A + b + c und etwas Glück

Von Oliver Wittenburg
Roggisch, Hens
© Getty

München - Der Unterschied ist flüchtig, ob nun Europameisterschaften sind oder WM oder Olympia.

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Im Fußball ist die Weltelite ohne Brasilien und Argentinien nicht komplett und jeder Kontinent bringt konkurrenzfähige Mannschaften hervor. Noch globaler geht's etwa im Basketball zu. Im Handball aber gibt es nur Europa.

Eigentlich eine bittere Feststellung: WM und Olympia sind hier qualitativ schlechter besetzte Veranstaltungen, weil Europa per Modus weniger Startplätze zustehen.

In der gesamten Geschichte des Handballs ging eine einzige Medaille nicht an ein Männerteam aus der alten Welt: 1988 holte Gastgeber Südkorea in Seoul Silber.

Nicht grundlegend anders verhält es sich beim weiblichen Geschlecht, wenngleich die Erfolgsquote asiatischer Teams etwas höher liegt.

So tauchen auch im SPOX-Ranking zum olympischen Männerturnier nur Europäer auf. Das ist einfach so.

1. Frankreich

Die Olympia-Bilanz Frankreichs nimmt sich gegenüber anderen Turnieren sehr bescheiden aus. Eine einzige Medaille gab's bisher überhaupt. Bronze war's 1992 in Barcelona. Damit es dabei bleibt, müsste schon einiges passieren, denn Frankreich ist der Favorit Nummer eins. Aus der engen europäischen Spitze ragt das Gesamtpaket der Equipe Tricolore deutlich heraus. Über das Weltklasseformat von Torhüter Omeyer, eines Narcisse, Karabatic oder Abalo braucht man nicht zu reden. Und im Unterschied zur EM Anfang des Jahres in Norwegen, als man nur Bronze holte, ist auch die Position im rechten Rückraum nicht mehr verwaist, sondern mit den früheren Bundesliga-Stars Burdet und Abati wieder gut bestückt.  

2. Kroatien

Bei der EM mogelte sich der amtierende Olympiasieger trotz zahlreicher Handicaps bis ins Endspiel. Die Torhüterleistungen waren traditionell mäßig, man hatte nur einen Kreisläufer, Superflitzer Dzomba war gar nicht erst dabei, der linke Rückraum war zwar anwesend aber ein Totalausfall und die Superstars Balic und Metlicic böse ramponiert - und doch gab's Silber. Möglich machten dies ein überragender Mannschaftsgeist, taktische Cleverness und ein schier unbegrenztes Repertoire an Tricks - seien es spielerische oder psychologische. Meister der Trickserei ist der auch ansonsten unerreichte Ivano Balic. Wie er und seine Mitstreiter die Franzosen im EM-Halbfinale niederzockten, war die ganz hohe Schule.

3. DeutschlandSchwer einzuschätzen ist diese deutsche Mannschaft. Die Vorbereitungsspiele waren gut (Sieg und Niederlage jeweils gegen Schweden und Ägypten, zwei klare Erfolge über Russland), die EM eine Achterbahnfahrt der Gefühle und sportlichen Leistungen. Dazu kommen eine Menge offene Fragen:

a) Wie schwer wiegt der Ausfall von Lars Kaufmann, der in der Vorbereitung einer der besten Goalgetter der DHB-Auswahl war und Pascal Hens hätte wertvolle Verschnaufpausen verschaffen können.

b) Wie schlägt sich die deutsche Mannschaft ohne den Schorsch, also ohne Markus Baur? Ist Michael Kraus in der Lage das Spiel zu machen?

c) Was bringt Rückkehrer Christian Schwarzer mit seinen knapp 39?

Antwort a) Haaß und notfalls auch der nachnominierte Christophersen können den Job übernehmen, wenngleich sie nicht über Kaufmanns Wucht verfügen.

Antwort b) Kraus kann sich sicher noch steigern, wenn es darum geht, eine Mannschaft zu führen und seine Mitspieler in Szene zu setzen. Was seine Wurfvarianten, sein Eins-zu-Eins-Spiel, seinen Zug zum Tor angeht, ist er sensationell und einer der spektakulärsten Spieler der Welt.

Antwort c) Erfahrung, klar. Gute Laune, aber sicher. Gute Defense, die nötigen Tore und das Kreuz, einem der Jungspunde den Kopf zu waschen, wenn einer aus der Reihe tanzt.

A + b + c und etwas Glück macht unter dem Strich eine Medaille

4. Spanien

Spanien wäre eigentlich mal wieder fällig, denn die Klasse der WM 2005, als sie in überragender Manier den Titel gewannen, erreichten die Iberer nicht wieder. Allerdings fehlt ein ganz wichtiger Baustein. Wie schon bei der EM muss Kreisläufer Rolando Urios passen, der aufgrund seiner Masse nicht nur schwer beim Torwurf zu hindern ist, sondern es blendend versteht, eine komplette Deckung in Unordnung zu bringen, was wiederum für die starken Rückraumschützen von Vorteil ist. Um erfolgreich zu sein, wird Spanien auf eine ganz starke Defensive und sein so erfahrenes wie starkes Torhütergespann Barrufet/Hombrados bauen müssen und seine Stärken im Gegenstoß durch Rocas und Garcia ausspielen. Große Verantwortung tragen auch die Rückraumschützen Alberto Entrerrios und Superstar Iker Romero. Bei den letzten Turnieren wirkten die Spanier zuletzt etwas uninspiriert und leicht auszurechnen, was vielleicht auch daran liegt, dass kaum neue Leute zur Mannschaft stoßen und vor allem keine neuen Leistungsträger. Bis auf vier Spieler ist der Kader mit dem der WM 2005 identisch.

5. Dänemark

Dänemark erlebte bei der EM 2008 sein Handball-Wunder. Alles lief perfekt und nach gefühlten 239 Bronze-Medaillen hintereinander holte man erstmals Gold bei einer großen Meisterschaft. Auf dem Zettel hatte man sie vor einem halben Jahr in Norwegen schon, die Männer von Coach Ulrich Wilberg, aber wie meist in der jüngeren Vergangenheit in der Rubrik Geheimfavorit. So ist es auch diesmal. Einen solchen Traumlauf wie bei der EM wird es nicht noch einmal geben für die Dänen und auch Torhüter Kasper Hvidt kann nicht noch mal eine so unglaubliche Leistung vollbringen. Ohne Zweifel, Dänemark hat eine eingespielte und starke Mannschaft mit herausragenden Einzelkönnern wie etwa Lars Christiansen, doch sie müssen sich wieder in ihre angestammte Schublade zurückziehen und die heißt Geheimfavorit. Wie wär's mit Bronze?

Jurack und Krause müssen's richten

Ohne Zweifel hat sich die deutsche Nationalmannschaft in der jüngeren Vergangenheit in die erweiterte Weltspitze gekämpft und verdient bei der WM im vergangenen Jahr die Bronzemedaille gewonnen.

Edelmetall ist, wenn alles optimal läuft auch diesmal wieder drin, doch um Silber oder gar Gold kann es kaum gehen. Russland ist der große Favorit auf den Titel, Norwegen ist der größte Herausforderer, und Deutschland rauft sich dank des Weltklasseformats einer Grit Jurack oder Nadine Krause mit Größen wie Ungarn oder Rumänien um Platz drei.

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