"Kopf ausschalten? Das ist totaler Quatsch!"

Von Interview: Liane Killmann
Weiße Kopfhörer sind Ulrich Conradys Markenzeichen: Gregor Schlierenzauer betreut er seit 2007
© Getty
Cookie-Einstellungen

SPOX: Wie profitiert der Leistungssportler?

Conrady: Regeneration funktioniert nur über die Aktivierung des Parasympathikus. Wir machen eine Stressregulation. Und das schaffen wir über den Schall.

SPOX: Das heißt, ein Sportler hört Musik, die von Ihnen bearbeitet wurde, und wird leistungsfähiger?

Conrady: Die Musik dient nur als Träger, es ist egal, was für ein Song läuft. Wichtig sind nur die veränderten Schallwellen.

SPOX: Könnte jeder Athlet dasselbe auf die Ohren bekommen?

Conrady: Nein, bei den Hochleistungssportlern werden die Schallwellen individuell angepasst. Ich habe 16.000 Parameter entwickelt, die per Computer abrufbar sind. Über dieses Programm nehmen wir je nach Athlet Einfluss.

SPOX: Haben Sie Schlierenzauer besser gemacht?

Conrady: Nein. Wenn ein Skispringer auf einer Schanze die Kompetenz hat, 120 Meter zu springen, kann ich ihm nicht beibringen, 130 Meter zu springen. Aber ich sorge dafür, dass die Sportler ihre Basiskompetenz im Wettkampf umsetzen können. Es geht mir immer um die Frage: Was können wir dafür tun, dass der Athlet das macht, was er kann. Davon kann keiner besser werden, das ist nicht möglich.

SPOX: Würde Ihr System auch im Alltag von uns Nichtsportlern für ein Leistungsplus sorgen?

Conrady: Selbstverständlich, denn Sie würden ausgeruhter ins Büro kommen, wären konzentrierter und ausgeglichener.

SPOX: Ist der Erfolg Ihrer Methode abhängig von einem guten Draht zu dem Athleten?

Conrady: Der persönliche Draht ist nicht zwingend erforderlich. Mit Doppelweltmeister Marcel Hirscher habe ich persönlich gar nicht so viel zu tun gehabt, aber er arbeitet seit längerer Zeit mit meinen Kopfhörern. Das hat ja auch ganz gut funktioniert.

SPOX: Unterscheidet sich die Arbeit mit einem Skifahrer von der mit einem Skispringer?

Conrady: Nein, ich kümmere mich um alle ÖSV-Nationalmannschaften. In der Arbeit mit der Schalltherapie ist es egal, ob ich einen Springer oder einen Biathleten vor mir habe. Aber in der Hormonsteuerung gibt es Unterschiede. Wir haben zuletzt eine Schokolade entwickelt. Die habe ich mit Schlierenzauer und Andreas Kofler bei der Vierschanzentournee ausprobiert und geschaut, wie wir die Botenstoffe optimal einsetzen können.

SPOX: Sie betreuen also auch die Nährstoffsteuerung der Springer.

Conrady: Ja, ich muss wissen, welche Hormone die Jungs an der Schanze brauchen. Um wegzuspringen, benötigen sie Adrenalin, ich brauche dazu den Baustein Dopamin. Ich überlege also, welche Eiweißkette ich ihnen vorher geben muss. Phenylalanin zum Beispiel. Das zerfällt im Körper automatisch immer in Dopamin, daraus kann sich Adrenalin bilden. Wenn ich das tue, ist es für einen Springer viel weniger Stress, da oben wegzuspringen, als für alle anderen.

SPOX: Warum essen dann nicht alle Springer Ihre Schokolade?

Conrady: Keine Ahnung, es weiß ja jeder, was ich tue. Und ich kann mit den Österreichern toll arbeiten und entwickeln.

SPOX: Wie bewerten Sie das Abschneiden der deutschen Skispringer in diesem Winter?

Conrady: Da geht es mir wie den deutschen Zuschauern. Am Anfang des Winters führte Severin Freund im Gesamtweltcup und die anderen Jungs sprangen auch mal vorne rein. Da wissen die Fans, Freund hat eine große Chance, die Vierschanzentournee zu gewinnen. Und wir haben gesehen, was dabei herausgekommen ist.

SPOX: Ein dritter Platz zum Auftakt, in der Gesamtwertung aber wurde Freund als 13. nur fünftbester Deutscher. In den Top 5 fand der DSV aber wieder nicht statt. Das ärgert Sie richtig!

Conrady: Ja, und was mich besonders stört: Wir haben immer wieder tolle Talente wie Pascal Bodmer. Er kam mit seinen 17, 18 Jahren richtig gut in den Weltcup hinein, dann stürzte er einmal - und plötzlich sieht und hört man von dem Jungen nichts mehr. Ein Riesentalent, ein netter Bursche, das ist schade! Gleiches droht bei Andreas Wellinger. Mich ärgert das, denn wir haben ja das Potenzial.

SPOX: Gab es denn schon einmal einen Kontakt von Ihnen zu den deutschen Springern?

Conrady: Ja, ich habe dem Verband meine Vorstellungen geschildert, wie ich die Dinge gern weiterentwickeln würde. Der DSV aber wollte, dass ich nur mit einzelnen Springern arbeite. Mit Martin Schmitt und Gregor Späth gab es diese kurze Zusammenarbeit. Aber das ist nicht das, was ich mir vorstelle.

SPOX: Ihnen geht es um die Weiterentwicklung Ihrer Ideen. Dafür war der DSV nicht offen?

Conrady: Offenbar nicht. Die Jungs sind im Training richtig, richtig gut. Es geht nur darum, das im Wettkampf abzurufen. Dazu muss man aber etwas ganz anderes machen, als das, was die DSV-Adler tun.

SPOX: Es heißt, die DSV-Adler würden künftig mit einem Diplom-Psychologen zusammenarbeiten. Sie zweifeln am Erfolg?

Conrady: Ja, das ist meiner Meinung nach der falsche Weg. Woran sollen die Jungs denn auf der Schanze noch alles denken. Sie brauchen einen freien Kopf.

SPOX: Dabei sprechen viele Sportler davon, unter Druck den Kopf ausschalten zu wollen.

Conrady: Das ist totaler Quatsch. Das System, was nicht vom Kopf gesteuert wird, verwandelt keinen Matchball. Die Meinungen, unter Druck etwas mit Aggression, Emotionalität oder Verhaltensstrategien lösen zu können, nehmen scheinbar zu. Aber das funktioniert nicht.

SPOX: Nicht?

Conrady: Nein, denn das System, wo die Emotionen gelagert sind, dieses Limbische System, das könnte nicht einmal Tore werfen. Das obliegt ausschließlich dem rationalen Verstand. Affen werfen keine Tore. Sich pushen zu wollen, ist Quatsch, genau das Gegenteil ist richtig. Ich muss ruhig und konzentriert sein, um zu gewinnen.

Nordische Ski-WM: Alle Ergebnisse