Eine Portion Langeweile? "Niemals!"

Von Interview: Jan Konietzny
Travis Rice in seinem Element, wobei der Schnee selbst für seinen Geschmack zu tief sein dürfte
© Getty

Travis Rice ist schon jetzt eine wahre Snowboard-Legende. Im Freestyle und Big Mountain Riding gilt er als Koryphäe und drehte zudem die wohl zwei besten Snowboard-Filme, die es jemals gab. Im Interview mit SPOX erzählt der "Paul Revere des Snowboardens" über seine schmerzhaften Anfänge auf dem Board, Erfahrungen mit Helikoptern und erklärt, warum man für seinen Job nicht bekloppt sein muss.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Vorwort: Travis Rice, wer kennt ihn nicht. Wahrscheinlich all diejenigen, die nichts mit Snowboard am Hut haben. Travis wurde am 10. September 1982 in Jackson Hole, Wyoming geboren - derzeit übrigens einer der exklusivsten Skiorte der USA. Dort lernte er das Boarden, stürzte ein ums andere Mal und fuhr wohl auch gegen den ein oder anderen Baum.

Mittlerweile gehört Travis Rice zu den besten Snowboardern dieser Welt, möglicherweise ist er sogar der bekannteste - Shaun White möge es einem nachsehen. Travis' Spezialgebiet ist das Freeriden. Im Backcountry, dem unerschlossenen, schneebedeckten Gelände, fühlt er sich wohl. Kilometerlange Abfahrten in der unberührten Natur gehören zu seinem Gelände.

Im Big Mountain Riding setzte er mit seinem Stil und spektakulären Rides neue Maßstäbe, nicht zuletzt mit seinen beiden Filmen "That's it, That's All" und "The Art Of Flight". Seine Erfolge bei den X-Games und sonstigen Contests aufzuzählen, würde zu weit führen - es sind schlichtweg zu viele. Darauf kommt es allerdings auch nicht an. Bilder sagen mehr als tausend Worte.

SPOX: Travis, man fängt nicht direkt damit an, auf Berge zu steigen und sich in die Tiefe zu stürzen. Wie verliefen deine ersten Schritte auf dem Snowboard?

Travis Rice: Das erste Mal, als ich ein Snowboard angeschnallt habe, war so ziemlich am Ende der Winter-Saison in Jackson Hole, an einem warmen Frühlingstag. Da müsste ich zwölf Jahre alt gewesen sein. Ich kann mich noch erinnern, wie ich in die Berge bin und so ziemlich gar nichts auf dem Snowboard hinbekommen habe. Aber ich war so aufgekratzt, dass ich mich immer wieder aufgerappelt habe - ich konnte einfach nicht aufhören. Der Tag davor war übrigens der einzige Tag in meinem Leben, an dem ich Ski gefahren bin.

SPOX: Was macht deiner Meinung nach einen guten Freerider aus?

Travis: Es kommt natürlich auf die Zeit an, die man investiert. Vor allem, wenn man auf Snowboardtouren in die Berge geht. Für mich kommt es darauf an, das zu nehmen, was man auf den Pisten, im Park und den Pipes lernt. Diese Elemente, diese Fertigkeiten brauche ich auch dort, wo es eben keine vorgefertigten Lines gibt - in den Gebirgen, in der Wildnis. Generell gibt es aber kein wirkliches Rezept dafür, ein guter Snowboarder zu werden, wenn man nicht einfach in die Berge zieht und fährt, fährt, fährt. Ich wünschte es wäre so einfach wie an der Konsole, aber es braucht einfach viel Zeit und viel Engagement.

SPOX: Gab es einen Punkt in deinem Leben, an dem du wusstest: Snowboard ist deine Berufung?

Travis: Als ich 14 oder 15 war, war ich dem Snowboarden völlig verfallen. Ich hörte auf, Eishockey zu spielen und gab dem Boarden alles, was ich hatte. Ich habe die Sommer in Mt. Hood (Nähe Portland/Oregon, Anm. d. Red.) und Whistler (Kanada, Anm. d. Red.) verbracht. Ich war jung und total engagiert, möglicherweise damals sogar mehr als heute. Meine Liebe für Snowboarden geht tief, aber Vielfalt ist für mich noch immer die Würze im Leben. Du machst eine Sache immer und immer wieder, und egal wie toll sie ist, irgendwann wird sie auf eine gewisse Art und Wiese alt. Ich fahre noch immer leidenschaftlich gerne Snowboard, aber ist nur eines von vielen Elementen in meinem Leben.

SPOX: Erinnerst du dich noch an das erste Mal, als du mit deinem Snowboard auf einen Gipfel gestiegen bist?

Travis: Ich bin in den Bergen aufgewachsen, daher kann ich mich an recht viele Male auf einem Gipfel erinnern. Jedes Mal, wenn ich da oben bin, bin ich sprachlos. Das ist einfach etwas ganz besonderes. Man lebt von Tag zu Tag, so vor sich hin. Aber wenn ich auf einem Berg stehe und weiß, dass es gleich runter geht, dann fühle ich mich wirklich lebendig.

SPOX: Salonfähig ist das Big Mountain Riding noch nicht und wird es in absehbarer Zeit wohl auch nicht werden. Wo liegen die Ursprünge?

Travis: Die Geschichte des Big Mountain Riding war ein natürlicher Prozess. Du fährst eine Line, schaust dich um, und findest eine noch größere und anspruchsvollere daneben. Es ist die menschliche Natur immer weiter und weiter zu gehen und sich dabei selbst immer vor neue Herausforderungen zu stellen. Die Pioniere bei dem Sport waren progressive Rider aus Europa und den USA. Die Einflussreichsten waren die Typen, die in Alaska aus Helis gesprungen sind. Das muss so in den späten Achtzigern, frühen Neunzigern gewesen sein. Dazu kann ich einen guten Film empfehlen: "Lines" von Axel Pauporte, einer der einflussreichsten Big Mountain Rider Europas.

SPOX: Muss man eigentlich von Grund auf ein wenig bekloppt sein, um mit Big Mountain Riding sein Geld zu verdienen?

Travis: Absolut nicht. Ich denke, da gibt es viele einfache Wege zu leben, die verrückter erscheinen als den ganzen Tag draußen im Schnee zu sein. Da ist viel Kalkulation in dem, was ich mache. Und das ist auch der Grund, warum ich seit nunmehr zehn Jahren so gut wie verletzungsfrei bleiben konnte. Ich bin für nachhaltiges Boarden.

SPOX: Das Boarden im Backcountry hat von der Grundidee etwas durchaus romantisches. Man geht in die unberührte Natur und fährt dort, wo noch nie jemand zuvor gefahren ist. Wie würdest du es beschreiben?

Travis: Man kann sagen, es ist wie ein verdammt gutes Buch. Es berührt jeden auf eine andere Weise und ich will da nicht derjenige sein, der das gute Ende schon vorweg nimmt. Das soll wirklich jeder selbst erleben.

SPOX: Snowboarden mal außen vor - interessierst du dich noch für andere Sportarten?

Travis: Oh ja, ich mag alle möglichen Sportarten. Ich bin großer Eishockey und Fußball-Fan, und ich stehe auf Surfen.

SPOX: Eine Frage, die einfach kommen muss: Was treibst du im Sommer?

Travis: Im Sommer geht es bei mir etwas gediegener zu, da wird zum Beispiel an Produkt-Designs gearbeitet. Dann geht es auch mal gerne eine Runde Surfen, wenn die Zeit es zulässt. Wandern, campen und natürlich schöne BBQs im Garten. Gelegentliche Trips in die südliche Hemisphäre, um ein bisschen Schnee zu sehen, sind auch drin. Ich mache eigentlich so ziemlich alles, was sich nach Spaß anhört, wenn nicht gerade an Projekten wie dem Red Bull Supernatural Course in Kanada arbeite.

SPOX: Reden wir über deinen aktuellen Film "The Art Of Flight". Die Europa-Premiere in München habe ich mir natürlich nicht nehmen lassen: Fantastische Rides, atemberaubende Naturaufnahmen und wie ich finde ein äußerst gelungener Soundtrack. Erzähl doch mal etwas über die Idee hinter dem Film.

Travis: Die Absicht war, dass gesamte Freeriden noch mal ein paar Schritte nach vorne zu bringen. Über Jahre war echtes Freeriden im Backcountry das Ziel in der höchsten Stufe des Boardens. Curt Morgan, Red Bull Media House und ich waren der Überzeugung, dass wir einen noch kompletteren Snowboard-Film hinbekommen würden. Für mich ist die Message, die wir mit dem Film vermitteln wollen, mit Abstand das wichtigste.

SPOX: Die da wäre?

Travis: Die Message soll schlicht Inspiration sein. Die Leute, die sich den Film anschauen, sollen raus gehen - raus in den Schnee. Wenn du aus dem Haus in dein Element gehst, dann lernst du am meisten über dich selbst. Wenn mehr Leute dazu in der Lage wären, sich selbst zu ergründen, könnten wir auch die Menschlichkeit an sich erhöhen. Das ist mir viel wichtiger, als irgendwelche Tricks oder ein irrer Jump. Wir wollen dem Snowobarden an sich etwas Gutes tun. Vielleicht können wir jemanden dazu bringen, seine Gewohnheiten zu ändern und ihm zum rausgehen zu bewegen.

Und die Message... scheint angekommen. Dieses Foto twitterte ein weiblicher jemand, der nun für den Rest seines Lebens ein Stück Travis mit sich herum trägt.

SPOX: Es ist wohl nicht übertrieben, deine Art Snowboard zu fahren als 'riskant' zu bezeichnen. Hast du - gerade auch im Hinblick auf den Film - härter trainiert als sonst?

Travis: Nein, nein - nicht wirklich. Für das, was wir im Film so machen, kannst du nicht trainieren. Da geht es einfach um Erfahrung und die Zeit damit zu verbringen, im Backcountry zu fahren.

SPOX: In "The Art Of Flight" gibt es eine recht spektakuläre Szene, wo du über dem Berggipfel schwebend, direkt aus dem Helikopter abspringst. Spontaner Einfall?

Travis: Das war das erste und einzige Mal, dass ich das versucht habe. Da ging es einfach nur darum, sich die Zeit zu nehmen und es richtig zu machen. Sowas mache ich jetzt natürlich nicht jeden Tag. Es war der erste Versuch. Und es war unglaublich aufregend. Man steht über dem Berg, in der offenen Tür - und die Aussicht, absolut atemberaubend.

SPOX: Ich kenne viele Leute, die beim Boarden oder auch Skifahren immerzu Musik hören. Wie ist das bei dir?

Travis: Wenn ich auf Pisten fahre, dann höre ich auch gerne mal Musik. Aber im Backcountry muss man aufmerksam sein und alles hören, was um einen herum passiert. Auch wegen der Lawinengefahr - da geht's nur ohne Musik.

SPOX: Ende letzten Jahres warst du in Stefan Raabs Show "TV Total" zu Gast. In den USA bat dich Conan O'Brien auf die Couch. Wahrscheinlich eine komplett neue Erfahrung für dich. Wie war's?

Travis: Wild. Und tatsächlich eine völlig neue Erfahrung für mich. Ich war vorher noch nie in einer TV Show. Ich war zugegebenermaßen etwas eingeschüchtert, aber auch sehr aufgeregt. Im Nachhinein war der Auftritt bei Stefan und "TV Total" wohl schon gemütlicher als mein Besuch bei Conan. Beide waren ziemlich scharfsinnig, da muss man einfach den richtigen Flow finden und versuchen, verbal mitzuhalten. Nicht so einfach.

SPOX: Letzte Frage. Bei so viel Adrenalin im Alltag - gönnst du dir auch mal eine Portion Langeweile?

Travis: Niemals. Aber ich freue mich schon auf ein paar langweilige Momente in meinem Leben. (schmunzelt)