"Hätte Nationalspieler werden können"

Robert Harting ist ein der deutschen Sport-Legenden
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SPOX: Aber nochmal zurück zu den Mails, die man als Athlet bekommt. Das heißt, Sie bekommen die Mails, aber wirklich gelesen werden sie doch nicht? Das verstehe ich nicht.

Harting: Na ja, ich kann Englisch. Ich könnte es lesen, aber wie viele Athleten verstehen Englisch? Wir können wieder Afrika als Beispiel nehmen, wie viele Menschen sprechen dort gut Englisch? Man muss vorsichtig sein. Es können einfach leicht Fehler passieren. Im Fall Sharapova und in allen anderen Meldonium-Fällen ist es ja offensichtlich, dass damit gearbeitet wurde. Zum Glück hat es in Deutschland keine Zulassung erhalten, vielleicht würden wir sonst mehr Fälle haben. Wir sollten der Gesundheitsbehörde danken, die die Kontrolle darüber hat und dem Zoll auf die Finger haut, für die Fälle der ausländischen Athleten in deutschen Mannschaften, die es rechtswidrig eingeführt haben.

SPOX: Ob Russland in Rio dabei sein wird, ist noch völlig offen. Wenn Sie auf Ihre Disziplin schauen: Denken Sie, dass in Rio Chancengleichheit herrschen wird?

Harting: Das war ja noch nie der Fall, warum sollte es jetzt auf einmal so sein? So ist es nun mal. Du musst die Situation annehmen und akzeptieren, dass es in anderen Ländern andere Sitten gibt. Du musst akzeptieren, dass in anderen Ländern die Dinge anders betrieben werden. Damit muss man sich auseinandersetzen. Olympia ist die Mutter aller Konfliktschulen.

SPOX: Ein olympischer Moment, auf den wir in Rio warten, ist das Zerreißen des Trikots nach Ihrem Triumph. Es ist Ihr Markenzeichen geworden. Beschreiben Sie mal das Gefühl, dass Sie dabei haben?

Harting: Im Endeffekt ist es einfach Adrenalin, das raus muss. Man muss wissen, dass Athleten bis zu diesem Moment geistig abartige Wiederstände überwunden haben. Der Körper tut jeden Tag weh, du fühlst dich unwohl, du musst unglaubliche Energie aufwenden. Wenn du dann am Ziel bist, löst das ganze Liter Adrenalinschübe aus, die Kontrolle behält da niemand. Die Kunst, sich innerhalb von Zwängen frei zu bewegen, wird zur Herausforderung und erst dann ist das Zerreißen des Trikots für mich eine Art Abwerfen dieser Rüstung des Zwanges, die ich das ganze Jahr mitgeschleppt habe, physisch und psychisch. Auf diesen Moment freue ich mich auch ehrlich gesagt schon wieder. Ich freue mich, darauf hinzuarbeiten, dass ich in den Genuss komme, es wieder machen zu können. Ich mache es aber nur, wenn ich gewinne. Um sich von allem entledigen zu können, muss ich Erster werden. Das ist das Problem dahinter.

SPOX: Machen Sie sich eigentlich in Zeiten des Terrors Gedanken über die Sicherheit in Rio?

Harting: Eigentlich nicht. An diesen Themen sieht man nur, was die Medien mit einem machen. Lange war es Zika, dann ist es wieder der Terror. Ich muss mich darauf konzentrieren, eine Leistung abzurufen, die goldmedaillenfähig ist. Wenn ich mich schon jetzt mit Problemen vor Ort beschäftige, komme ich nicht weit. In Peking wurden wir mit Bakterien so verrückt gemacht, die angeblich überall sind, dass ich im Bus nicht mehr die Stange angefasst und Panik bekommen habe, wo ich mich eigentlich festhalten soll. Das führt ja zu nichts.

SPOX: Sie sagen selbst immer wieder, dass man auf gut Deutsch manchmal durch die Scheiße gehen muss. Was waren für Sie die härtesten Momente?

Harting: Es gab vor allem zwei Momente, die ich nicht unter Kontrolle hatte. Das waren die Olympischen Spiele 2012 und das war das Comeback beim Istaf Indoor in diesem Jahr in Berlin. Da war Angst dabei. Es ist eklig, wenn du spürst, wie der ganze Körper durch den Druck hart wird. Ich merke es immer an den Füßen. Die Waden sind plötzlich dick, ich kann mit dem Fuß nicht mehr so abheben. Ich merke richtig, wie die psychische Anspannung dafür sorgt, dass es sich immer Stückchen für Stückchen alles mehr zusammenzieht. Wenn ich einen Film gucke und es geht voll ab, habe ich das manchmal auch. Eigentlich total affig. (lacht) Weil ich das Istaf Indoor gewonnen habe, sieht es am Ende nach Friede, Freude, Eierkuchen aus, aber man muss dazu sagen, dass es nicht besonders repräsentativ war. Es gibt viele Menschen, die außergewöhnliche Sachen leisten und sich durch enorm widrige Situationen durchbeißen müssen. Uns geht es nicht anders, wir kommen nur häufiger zu dem Punkt, an dem wir es machen müssen. Ich werde auf dem Weg nach Rio nicht oben mitwerfen können und mich mit Leuten messen müssen, die normal nicht in meinem Bereich gelegen haben. Das ist ein bisschen ärgerlich und frustrierend, aber da muss ich durch, weil ich die Wettkämpfe brauche.

SPOX: Nochmal Olympiasieger ist das klare Ziel, aber der Weltrekord von Jürgen Schult (74,08 Meter) ist völlige Utopie, oder?

Harting: Es gab eine Phase, in der ich darauf hintrainiert habe. Als ich dann die 70 Meter geworfen habe, war es aber vorbei. Jetzt nochmal vier Meter? Wie soll das denn gehen? Allein von der ballistischen Kurve her. Da kannst du nur auf die Unterstützung der Natur hoffen. Der Schult-Weltrekord ist ja auch durch Wind - und Doping, ganz klar - zustande gekommen. Wenn ich ohne Stoff 70 Meter werfe, habe ich die Athleten von früher eh alle im Sack. Es ist nur eine Frage der Natur, ob sie mir nochmal hilft oder nicht.