war sehr gut. Atlanta hat mir im Gegenzug eher weniger gefallen, dort haben wir in einer umgebauten Garage gewohnt. Man muss aber immer bedenken, dass das Olympische Dorf, sobald die Sportler weitergezogen sind, auch einen Nutzen haben sollte. Das ist natürlich schwierig für die Personen, die ein solches Dorf überhaupt erst konzipieren.

SPOX: Erinnerungen sind eine Sache. Aber wird es Ihnen nicht in den Fingern kribbeln, wenn es in Rio losgeht?

Fischer: Wenn ich jetzt Rennen sehe oder an einer Regattastrecke stehe, dann kribbelt es natürlich. Das kann ich nicht anders sagen. Dennoch habe ich es inzwischen geschafft, dass ich meinen Kopf über den Bauch stellen kann. Irgendwann ist man auch einfach zu alt, wobei man das auch nur sagen kann, wenn man es wirklich bis zum letzten Quäntchen probiert hat. Ich bin aber immer noch gut unterwegs, habe durch meine Schule die Chance zu paddeln. Ich kann in einem Rennboot sitzen, wenn ich die Lust darauf verspüre. Das macht mir Spaß. Und ich bin nach wie vor was das Technische angeht sehr gut dabei. Die Kraft hat nachgelassen, da bin ich etwas in die Jahre gekommen und habe auch ein bisschen mehr auf den Hüften. (lacht) Das Kribbeln wird aber wohl nie ganz verschwinden.

SPOX: Sie hatten bereits während Ihrer Karriere ein sportwissenschaftliches Studium absolviert, bekamen zwei Kinder und haben sich vor mehr als zehn Jahren mit Ihrer eigenen Paddelschule selbstständig gemacht. Wie gelingt es alles unter einen Hut zu bekommen?

Fischer: Es ist auch heute noch so, dass ich am liebsten alles gleichzeitig machen würde. (lacht) Das war auch früher schon so. Ich wollte nie etwas missen, wollte früh Kinder haben, was auch geklappt hat. Zudem stand für mich immer fest, dass ich studieren will. Was ich dann auch zweimal mit Abschluss getan habe. Man bekommt es unter einen Hut, aber nur wenn man es wirklich will - und wenn das Umfeld stimmt. Mein Eltern und meine Geschwister haben mir immer geholfen.

SPOX: Muss der Fokus nicht auf dem Sport liegen?

Fischer: Nicht unbedingt. Letztendlich muss man sich auf das Wichtigste im richtigen Moment konzentrieren. Bei den Kindern habe ich mich vom Sport erholt, beim Sport vom Studium und beim Studium von allem anderen. Meiner Meinung nach kann man generell als Sportler mehr machen. Ich glaube, dass es einem Sportler, der nur Sport macht, nicht wirklich gut gehen kann. Das ist einfach zu wenig. Ein Ausgleich ist sehr viel wert. Wenn ich dann höre, dass jemand acht Stunden am Tag trainiert, dann kann ich das gar nicht glauben. Egal in welcher Sportart, dann läuft irgendetwas falsch. Pausen sind wichtig. Ich hatte nach meinen Auszeiten wieder deutlich mehr Bock - und Luft.

SPOX: Vor Ihrem sportwissenschaftlichen Studium haben Sie ein Jahr lang Rechtswissenschaften studiert. War Ihnen das zu trocken?

Fischer: Ich hatte nach dem Abitur mit Rechtswissenschaften angefangen, da ich Kriminalistik studieren wollte und es eine Grundlage war. Allerdings musste ich nach einem Jahr feststellen, dass das mit meinem Sport und den damit verbundenen Reisen überhaupt nicht zusammengepasst hat. Zudem habe ich schnell gemerkt, dass es mich nicht erfüllt. Das war ebenfalls ausschlaggebend. Wenn ich sehe, dass es nicht klappt, dann muss ich nicht mit dem Kopf durch die Wand. Ich habe irgendwie immer von dieser Flexibilität profitiert und es hilft auch, wenn man nicht auf Teufel komm raus etwas erzwingen will. Man sollte dem Herzen folgen.

SPOX: Sie engagieren sich in sozialen Projekten. Handelt es sich dabei auch um eine Herzensangelegenheit?

Fischer: Ich denke, dass jeder Mensch etwas Soziales machen kann und es auch sollte. Und wenn es nur darin besteht, die Brötchen für die alte Nachbarin, die etwa gehbehindert ist, mitzubringen. Wer sich mehr leisten kann und vielleicht auch die Mittel hat, kann größere Projekte angehen. Mir liegen vor allem Kinder und die Natur am Herzen. Deshalb versuche ich mich nach meinen Möglichkeiten zu engagieren. Was ich kann, das tue ich. Das ist wichtig für meine eigene Zufriedenheit, es macht einen selbst glücklicher. Der eine kann bisschen mehr tun, der andere ein bisschen weniger. Aber jeder kann etwas tun.

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