"Eine Stunde für drei Haferflocken"

SID
Evi Sachenbacher-Stehle hat bislang eine extrem schwere Saison hinter sich
© Imago

Evi Sachenbacher-Stehle gehört mit insgesamt fünf Medaillen bei Olympischen Winterspielen, darunter zweimal Gold, zu den erfolgreichsten deutschen Langläuferinnen der Gegenwart. In ihrer SPOX-Kolumne "Land und Loipe" berichtet die 30-Jährige regelmäßig von ihren Erlebnissen. Die Themen vor dem WM-Start in Oslo: Eine verteufelte Saison, Sofas auf Reisen und Folgen der Nervosität.

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Hallo zusammen,

heute will ich mal mit einem Partytipp für die Kurzentschlossenen unter euch starten. Also nur für den Fall, dass ihr in den nächsten zwei Wochen noch nichts vorhabt: Ich kann einen Trip nach Oslo wärmstens empfehlen.

Erstens gehört Oslo so oder so nicht zu den Städten, um die man einen großen Bogen machen muss. Und zweitens steppt dort ab Mittwoch der Bär, dann beginnt die nordische Ski-WM. Um das etwas einzuordnen: Das ist ungefähr so wie eine Fußball-WM in Brasilien oder eine Tour-de-France-Etappe hinauf nach L'Alpe d'Huez. Mehr Mythos geht nicht.

Das hängt vor allem mit den völlig wintersportverrückten Norwegern zusammen. Ich habe sie bisher immer nur bei Weltcuprennen erlebt. Und ich kann mir nur ansatzweise ausmalen, was bei einer WM passiert. Hier herrscht ja schon sonst der Ausnahmezustand.

Die Homepage von Evi Sachenbacher-Stehle

Konkret bedeutet das: Kurz vor einem Langlaufwettbewerb packt der Norweger seine sieben Sachen, tankt das Wohnmobil voll und kommt an die Strecke. Dort richtet er sich dann schon Tage vor dem Start häuslich ein. Einige, und das ist nicht geflunkert , bringen sogar ihr eigenes Sofa mit. Auf dem machen sie es sich dann gemütlich und verfolgen entspannt das Rennen.

Für uns Athleten ist diese Atmosphäre natürlich wundervoll. Ich könnte mir aber vorstellen, dass diese Begeisterung den WM-Organisatoren auch etwas Kopfzerbrechen bereitet. Denn zu verhindern, dass die Fans außerhalb des Wettkampfes auf der präparierten Strecke ein wenig spazieren gehen - das könnte eine echte Herausforderung werden.

Atmosphäre aufsaugen

Ich persönlich freue mich sehr auf diese Titelkämpfe. Wir wohnen zwar in einem Hotel weg vom Schuss. Aber zum einen werden wir an unseren freien Tagen schon mal ins Zentrum gehen. Und zum zweiten bekommen wir die Stimmung an der Strecke ja hautnah mit. Einige von uns zumindest.

Ich weiß, dass es Athleten gibt, die bei so einer Großveranstaltung den berühmten Tunnelblick bekommen. Die würden es nicht mal registrieren, wenn du mit einer Signalpistole vor ihnen rumfuchtelst. Bei mir ist das anders. Ich sauge so eine Atmosphäre auf, das motiviert mich zusätzlich. Und: Ich kann das alles mittlerweile genießen.

Natürlich bin ich vor den Rennen noch immer nervös. Das gehört dazu, das muss so sein. Aber das ist kein Vergleich mehr zu früher. In den Anfangszeiten meiner Karriere habe ich mein Umfeld regelmäßig und zielsicher an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht.

Ich war ständig so nervös und hibbelig, das war unfassbar. Das Frühstück musste ich damals schon fast in mich reinprügeln, für drei Haferflocken habe ich eine Stunde gebraucht. Die logische Konsequenz war natürlich, dass ich am Saisonende fix und foxi war. Mein näheres Umfeld übrigens auch.

Muss niemandem mehr etwas beweisen

Heute sehe ich das Ganze wesentlich entspannter. Das hängt auch damit zusammen, dass Oslo bereits meine siebte WM wird. Ich war auch bei drei Olympischen Spielen - und ich habe in meiner Karriere schon so viel Glück und Erfolge gehabt, dass ich niemanden mehr etwas beweisen muss. Nicht falsch verstehen: Ich bin noch immer enorm ehrgeizig. Aber ich weiß, dass es im Sport gute und schlechte Phasen gibt. Und dass man sich nicht verrückt machen darf, wenn es mal nicht so läuft. Dieses Wissen hilft mir vor allem in dieser bisher absolut verteufelten Saison.

Da kann ich seit vielen Jahren die Vorbereitung das erste Mal ohne Probleme durchziehen und gehe richtig positiv in den Winter - und dann läuft nichts wie erwartet. Zwei, drei Infekte sowie eine  Weizen- und Eier-Intoleranz haben mich immer wieder zurückgeworfen. Von einer normalen und gezielten WM-Vorbereitung kann da leider keine Rede sein.

Die gesundheitlichen Probleme sind mittlerweile überwunden. Jetzt bleibt nur die Frage, ob ich rechtzeitig in Form komme. Eine Frage, die ich derzeit übrigens recht häufig gestellt bekomme. Und ganz ehrlich: Wenn ich die Antwort wüsste, würde ich mir wahrscheinlich morgen eine Glaskugel kaufen gehen und eine Menge Geld damit verdienen.

Klar ist nur eines: Zu den Topfavoritinnen zähle ich dieses Mal ganz sicher nicht. Das sind Marit Björgen und Justyna Kowalczyk. Ich gehe ganz entspannt an die Sache ran, habe Spaß und gebe mein Bestes. Ich bin schon selbst ganz gespannt, wo das am Ende hinführen wird. Ein paar gedrückte Daumen können jedenfalls nicht schaden.

Bis bald.

Eure Evi

Evi Sachenbacher-Stehle, geboren am 27. November 1980 in Traunstein, gewann 2002 bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City Gold in der Staffel und Silber im Sprint. Bei den Winterspielen 2006 in Turin folgte eine Silbermedaille in der Staffel. In Vancouver 2010 gewann Sachenbacher-Stehle Gold im Team-Sprint und Silber in der Staffel. Neben ihren Olympia-Erfolgen stehen für Sachenbacher-Stehle 6 WM-Medaillen (1x Gold, 4x Silber, 1x Bronze) und drei Weltcup-Siege zu Buche. Mehr Infos zur SPOX-Kolumnistin gibt's  auf ihrer Facebook-Seite unter www.facebook.com/evi.sachenbacher.

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