Im Schneckentempo zur großen Sause

Christo Redentor wacht über die Olympia-Vorbereitungen von Rio de Janeiro
© getty

Am 5. August beginnen die Olympischen Spiele im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro mit einer bombastischen Eröffnungsfeier. Ohne die abgesetzte Präsidentin, dafür vielleicht mit Protesten. Wie weit sind die Vorbereitungen? Was ist mit Zika? Wer ist (nicht) dabei und wie sieht es mit dem ewigen Thema Doping aus? SPOX gibt einen Überblick über den Stand der Vorbereitungen, 50 Tage vor dem Entzünden des Olympischen Feuers.

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Vorbereitungen:

An allen Ecken und Enden wird in Rio de Janeiro derzeit gebaut, geschliffen, poliert: Während die Spielstätten - aufgrund der großen finanziellen Probleme teils drastisch entschlackt - fast alle fertig sind, kann davon in Sachen Infrastruktur keine Rede sein. Eine neue Straßenbahn, die die Innenstadt mit dem Flughafen verbindet, blieb am ersten offiziellen Tag ihrer Nutzung ohne Strom direkt wieder liegen.

Die berühmt-berüchtigte Metrolinie 4, die die Strände mit dem Olympiapark verbinden soll, sollte ja eigentlich schon längst stehen. Die Fertigstellung wurde zuletzt immer wieder verschoben, neuester Termin ist der 1. August - vier Tage vor dem Beginn der Spiele. Der verantwortliche Verkehrsminister Rodrigo Vieira gibt aber Entwarnung: "Natürlich ist der Zeitplan eng, aber 8.000 Arbeiter schuften Tag und Nacht. Alles ist im Plan."

Überhaupt, das sei doch überall so, sagte Bürgermeister Leonardo Paes kürzlich gegenüber dem Independent. "In Kopenhagen wurde eine unpassende Brücke gebaut, der Flughafen in Berlin ist nicht fertig, in San Francisco wurde eine Brücke zehnmal so teuer wie geplant." Und warum gibt es in der Stadt noch keinerlei Enthusiasmus zu spüren, keine Dekorationen zu sehen? "Nächste Woche wird es sie auf den Straßen geben. Wir hatten zuletzt zu viel Regen und Wind."

Zika:

Ja was denn nun? Wie gefährlich ist der durch Moskitos übertragene Virus, der in Brasilien wütet und bei Neugeborenen unter anderem zu schweren Missbildungen führt? Kommt drauf an, wen man fragt. 150 Wissenschaftler hatten im Mai aufgrund der Gefahr für Athleten und Zuschauer öffentlich für eine Verlegung der Spiele votiert. Halb so wild, entgegnete die Weltgesundheitsorganisation, schließlich verbreite sich das Virus ohnehin.

Der Gastgeber setzt auf massiven Einsatz von Pestiziden, Infoblätter und den Winter in der südlichen Hemisphäre, der die Gefahr drücken soll. "Ich bin kein Spezialist", erklärt Paes. Wenn die WHO Entwarnung gebe, dann müsse er eben jemandem glauben. Zika werde kein Thema der Spiele werden, versichert er.

100 Tage bis Olympia: Dunkle Wolken überm Zuckerhut

Das sehen die Sportler anders. Wegen Zika haben unter anderem die Golfer Vijay Singh, Charl Schwartzel und Marc Leishman abgesagt. Radprofi Tejay Van Garderen verzichtet aufgrund seiner schwangeren Frau, fast alle darauf Angesprochenen geben sich sehr besorgt, wie etwa der spanische NBA-Star Pau Gasol oder Serena Williams. Es werden noch einige Absagen dazukommen, soviel ist sicher. Wegen Zika sind übrigens auch schon Journalisten wie etwa die Amerikanerin Savannah Guthrie abgesprungen. Olympia - kein Ort für schwangere Frauen. Das ist schon extrem bitter.

Auf Nummer sicher ging der britische Weitspringer Greg Rutherford. Seine Freundin Susie Verrill fliegt nicht mit, aber weil die Beiden noch weitere Kinder wollen, ließ sich der Sieger von London kurzerhand sein Sperma einfrieren. Man wolle einfach kein Risiko eingehen, so Verrill.

Absagen:

Wenn wir schon bei den Absagen sind: Die meisten Schlagzeilen machen derzeit die US-Basketballer, die sich schon fast gruppenweise abmelden. Stephen Curry, Russell Westbrook und James Harden sind raus, dazu kommen Anthony Davis, LaMarcus Aldridge, Blake Griffin - und die Liste wird wohl noch anwachsen. Die Gründe sind Verletzungen, Vertragssituationen, kraftraubende Playoffs, und bei dem einen oder anderen spukt sicherlich auch Zika im Hinterkopf herum.

Damit sind bislang vor allem die Wettbewerbe im Golf und im Basketball von den Absagen betroffen. Spieler, die es finanziell nicht nötig haben, und gerade im Golf bringt die Goldmedaille aufgrund fehlender Tradition noch kein wirkliches Prestige mit sich. Die gute Nachricht für Team USA: Wenn eine Nation diesen Aderlass verkraften kann, dann sind sie es. Die Olympioniken der Randsportarten, die nur einmal in vier Jahren mit Mittelpunkt stehen, haben eigentlich gar keine Wahl.

Doping:

Dass ein weiterer Dopingskandal die russische Nation erschüttern wird, ist derzeit fast so sicher wie die Tatsache, dass am nächsten Morgen die Sonne aufgeht. Wobei von Skandalen ja keine Rede sein kann - also wenn man den Kreml fragt, der von "gezielten Angriffen" spricht. "Nichts ist von wesentlichen Beweisen gedeckt", so Sprecher Dmitri Peskow. Also werden weiter Doping-Trainer beschäftigt und Meldonium-Fälle angehäuft.

Das IOC bekleckert sich derweil auch nicht mit Ruhm. Whistleblower wie Witali Stepanow und seine Frau Julia werden ignoriert, während DOSB und prominente Sportler wie Robert Harting Konsequenzen fordern. So schaut die Welt am 17. Juni auf den Leichtathletikverband IAAF, der den russischen Verband aufgrund massiver Verstöße seit über einem halben Jahr suspendiert hat. Ein Ausschluss aus Rio würde in Russland einen Aufschrei auslösen und die internationalen Beziehungen schwer belasten, andererseits wäre ein Freispruch schon fast gleichzusetzen mit einem Freifahrtschein.

Ob sich Putin und Co. große Sorgen machen müssen? Verändert hat sich in den letzten Monaten nichts, wie es scheint. Der ebenfalls alles andere als saubere kenianische Verband wurde im Mai von der IAAF aber nicht suspendiert, obwohl die WADA das Anti-Doping-Programm Kenias sogar komplett suspendiert hatte. Unwahrscheinlich, dass das IOC danach noch hart durchgreift. Eine Lösung: Saubere Athleten der beiden Nationen treten unter IOC-Flagge an - aber diese nach Monaten ohne Kontrollen herauszufischen, dürfte schwierig sein.

Sonstiges:

  • Das politische Chaos im Gastgeberland geht weiter: Wie der Senat in der vergangenen Woche entschied, wird über das Absetzungsverfahren der Präsidentin Dilma Rousseff spätestens am 16. August entschieden werden - also mitten in den Spielen. Rousseff war am 12. Mai nach Korruptionsvorwürfen und einem falsch deklarierten Haushalt suspendiert worden. Damit wird die Eröffnungsfeier mit dem Interimspräsidenten Michel Temer stattfinden. Die Frage ist, ob das andere Staatsoberhäupter davon abhalten könnte, sich an seiner Seite zu zeigen. Schließlich ist er, ebenso wie Rousseff, höchst umstritten.
  • Rousseffs Entmachtung, aber auch die verfahrene politische Situation allgemein, könnte auch während der Spiele zu Protesten führen. Vielleicht sogar während der Eröffnungsfeier am 5. August. OK-Chef Rio Nuzman musste zugeben: "Es ist schwierig vorherzusehen, was passieren wird und was nicht. Er glaube aber daran, dass die Brasilianer "Respekt für die Spiele und die 11.000 Athleten" zeigen würden.
  • Laut Sportminister Leonardo Picciani sind bislang 70 Prozent der Tickets verkauft worden, man erwarte, bis zu den Spielen "komplett ausverkauft" zu sein. Auch bei der WM 2014 sind viele Tickets erst kurzfristig abgesetzt worden. Wesentlich dünner sieht es bei den Paralympics aus. Die Verkaufszahlen dort sind laut Nuzman "definitiv schwach".
  • Von Sauberkeit kann in Rio immer noch keine Rede sein. In den Gewässern rund um die Stadt sind laut noch unveröffentlichten Studien resistente "Superbakterien" gefunden worden. 50 Prozent der Proben am Ipanema waren verseucht, auch an der Copacabana wurden die gefährlichen Erreger gefunden.
  • Dafür gibt es an anderer Stelle jede Menge Chlor kostenlos dazu. "Wenigstens haben wir keine Probleme mit dem verschmutzten Wasser. Dafür sorgen Unmengen an Chlor, die hineingekippt werden", berichtet Kanuslalom-Athlet Jan Benzin in der MoPo. Sein Tipp: "Die Sportstätten werden alle fertig, zwar im Rio-Stil und sie werden nicht lange halten, aber für die TV-Bilder wird alles schick sein und wir werden schöne Spiele erleben."
  • Horst Hrubesch wird seinen Kader für das U21-Turnier am 14. Juli bekanntgeben. Von den 18 Spielern dürfen aber höchsten zwei vom selben Klub kommen. Am 4. August starten die Deutschen in Salvador gegen Titelverteidiger Mexiko. Am 30. Juli geht der Flieger nach Brasilien.
  • Drei Tage später muss Handball-Nationaltrainer Dagur Sigurdsson entscheiden, welche Spieler der amtierende Europameister mit nach Rio nimmt. Ziel der "Bad Boys" soll eine Medaille sein, aber zuletzt stimmt die Form in Testspielen nicht. "Wir haben viel Arbeit vor uns. Unser Zusammenspiel war teilweise gut, aber die meiste Zeit nicht", bemängelt Sigurdsson.

Fazit

Nur sehr langsam verschiebt sich der Fokus in den Vorberichten zu Rio auf das Sportliche. Noch immer gibt es genügend Probleme bei den Vorbereitungen auf die Spiele, wobei die ganz großen Schlagzeilen in den letzten Wochen eher ausgeblieben sind. Das liegt wohl auch daran, dass man sich, ehrlich gesagt, schon daran gewöhnt hat und damit rechnet, dass es letzten Endes wohl doch irgendwie funktionieren wird. Derzeit ist es eher ein Kampf darum, die Storylines der Medien zu kontrollieren: Wie schlimm ist es wirklich? Was wird wann fertig? Sollte man sich Sorgen machen? Spätestens wenn die EURO 2016 und die Copa Centennario Geschichte und auch die letzten Kader zusammengestellt sind, richtet sich der Fokus vollständig auf die Sause am Zuckerhut. Brasilien bleibt nicht mehr viel Zeit.

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