Von der Politik missbraucht

SID

Frankfurt/Main - Deutschlands Spitzensportler fühlen sich in der Debatte um die Menschenrechte im Olympia-Gastgeberland China von der Politik teilweise missbraucht und von den Funktionären weitgehend alleingelassen.

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"Ich bin sehr Politik interessiert und habe auch eine Meinung zu den Vorgängen in China. Aber mir passt es nicht, dass die Sache auf unserem Rücken ausgetragen wird. Die Boykott-Forderungen einiger Leute waren für mich unvorstellbar, immerhin habe ich mein komplettes Leben auf die Olympischen Spiele ausgerichtet", sagte Hochsprung-Ass Ariane Friedrich bei einem Treffen von sechs Frankfurter Olympia-Kandidaten mit Hessens Ministerpräsident Roland Koch.

"Die Diskussion ist ein Missbrauch der Sportler. Ich fühle mich ausgenutzt."

Kritik am DOSB

Der gut einstündige Gedankenaustausch mit dem Spitzenpolitiker der CDU verdeutlichte zugleich, dass sich viele Athleten in der Tibet-Frage nur unzureichend informiert fühlen.

"Das Feedback ist sehr dürftig, ich fühle mich alleingelassen. Man ist unsicher, weil es nur wenige Informationen gibt", äußerte Hammerwurf-Weltmeisterin Betty Heidler leise Kritik am Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).

"Man weiß nicht, was man sagen darf und was nicht. Es ist schwierig, sich zu äußern und doch nichts zu sagen, womit man anderen auf die Füße treten oder schaden könnte", meinte ihre Kollegin Kathrin Klaas.

Reger Austausch

Das von der LG Eintracht Frankfurt initiierte Gespräch mit Koch hatten alle Olympia-Kandidaten des Vereins gerne angenommen. "Ich bin klüger rausgekommen als reingegangen", sagte Friedrich und Heidler befand: "Das war eine runde Sache."

Ohne erhobenen Zeigefinger plauderte China-Kenner Koch über politische und geschichtliche Hintergründe des Tibet-Konflikts, der im März eskaliert war und zu heftigem internationalen Druck auf China geführt hatte.

Vorsicht vor Propaganda

Koch riet den Peking-Fahrern von Protesten ab, ermunterte sie aber zugleich, sich nicht für die chinesische Propaganda vereinnahmen zu lassen.

"Ich erwarte nicht, dass jemand mit der Tibet-Fahne durch das Stadion läuft und sich eine Disqualifikation einhandelt. Es hat keinen Sinn, dass jeder seine politische Botschaft auf der Tartanbahn austrägt", sagte Koch.

Die Sportler könnten bei öffentlichen Meinungsäußerungen jedoch deutlich machen, dass sie sehr wohl um die Schattenseiten in China wüssten. "Dies sollte man immer zum Ausdruck bringen, um Missbrauch zu vermeiden", empfahl Koch.

Koch kritisiert IOC

Dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) warf er vor, die Sache auf dem Rücken der Sportler auszutragen. "Olympia ist keine Demonstrationsveranstaltung, aber ich will auch, dass die Athleten ohne gebrochenes Rückgrat zurückkommen. Immerhin haben sie eine Vorbildfunktion für viele Menschen", erklärte Koch.

Die Leute, die hoffen, dass der Sturm vorbei sei, würden sich täuschen. Daher empfahl Koch dem DOSB, den Athleten eine einheitliche Sprachregelung an die Hand zu geben, falls sich die politische Lage während der Sommerspiele zuspitzen sollte.

"Ob sich der Einzelne dann daran hält, ist seine Sache. Aber die Funktionäre müssen ein Angebot machen."