Vom Hoppala zur Medaille

Von Copyright Text: The Red Bulletin, Werner Jessner
Anna Gasser überzeugte bei der Heim-WM am Kreischberg
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Anna Gasser erlangte bei den Olympischen Spielen 2014 auf kuriose Art und Weise erste Berühmtheit. Bei der Heim-WM in der Steiermark glänzte die Österreicherin dann allerdings auf der Piste - und das trotz eines großen Hindernisses. Ein Gespräch mit The Red Bulletin über Nervosität, das Abenteuer Olympia und ihren persönlichen Triumph am Kreischberg.

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Die Situation, deretwegen die mittlerweile 24-jährige Gasser beinahe weltberühmt geworden wäre, hatte etwas slapstickartiges: Ausgerechnet bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi, nachdem sie noch dazu die Qualifikation für den Slopestyle-Bewerb dominiert hatte, kugelte sie aus dem Starthaus, beinahe einen Startrichter an der Hand hinter sich herziehend.

Was war passiert? "Ein Missverständnis. Bislang war das Startsignal ein Thumbs-up gewesen. Doch der eine Startrichter wollte mir bloß viel Glück wünschen, indem er den Daumen nach oben streckte." Anna wollte los, der zweite Startrichter wollte sie zurückhalten.

Es dauerte, bis Anna mit Hilfe ihres Trainers den eisigen Starthügel wieder hinaufgekraxelt war. Die Kameras liefen weiter, die Konzentration war völlig hinüber, an ein vernünftiges Resultat nicht mehr zu denken. Die Situation, mit der Anna Gasser dann tatsächlich berühmt wurde, war die Art, wie sie 2015 bei der Heim-WM am Kreischberg in der Steiermark die Silbermedaille geholt hat, die linke Hand noch im Gips.

Was ist in der Zwischenzeit passiert? "Ein Jahr im Fast Forward, in dem ich so viel lernen musste wie noch nie."

Nach Sotschi war Anna noch fast ohne Druck gereist. Ein Top-Ten-Ergebnis hatte sie sich zum Ziel gesetzt, doch ihr erster Platz 1 in der Quali verschob die Erwartungen naturgemäß völlig, zumindest für die Umgebung: "Ich habe nach der Quali begriffen, wie groß Olympia überhaupt ist. Alle haben auf mich geschaut. Da ist mir die Nervosität voll eingefahren."

Frage: Bist Du vor Wettkämpfen generell nervös?

Anna Gasser: Und wie! Ich habe aber gelernt, dass ich diese Nervosität brauche, dass sie gut ist, selbst wenn sie sich im Moment schrecklich anfühlt.

Frage: Warum das?

Gasser: Nur wenn du unter Spannung stehst, kannst du gute Leistungen bringen. Wenn ich am Start zu cool bin, wird das nichts. Du musst den feinen Grat zwischen Verkrampfung und Lockerheit treffen.

Frage: Wie schaffst Du das?

Gasser: Ich schaffe es eh nicht immer. Aber Erfahrung hilft. Situationen, auch ungewöhnliche, schon erlebt zu haben. Man muss vielleicht nicht unbedingt bei Olympischen Spielen aus dem Starthaus purzeln.

Frage: Wie bist Du, wenn Du nervös bist?

Gasser: Ich mag mit keinem reden. Meine Trainer kennen das und wissen es zu respektieren.

Frage: Woran denkst Du am Start?

Gasser: Durchaus auch an negative Dinge. Wie es wäre, zu versagen. Dann fahre ich gut, damit es nicht so weit kommt. Leistung als Selbstschutz, wenn man so will.

Frage: Was konntest Du aus dem Olympia- Abenteuer mitnehmen?

Gasser: Mehr als an den schlechten Medaillen-Tag erinnerte ich mich an meine Quali. Mich für das Finale zu qualifizieren war mein eigentliches Ziel gewesen. An Gold, Silber oder Bronze hatte ich keinen Gedanken verschwendet. Im Quali-Lauf war ich erstmals komplett in meiner Zone. Ich kriegte nichts mit, war innerlich ruhig, alles funktionierte genau so, wie es sollte. Diesen Zustand wollte ich wieder herbeirufen.

Frage: Wie macht man das?

Gasser: Große Aufgaben zerlege ich seither in viele kleine. Am Start arbeite ich im Kopf einen Trick nach dem anderen ab. Ich sehe jeden Sprung, aber auch jede Transition, jede Einheit eines Runs als eigenen Teil, der meine volle Aufmerksamkeit verdient. Selbst die, die ich im Schlaf kenne. Punkt zwei in der großen Post-Olympia-Selbstanalyse: Wie schafft man es, wieder am Punkt zu sein, den Kopf hochzufahren, selbst wenn der so wichtige erste Run schiefgegangen ist? Slopestyle ist ein sehr fairer Sport: Du hast in jedem Bewerb eine zweite, manchmal eine dritte Chance. Ich musste lernen, Spannung neu aufzubauen, an die zweite Chance zu glauben.

Frage: Kann man sich schon vornehmen, aber wie setzt man es um?

Gasser: Am Kreischberg haben mir die äußeren Umstände geholfen. Nach dem ersten Lauf war ich Vierte, den zweiten Lauf habe ich - erwartungsgemäß! - völlig verpatzt. Als ich im dritten Lauf oben gestanden bin, wollte ich alles, nur nicht Vierte werden. Ich habe mir am Start überlegt, was ich unten sagen würde, wenn ich Vierte werde. Dann habe ich es geschafft, mich umzupolen und mir vorzustellen, wie es sein würde, wenn ich eine Medaille hole. Es war kein schönes Gefühl da oben.

Frage: Du hattest Dir zuvor die Hand gebrochen und alle Sehnen und Bänder gerissen. Deshalb warst Du mit einem Gips am Start, obwohl Dir die Ärzte davon abgeraten hatten.

Gasser: Im Training bin ich gestürzt und voll auf die verletzte Hand geknallt. Dass dabei nichts passiert ist, hat mir geholfen, im Finale Gas zu geben und im Kopf bereit zu sein, alles zu riskieren. Gleichzeitig hat der Gips Druck von mir genommen. Ich hätte ihn als Ausrede benutzen können, falls es nicht geklappt hätte. Jeder hätte das verstanden. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte nicht unten stehen und Platz vier erklären.

Frage: Macht es für Dich einen Unterschied, ob Dich eine Million Amerikaner bei den X-Games im Fernsehen sehen oder eine Million Österreicher am Kreischberg?

Gasser: Ja. Weil ich will, dass mich meine Freunde snowboarden sehen.

Frage: Macht Dich das nicht nervös?

Gasser: Doch, aber auf eine gute Art.

Das gesamte Interview gibt's hier.