"Mama verdrückte ein paar Schnapserl"

Von Christoph Köckeis
Athlet und Showmaster: Armin Assinger während seiner aktiven Zeit im Weltcup
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SPOX: Funktioniert das immer?

Assinger: Nein. Nehmen wir Toni Polster als Beispiel: War er in Form, hat er nicht gefackelt. Er ist dort gestanden, wo er stehen musste, hat den Ball gesehen und automatisch gehandelt. Annahme, Haken, und versenkt! War er nicht in Form, hat er gegrübelt. Soll ich die Bewegung nach rechts machen? Oder besser die nach links? Womit rechnet der Gegner? Als er sich entschieden hatte, war der Ball weg. Es geschehen zu lassen, ist das Rezept. Bei vier Weltcups gelang mir das perfekt. Die vier Siege gehören mir. Meine Medaille erfuhr ich mir schließlich mit der Millionenshow.

SPOX: Wie verlief Ihr Profi-Dasein dazumal - entspannter als heutzutage?

Assinger: Früher und heute sind schwer zu vergleichen. Zu meiner Zeit kickten wir Athleten mit Journalisten gemeinsam im Zielraum. Und es gab wirklich gefürchtete Eisenfüße - Karl Schranz war einer davon. Er ist dir nicht nur einmal mit den Stollenschuhen über das Schienbein radiert, sodass du am nächsten Tag kaum in den Skischuh gepasst hast. Oder wir spielten Volleyball im Neuschnee. In Übersee hattest du mitunter mal die Möglichkeit, zusammen auf ein Frustbier zu gehen, Erfolge zu feiern. Wir ließen es schon krachen, ohne uns wegzuschießen.

Super G der Männer abgesagt

SPOX: Und heute ...

Assinger: ... da sitzen die Stars im Zimmer und posten auf Facebook, Twitter oder Instagram sofort, was passiert ist. Durch das dauerhafte Online-Sein und neue Trainingsmethodik kommen zwischenmenschliche Sachen zu kurz. Ausradeln ist nicht gemeinsam Fußball spielen. Bei mir entstanden wirklich Freundschaften, etwa mit Leonhard Stock. Wir hatten riesigen Spaß. Heutzutage rennt zwar der Schmäh, jedoch weniger offensichtlich für die Medien.

SPOX: Manch erfolgreicherer Kollege verschwand in der Versenkung, während Sie zum Showstar reiften. Wie kam es dazu?

Assinger: 1989 durfte ich das erste Mal beim ORF reinschnuppern. Nachdem ich verletzt war, fragte ich, ob ich die Übertragungen als Co-Kommentator begleiten könne. Dadurch blieb ich nah an der Mannschaft und sammelte erste Erfahrungen. Jahre später erlebte ich mit, wie zwei Amerikaner in Aspen kommentierten. Sie standen im Zielhaus und schrien sich die Seele aus dem Leib. Das taugte mir. In Europa gab es das nicht, dieses lockere Hin und Her zwischen Reporter und Experte, wo der eine dem anderen eine Frage stellt, um ihm Kompetenz zuzuschanzen. Nach dem Rücktritt wollte ich das in Österreich umsetzen.

SPOX: Und Sie revolutionierten die Live-Übertragung.

Assinger: Ich bestritt sicher um die 300 Kamerafahrten. Ich erinnern mich, als ich in den Anfängen mit einer Kamera runtergerast bin, die andere auf der Schulter trugen. Dazu wurden mir Batterien an den Körper geschnallt. Ich hatte knapp 25 Kilogramm mehr - und danach unglaubliche Kreuzschmerzen. Für mich war das der Einstieg. Obwohl es nicht leicht war, Robert Seeger von meiner Idee zu überzeugen. Letztlich rauften wir uns zusammen und stellten was Einzigartiges auf die Beine.

SPOX: DasYoutube-Video zur olympischen Abfahrt 2006 ist in unserer Redaktion Kult. Was schwirrte Ihnen bei der Fahrt von Antoine Deneriaz durch den Kopf?

Assinger: (lacht) Alle redeten vom Olympiasieger Michael Walchhofer. Die Top 3 machten sich sogar bereit für das Siegerfoto. Ehe dieser Hundling kam. Deneriaz hatte die Nummer 30 und ich dachte mir schon, der würde gefährlich. Er zauberte eine gnadenlos gute Fahrt hin. Das Schicksal meinte es danach nicht gut mit ihm. Nach einem schweren Sturz zog er einen Schlussstrich. Er machte mich in Turin fast sprachlos, und das passiert selten. Wenn man sich in die Rolle versetzt, fiebert man eben extrem mit, leidet mit, wenn jemand stürzt. Meine Gedanken gehen immer an die Eltern, die vor dem Fernseher alles mitansehen. Ich bin froh, dass sich unsere Kinder nicht für den Job entschieden haben. Das würde ich nicht aushalten. Meine Mama weiß ein Lied davon zu singen. Ich und mein Bruder Roland fuhren beide Rennen - das war eine psychische Belastung. Sie verdrückte ein paar Schnapserl zur Beruhigung.

SPOX: Ein Gros der TV-Zuseher liebt Sie für Ihre Emotionen, der Rest hasst Sie. Wie geht man damit um?

Assinger: Einem jeden Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann, heißt es. Mir ist klar, dass nicht alle den Assinger hören können. Mir gefällt auch nicht alles, was ich sehe und höre. Bei einigen schwingt der Neid unterschwellig mit. Neid ist eine zutiefst menschliche Regung, die es hinzunehmen gilt. Der Mensch nörgelt ohnehin im deutschen Sprachraum lieber, als er lobt. Da muss man drüberstehen. Michael Douglas sagte einst: Erfolg ist die schönste Form der Rache.

SPOX: Selbst mit Hermann Maier gingen Sie auf Konfrontationskurs.

Assinger: Davon weiß ich nichts mehr (lacht). Es war bei der WM in Are 2007 und höchst lächerlich. Von den Medien wurde das hochgespielt. Ich habe mich längst mit Hermann ausgesprochen, das Thema ist durch.

SPOX: Ich verbinde mit dem Herminator unter anderen die Szene, als er in Beaver Creek mit dem Gesicht ein Abfahrtstor niedermähte und Gold erzwang. Sie?

Assinger: Das war eine verrückte Aktion. Ich dachte mir, er ist die Vorhut der Pistenarbeiter und hilft ihnen beim Abräumen. Er stieß in neue Dimensionen und zeigte uns Skifahren von einem anderen Stern. Er war besessen vom Erfolg und ein ausgeprägter Charakter, wie es Marc Girardelli oder jetzt Marcel Hirscher sind. Solche Typen ticken eben anders. Hermann wurde außerdem von seiner Vorgeschichte angetrieben. Als Jugendlicher flog er aus den Kadern - das motivierte ihn. Er wollte es allen zeigen und versenkte die Konkurrenz geradezu mit Rekordvorsprüngen. Er fuhr Linien, die keiner für möglich hielt. Wie in Beaver Creek.

SPOX: Nun kehrt die WM zurück nach Vail. Was ist von den Deutschen zu erwarten?

Assinger: Österreichs Einser-Bock heißt Marcel Hirscher. Dahinter fehlt der Nachschub. Läuft es blöd, sind drei Deutsche im Slalom voran (lacht). Im Fußball seid ihr schon unbezwingbar und jetzt im Winter stark. Beim DSV sieht man jetzt, welche Wirkung ein Zugpferd wie Felix Neureuther hat. In seinem Windschatten pirschen sich Junge heran. Ein Fritz Dopfer, ein Stefan Luitz, oder ein Linus Strasser, der es drauf hat. Für sie ist alles möglich.

SPOX: Welche Chancen hat Josef Ferstl?

Assinger: Weltmeisterschaften schreiben ihre eigenen Gesetze. Oft schlägt jemand zu, den wir nicht auf der Rechnung haben. Warum nicht Ferstl? Geht ihm ein Licht auf, holt er vielleicht eine Medaille. Gerade in der Abfahrt und im Super-G wird es unglaublich eng. Kjetil Jansrud ist der große Favorit. Für ihn wäre alles andere als Gold eine Enttäuschung. Dahinter lauern mitunter wir Österreicher mit Hannes Reichelt und Olympiasieger Matthias Mayer.

SPOX: Ist die "Birds of Prey", auf welcher die Speed-Disziplinen ausgetragen werden, eine der letzten echten Herausforderungen?

Assinger: Es gibt schon noch diese Klassiker, die Athleten fordern. Nur fehlen mittlerweile die Spezialisten - und die braucht der Sport. Sie setzen Maßstäbe, ob in den technischen oder den Speed-Disziplinen. Ich war nie ein Freund dieser Allrounder-Züchtung. Anstatt Stärken zu forcieren, werden zuerst Schwächen ausgemerzt. Man trifft sich in der Mitte und dort ist der Durchschnitt daheim. So nivelliert man das Niveau nach unten.

SPOX: Wie ist die Entwicklung zu stoppen?

Assinger: Früher waren wir auf Rumpelpisten unterwegs. Heute ist alles optimal präpariert. Die Abfahrten mussten entschärft werden. Durch die Material-Entwicklung kamen Kurven-Radien und Geschwindigkeiten zustande, die zu gefährlich waren. Um der Entwicklung Herr zu werden, setzte man zunehmend Ecken rein. Verjagte es dich von der Linie, hingst du im Netz wie ein Fisch. Mittlerweile versucht Hannes Trinkl, der neue Rennleiter, Wellen einzubauen, wo die Athleten aus der Hocke gehen, sich das Tempo reduziert und den Lauf um Kriterium erweitert. Die Klassiker werden in 50 Jahren weiterhin jeden fordern - die Streif ohnehin.

SPOX: Danke für das Stichwort: Sie sagen, jeder Mensch hat seine persönliche Mausefalle. Zu guter Letzt: Was ist Ihre?

Assinger: Man sieht sich ständig mit Mausfallen konfrontiert. Eine meiner Mausfallen ist die Ungeduld: Ich denke mir, warum dauert das Interview so lange (lacht). Nein, es sind Dinge, die dich beschäftigen und nicht immer die großen Schwierigkeiten. Oft sind es alltägliche Herausforderungen, die Kraft rauben. Einst sagte ein Psychologe zu mir: "Armin, warum grübelst du solange über ein Problem. Die gehen dir sowieso nicht aus - es kommen wieder neue." Damit liegt er richtig.

Die alpine Ski-WM im Überblick

Seite 1: Assinger über Jauch und den Mythos Kitzbühel

Seite 2: Assinger über die neue Generation und deutsche Hoffnungen

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