"Skispringen ist elitärer als Golf"

Von Interview: Felix Götz
Jens Weißflog hat 1983 in Bischofshofen sein erstes Weltcup-Springen gewonnen
© Imago

Die fetten Jahre, in denen die deutschen Skispringer zu den besten der Welt zählten, sind vorbei. Jens Weißflog spricht bei SPOX über die grundsätzlichen Probleme seiner Sportart in Deutschland und wagt einen Ausblick auf die Tournee.

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SPOX: Herr Weißflog, der Saisonhöhepunkt steht bevor. Worin lag für Sie immer die große Faszination beim Skispringen?

Jens Weißflog: Der Reiz lag für mich immer schon einfach darin, die weltbeste Weite zu knacken.

SPOX: War das Skispringen für Sie ein Kick, hat das Adrenalin eine Rolle gespielt?

Weißflog: Eigentlich weniger, das war nie meine Hauptmotivation. Mir ging es um den Erfolg.

SPOX: Sie haben viele große Erfolge gefeiert. Gibt es rückblickend den einen größten Erfolg?

Weißflog: Grundsätzlich war jeder Erfolg ein schöner Moment. Wobei natürlich Olympia oder Weltmeisterschaften noch mal einen anderen Stellenwert haben. Wenn ich jetzt ein Ereignis als den schönsten Moment herausnehmen muss, dann wähle ich meinen zweiten Olympiasieg von der Großschanze in Lillehammer - ein unbeschreibliches Gefühl.

SPOX: Wagen Sie eigentlich auch heute ab und zu noch den Sprung von der Schanze?

Weißflog: Nein. Ich springe gar nicht mehr. Ich habe 1996 die Latten endgültig an den Nagel gehängt. Es gibt zwar so genannte Masters-Springen für Senioren, da nehmen aber eigentlich nur Athleten teil, die immer so einigermaßen dabeigeblieben sind. Das war bei mir eben nicht der Fall. Nach fast 15 Jahren auf die Schanze zu steigen und einfach runter zu springen, wäre schlichtweg zu gefährlich.

SPOX: Wie halten Sie sich dann fit?

Weißflog: Ich mache nur noch Sportarten, die meinem Fitnesszustand entsprechen. Nordic Walking, Radfahren und Langlaufen.

SPOX: Auch wenn Sie selbst nicht mehr springen, sind Sie weiterhin als Experte sehr gefragt. Also: Wie bewerten Sie die bisherigen Leistungen der DSV-Adler?

Weißflog: Es war - abgesehen von den guten Ergebnissen in Engelberg - einer der schlechtesten Starts in den vergangenen Jahren. Ob das jetzt glücklich oder unglücklich lief, ist uninteressant, weil am Ende nur die nackten Ergebnisse zählen. Severin Freund muss man extra betrachten, der hat seine Sache ganz gut gemacht, bewegt sich aber auch nicht am Limit. Insgesamt sind die Unterschiede zwischen Trainings- und Wettkampfsprüngen einfach zu groß. Im Wettkampf funktioniert vieles nicht. Das ist zu wenig. Der Anspruch der Zuschauer ist größer.

SPOX: Also hat meistens kein einziger Springer seine Leistung gebracht?

Weißflog: Es ist ja so, dass man einen Platz unter den ersten Zehn schon als Erfolg wertet. So etwas sollte aber Normalität sein.

SPOX: Besonders Martin Schmitt musste viel Kritik einstecken. Hat er den geeigneten Zeitpunkt für das Karriereende verpasst?

Weißflog: Rein subjektiv betrachtet könnte man das so sehen. Wenn er sich aber noch zum Springen berufen fühlt und sich zutraut, noch mal in die Weltspitze zu kommen, dann soll er weitermachen. Die Problematik ist doch, dass es gar keine Besseren gibt.

SPOX: Warum gibt es kaum Athleten, die nachrücken? Wurden im deutschen Skispringen Fehler gemacht?

Weißflog: Fehler wurden eigentlich schon zu meiner Zeit gemacht. Gewisse Konzepte haben nicht von den Spitzensportlern bis zum Nachwuchs gegriffen. Aber es ist natürlich immer leicht zu sagen, dass der DSV Fehler gemacht hat. Man muss auch sehen, dass gesellschaftliche Dinge den Skisprung treffen. Es fehlt der Nachwuchs, den Vereinen geht es finanziell schlecht. Es fehlt Geld um die Schanzen zu präparieren und um Trainer einzustellen. Wobei diese Dinge natürlich auch manch andere Sportart treffen.

SPOX: Wird an diesen Fehlern gearbeitet? Gibt es allmählich eine Entwicklung in die richtige Richtung?

Weißflog: Ja, es wurden schon Korrekturen vorgenommen. Aber es ist schwer. Für den Nachwuchs gibt es zahlreiche Angebote, warum sollte ein Jugendlicher ausgerechnet Skispringen? Man muss versuchen, dass Skispringen wieder attraktiver zu machen. Das ist ein langer Weg.

SPOX: Warum ist aus Ihrer Zeit oder aus der erfolgreichen Ära Schmitt/Hannawald, als das Skispringen hoch populär war, nichts hängengeblieben?

Weißflog: Es ist schon was hängengeblieben aus den guten Zeiten. Aber es gab innerhalb des DSV das Solidarprinzip, wo dann auch Gelder aus dem Skispringen für die Förderung von Langlauf oder der Nordischen Kombination verwendet wurden. Ironischerweise ist es nun so, dass im Langlauf und in der Nordischen Kombination die Erfolge da sind, es aber beim Skispringen hapert.

SPOX: Fehlt dem Skispringen also die Basis?

Weißflog: So ist es. Dort wo der Sport beginnt, also in den Vereinen, gibt es große Probleme. Es fehlt wie gesagt der Nachwuchs. Zum einen wird Skispringen nach wie vor als gefährlich angesehen, zum anderen ist es sehr teuer geworden. Eine Ausrüstung für ein Kind kostet locker 1000 bis 1500 Euro.

SPOX: Also ist Skispringen ein elitärer Sport, wie beispielsweise Golf?

Weißflog: So ähnlich sehe ich das auch. Skispringen ist fast elitärer als Golf.

SPOX: Fehlt es auch an Trainern?

Weißflog: Ja. Es fehlen junge Trainer. Das liegt auch daran, dass dieser Beruf an der Basis immer schlechter bezahlt wird. Es lohnt sich nicht, sich die Wochenenden um die Ohren zu schlagen, das wollen immer weniger Menschen machen. Die Anreize sind für junge Leute zu gering. Wenn wir die alten Trainer nicht hätten, dann würde es schlecht aussehen. Ein Beispiel: Bei meinem Heimatverein, wo ich angefangen habe, trainiert mein damaliger Trainer die Kinder immer noch - der ist über 70.

SPOX: Ist die Folge, dass das deutsche Skispringen über kurz oder lang komplett in der Bedeutungslosigkeit verschwinden wird?

Weißflog: Zumindest stelle ich die Behauptung auf, dass lange kein DSV-Springer mehr ganz große Erfolge feiern wird. Wobei es natürlich möglich ist, dass plötzlich einer aus dem Nichts den großen Durchbruch schafft. Das ist ja das Schöne am Skispringen. Insgesamt glaube ich aber, dass es in den nächsten Jahren für das deutsche Skispringen schwer wird, medial zu überleben. Darum geht es. Das Interesse wird immer geringer.

SPOX: Vielleicht gelingt bei der Vierschanzentournee eine Überraschung. Gibt es zumindest die Hoffnung, dass ordentliche Ergebnisse erreicht werden?

Weißflog: Meine Hoffnung ist, dass pünktlich zur Tournee eine Steigerung sichtbar wird. Das war in den vergangenen Jahren öfter der Fall - mal abgesehen vom letzten Jahr.

SPOX: Wem konkret trauen Sie den großen Sprung zu?

Weißflog: Momentan sehe ich da nur Severin Freund und Michael Neumayer, die sich vielleicht unter den ersten Zehn platzieren können.

SPOX: Ist das realistisch?

Weißflog: Das muss das Ziel sein, so schwierig es auch ist. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

SPOX: Wer ist ihr Favorit auf den Tournee-Sieg?

Weißflog: Simon Ammann ist ein alter Fuchs. Bei dem läuft es zwar noch nicht optimal, aber er hat noch Reserven. Er ist mein Favorit. Wobei eine Prognose bei der Tournee immer schwer ist. Meistens gewinnt dann doch ein anderer (lacht).

SPOX: Wer hat außer Ammann das Zeug zum Sieg?

Weißflog: Adam Malysz, Thomas Morgenstern und Andreas Kofler haben natürlich Chancen. Die Finnen und die Norweger muss man auch auf der Rechnung haben. Lassen wir uns überraschen.

Hannawald im Gespräch mit SPOX

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