Nicht meckern, Augen aufmachen!

Von Alexander Mey
Olympischer Alltag in London: Journalisten warten auf die Shuttlebusse
© spox

London wurde der Verehrskollaps während Olympia prophezeit. Davon ist jedoch keine Spur. Das komplizierte System funktioniert, wenn man es kapieren will. Es gibt aber auch kuriose Übertreibungen.

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Olympische Spiele auszurichten, ist ein logistischer Wahnsinn. London stand für sein Transportsystem vor den Spielen stark in der Kritik. SPOX-Redakteur Alexander Mey schildert seine Erfahrungen mit Bussen und Bahnen.

182 Seiten ist er dick, der Media Transport Guide der Olympischen Spiele in London. 182 Seiten voller Abfahrts- und Ankunftszeiten, Lagepläne und Erklärungen, wie man als Journalist am schnellsten von A nach B kommt. Und schnell muss es immer gehen, wenn man von den Spielen berichtet, das lernt man schon am ersten Tag.

Genauso lange im Bus wie beim Wettkampf

Also macht man sich auf den Weg, den Transport Guide immer unter dem Arm. Schließlich gilt es ja, an einem Tag die vielleicht erste Medaille im Schießen, ein Tennis-Match in Wimbledon, das erste Spiel des Dream Teams und am besten auch noch Schwimmen am Abend unter einen Hut zu bringen.

Dabei verbringt man in einer so großen Stadt wie London fast genauso viel Zeit in Bahnen und Bussen wie an der Wettkampfstatte oder danach zum Artikel Schreiben im Pressezentrum.

London sperrt Autos aus Olympia aus

Und es sind ja nicht nur wir Journalisten unterwegs. Mehrere hunderttausend Menschen wollen täglich zu einer der stets sehr gut besuchten Wettkampfstätten. Die U-Bahnen sind entsprechend voll, denn mit dem Auto braucht man gar nicht erst in Richtung Olympiapark zu fahren. Es gibt dort keine öffentlichen Parkplätze.

London hat seine Bewohner zum Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel, des Fahrrads oder der eigenen Füße gezwungen. Eine sehr gute Idee, denn so gibt es wenigstens schon mal keine Staus wegen Olympia. Die im Berufsverkehr reichen schon, zumal den Londonern rund 175 Kilometer Straßen für eigene Olympiaspuren weggenommen wurden, auf denen nur Shuttles fahren dürfen.

Postkarten-Motiv Doppeldecker-Bus

Shuttles. Das sind in der Regel die roten Doppeldecker-Busse, die jedermann von London-Postkarten kennt. So viel Klischee musste bei den Organisatoren dann doch sein.

Diese Shuttles operieren nach einem höchst komplizierten, aber durchdachten System zwischen dem Olympiapark, den Stadtteilen, in denen die rund 20.000 akkreditierten Journalisten wohnen, und allen Wettkampfstätten in und um London.

Einige Kollegen meckern immer

Und es funktioniert. Nur selten kommt es vor, dass man lange auf einen solchen Bus warten muss, nur selten ist einer so überfüllt, dass man nicht mehr hineinpasst. Ein bisschen eigene Planung und man schafft es rechtzeitig zu allen Wettkämpfen, die man sehen will.

Darin werden mir einige Kollegen, die ich hier vor Ort erlebt habe, sicher widersprechen. Denn immer wieder hört man sie über das ach so schlechte System lästern oder sich lautstark über einen verpassten Bus aufregen.

Da kann ich nur sagen: Etwas besser vorbereiten, etwas weniger schimpfen, dann wird jeder schnell erkennen, dass die Londoner die Ausnahmesituation Olympia gut im Griff haben. Wer seine Busfahrpläne in besagtem 182-Seiten-Schinken nicht lesen kann, dem hilft auch das beste System nicht...

Man kann auch alles übertreiben

So gut die Organisation ist, man wird das Gefühl nicht los, dass die Londoner nach all der Kritik, den Pannen und angedrohter Streiks der Busfahrer im Vorfeld der Spiele so viel Angst vor dem Verkehrskollaps hatten, dass sie es mitunter übertreiben.

Bestes Beispiel dafür sind die Volunteers und die Ordner an den Bahnhöfen und auf den Wegen zu den Wettkampfstätten. In den Bahnhöfen wird kein noch so kleines Abweichen von den vorher ausgedachten Laufwegen geduldet.

Da spielt es auch keine Rolle, dass jemand wie ich vielleicht ausnahmsweise mal nicht in den Olympiapark sondern nur in eine andere U-Bahn umsteigen will. Der direkte Weg dorthin ist versperrt und wird auch nicht geöffnet. Obwohl mein Bahnsteig in Sichtweite ist, darf ich einen Umweg über mehrere Treppen nehmen.

Menschliche Wegweiser überall

Bin ich dann mal nicht mit einem Shuttle sondern mit der Bahn an einer Wettkampfstätte angekommen, gehe ich den Weg eines jeden normalen Zuschauers. Und was sehe ich? Verlaufen unmöglich.

Denn alle zehn Meter - und das ist keine Übertreibung - steht mindestens ein Volunteer mit einem lustigen übergroßen Schaumstofffinger, um mir den Weg zu zeigen. Da spielt es auch keine Rolle, wenn es mal 200 Meter geradeaus geht. Ich bekomme auf der Strecke 20 Mal den Weg gezeigt. Immer geradeaus eben...

Ob mir ein Ordner an einer U-Bahn-Station im minutentakt per Megafon mitteilen muss, wann der nächste Zug kommt, wo es doch ohnehin an zahlreichen elektonischen Info-Tafeln steht, ist eine weitere Frage.

Traut den Leuten Selbständigkeit zu!

Der Wille, alles richtig zu machen, ist sehr lobenswert, aber den gigantischen personellen Aufwand hätte man auch deutlich reduzieren können. Einen Tick Selbständigkeit sollte man den Leuten trotz Olympia noch zutrauen.

Wobei: Wenn man lange genug hier und ausreichend im Stress ist, ertappt man sich selbst dabei, alle zehn Meter nach dem Weg zu fragen, anstatt einfach mal die Augen aufzumachen und Schilder zu lesen.