Rogge: Richtung weisende Eröffnung

SID
Rogge
© Getty

Peking - "Mit der Eröffnungsfeier wird vieles vergessen sein. Ich bin sicher, wir werden großartige Spiele erleben." Jacques Rogge, einer der Hauptdarsteller der spektakulären Show im Pekinger "Vogelnest", weiß wie kein anderer um die Bedeutung einer olympischen Eröffnung.

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Sie kann mit Wohlklang alle Misstöne überstimmen und mit prächtigen Bildern alle Düsternis der Vergangenheit aufhellen. Eröffnungsfeiern waren bisher immer Richtung weisend. Diesmal sind sie auch Richtung weisend für den IOC-Präsidenten selbst.

Obwohl: Eigentlich war Rogge bis zu diesem Spektakel im trüben Pekinger Freitag entschieden, 2009 seine Präsidentschaft um vier Jahre zu verlängern. Die Einschränkung, er wolle noch das Ende der Spiele abwarten, hatte nur nach außen hin die Qualität einer Nagelprobe.

Entscheidend sind für den 66 Jahre alten Belgier "persönliche Fragen, über die ich nicht sprechen will". Da ist seine Frau, auch eine Ärztin, die ihn seit seiner Herzoperation mit kontrollierender Zuneigung begleitet. Und da sind die halbjährigen Untersuchungen. "Ich bin bei guter Gesundheit", hat Rogge erst kürzlich gesagt. "Ich habe noch eine Menge Enthusiasmus."

Der letzte Amateur ist ein Phänomen

Rogge ist ein Phänomen und dazu wohl der letzte Amateur an der Spitze der wichtigsten Sportorganisation. Das kennzeichnet seine herausragenden Stärken und seine bemerkenswerten Schwächen.

Die herausragenden Stärken seiner 12-Stunden-Tage, die sich bei Olympischen Spielen leicht auf 20 Stunden summieren, ist seine umfassende, durchdringende Kenntnis des Sports.

Der ehemalige Olympiasegler und Rugby-Nationalspieler weiß wie ein Athlet tickt. Der Chirurg kennt sich aus im Dschungel des Dopings und ist überzeugt davon, dass nur durch einen konsequent geführten Kampf gegen die Seuche des Leistungsbetrugs Olympia überleben kann. Seine "Null-Toleranz-Politik" - im Rahmen der Möglichkeiten - ist das Überzeugendste seiner nun siebenjährigen Präsidentschaft.

Naive Idealisten

Seine Schwächen traten im Vorfeld der Peking-Spiele deutlich wie nie zu Tage. Sie sind nicht so sehr begründet in der Ohnmacht seiner Ringe-Organisation gegenüber der chinesischen Staatsmacht.

Sie hat ihre Ursachen in einem mangelnden politischen Bewusstsein und in einem unterentwickelten Management, zum richtigen Zeitpunkt zu handeln und das Notwendige zu sagen. Rogge hat das in fast anrührender Selbstkritik so formuliert: "Wir sind Idealisten und Idealismus ist immer verbunden mit einer gewissen Naivität."

Das Fehlverhalten begann mit dem politischen Zugeständnis, die Reiterspiele in Hongkong austragen zu lassen. Nicht die fehlenden Quarantänebedingungen waren Chinas Motiv, staatliche Allmacht hätten das Ereignis auch in Peking möglich gemacht.

Der mächtige Staat wollte mit der Rochade demonstrieren, dass die ehemalige Kronkolonie, die olympisch immer noch eigenständig auftreten darf, voll und ganz zum Reich der Mitte gehört.

Eine Kette von Fehlern

Dieses Nachgeben war nur ein Glied in einer Kette von Fehlern: Keine Früherkennung der Problematik, die der Genehmigung einer Welttour des Olympischen Feuers innewohnt.

Rogges Abtauchen nach Ausbruch der Tibet-Krise im März, was weltweit als Verweigerung gewertet wurde, zu Menschenrechtsfragen Stellung zu beziehen. Und nun in Peking noch der PR-Gau um den freien Internetzugang, der sich nicht zuletzt wegen der Vielstimmigkeit einiger IOC-Granden zu der Kritik verstärkte, die olympische Regierung missachte die Pressefreiheit.

Gegner des Präsidenten spricht deutliche Worte

Richard Pound, seit seiner Wahlniederlage 2001 gegen Rogge ein bekennender Gegner des Präsidenten, hat das in dieser Woche vor der Vollversammlung in bisher nicht gekannter Deutlichkeit angesprochen.

Der Kanadier nannte die Entgleisung des Fackellaufs ein vermeidbares "Desaster" und die Internet-Einschränkung ein "Problem, das erst durch uns selbst zu unserem Problem geworden ist".

Pound, der dem IOC als Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) Beine gemacht hat und von Rogge in diesem Jahr ausgebremst wurde beim Versuch, Vorsitzender des Internationalen Schiedsgerichthofs (CAS) zu werden, steht für eine gewachsene Opposition im IOC, wenngleich der rauhe Pound in den Reihen der Olympier eher ein Einzelkämpfer ist.

Unzufriedenheit in der Olympia-Zentrale wächst

Bemängelt wird eine Transparenz der Entscheidungen, an denen lediglich ein kleines Küchenkabinett mit dem flämischen Vertrauten Hein Verbruggen (Holland), Rogges belgischem Bürochef Christophe de Kepper und der Schweizer Olympia-Direktor Gilbert Felli beteiligt seien.Beklagt wird eine überzeugende Informationspolitik.

In der Olympia-Zentrale in Lausanne ist die Unzufriedenheit auch gewachsen. Dort habe mit Rogge eine Bürokratisierung Einzug gehalten, die so weit gehe, dass sich der Präsident auch um einzelne Abrechnungen und um das Verbot kleiner Werbegeschenke kümmere.

Doch am Pekinger Freitag geht es nur um das Große und Ganze, um den Glanz und um die prächtigen Bilder, die nur Olympia liefern kann. Die Spiele werden erst am 24. August abgerechnet.

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