"Kritik an Nowitzki ist dumm"

Von Interview: Florian Regelmann
Tim Lobinger, Olympia, Peking
© Getty

München - Wer einen Blick auf die Homepage von Tim Lobinger wirft und einen seiner letzten Tagebuch-Einträge liest, der liest am Ende einen Lobinger, wie er leibt und lebt.

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"Das Geschwätz der letzten Tage interessiert mich nicht. Der deutsche Hallenmeister und deutsche Freiluftmeister freut sich auf Peking."

Das ist der Lobinger, wie man ihn kennt. Unverkennbar sein Stolz, trotz aller Schwierigkeiten in der Saison, bei den Deutschen Meisterschaften am Punkt X doch wieder voll da gewesen zu sein und sich wieder für die Olympischen Spiele qualifiziert zu haben.

Wer weiß, was in Peking für den 35-Jährigen drin ist. Er weiß es wohl selbst nicht so recht. Von einem scheinbar unbedeutenden achten Rang bis hin zu einer Medaille scheint alles möglich.

Im SPOX-Interview spricht Lobinger über seine Gefühlswelt kurz vor Beginn der Leichtathletik-Wettbewerbe und nimmt zu brisanten Themen Stellung.

SPOX: In Ihrer Erfolgsbilanz steht Olympiafinalist Atlanta, Sydney, Athen... Machen wir einfach Peking dazu, reicht Ihnen das?

Tim Lobinger: Mein Leben wird durch Medaillen nicht lebenswerter oder schöner. Auch nicht bei den Spielen. Die Auszeichnung der Spiele ist die Teilnahme. Die Medaillen allenfalls die Krönung. Die Chancen in diesem Jahr sind schlechter als die letzten beiden Male. Vielleicht eher wie bei meiner ersten Teilnahme in Atlanta. Doch ich kenne die Gesetze der Spiele und hoffe, sie für mich nutzen zu können.

SPOX: Was ist das Ziel? Was muss man springen?

Lobinger: Höher als alle anderen ist meist das beste. Nun ja, Erster mit 5,85 Metern oder Dritter mit sechs Metern - in diesem Jahr ist es schwerer denn je.

SPOX: Alles Gerede um die Nominierung interessiert Sie nicht mehr, richtig?

Lobinger: Eine Nominierung ist dafür da, um sie auszusprechen und nicht um sie ständig infrage zu stellen. Unsere deutschen Meisterschaften waren ohne Frage der D-Day im Stabhochsprung. Was dann passiert und wer dann wie springt, nennt sich Sport.

SPOX: Ihre Saison war in diesem Jahr geprägt von einem Gefühlschaos zwischen Verheißung und Ernüchterung. Wie können wir uns das genau vorstellen?

Lobinger: Dieser Sommer war ein schwieriger Sommer, denn in jeden Wettkampf habe ich mehr an Energie hinein gesteckt als ich als Belohnung und Höhe herausbekommen habe. Dieses ständige Ungleichgewicht an Energiebilanz war aufreibend. Es war etwa so, als ob ein Stürmer 20 Tore schießt - aber die Mannschaft 21:20 verliert. Nur die deutsche Meisterschaft hat mich vor dem gefühlten Abstieg bewahrt.

SPOX: Sie gelten als extremer Perfektionist. Kann das manchmal auch ein Nachteil sein?

Lobinger: Der Drang zum Perfektionismus war für mich immer die entscheidende Antriebskraft im Sport und im Leben. Selten stand er mir wirklich im Weg. Es ist eine Eigenart und Stärke, nie aufzugeben und immer neue Wege zu finden.

SPOX: Wie sehen Sie den Zustand der deutschen Leichtathletik vor Peking?

Lobinger: Schwer zu sagen. 60 Athleten ist wenig. Doch es gibt Hoffnung auf eine erfolgreiche Zeit in China. Nun schon Rückschlüsse zu ziehen, wäre zu früh. Leichtathletik in der Weltspitze ist ein schwieriges und langjähriges Unternehmen.

SPOX: Was sagen Sie zur politischen Brisanz mit China?

Lobinger: Die Olympischen Spiele stehen für friedliches Umgehen mit allen Rassen und Klassen dieser Welt. Und so soll es sein. Mehr gibt es nicht zu sagen.

SPOX: Wie verfolgen Sie die jüngsten Doping-Fälle?

Lobinger: Doping ist ein Thema, das uns cleane Athleten nervt und belastet. In der Wettkampfzeit raubt jegliche Diskussion darüber unnötig Kraft.

SPOX: Wo steht man im Anti-Doping-Kampf?

Lobinger: Im Dopingkampf steht man in allen Sportarten immer in der ersten Reihe. Jeder Tag bringt die Forschung weiter, leider sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. Alles in allem geht es voran.

SPOX: Was halten Sie eigentlich von der Entscheidung, Dirk Nowitzki zum Fahnenträger zu machen?

Lobinger: Jegliche Kritik der Mannschaft ist in meinen Augen dumm und überflüssig. Was hilft der Jugend ein Fahnenträger ohne Identifikationspotenzial? Die Bedeutung der Spiele wird mit einem Nowitzki noch gesteigert. Und das gerade mit seinem Einmarsch mit der Fahne. Da verlange ich von Kanuten und Schützen wesentlich mehr gesunde Selbsteinschätzung, bevor diese Entscheidung kritisiert wird. Wer will seinen Kindern bei der Eröffnungsfeier schon länger erklären, als die Eröffnung dauert, wer die Fahne trägt und was er/sie für eine Sportart betreibt. Und das noch, um es am nächsten Tag schon wieder vergessen zu haben. Nein, nein, Nowitzki ist mein Mann.

SPOX: Ein Wort noch zur Dorf-Atmosphäre, man hört immer, dass es da auch ganz schön abgeht und heftig - naja - geflirtet wird. Stimmt das?

Lobinger (lacht): Da bin ich jetzt raus. Ich habe meine Liebe gefunden.

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