"Michael Ballack hört diese Frage nie"

Von Interview: Florian Regelmann
Martin Schmitt holte 2002 Olympia-Gold in Salt Lake City
© Getty
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SPOX: Die WM-Silbermedaille bei der WM in Liberec war das i-Tüpfelchen auf Ihre starke Comeback-Saison im letzten Jahr. Was war das für Sie? Eine Befreiung? Eine Genugtuung?

Schmitt: Das Wort Genugtuung gefällt mir nicht so gut, weil es impliziert, dass man mit etwas nicht im Reinen ist. Ich war mit meinen sportlichen Ergebnissen nicht im Reinen, das stimmt schon, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich auf Teufel komm raus jemandem etwas beweisen müsste. Ich habe es für mich gemacht und nicht weil ich der Öffentlichkeit zeigen wollte, was ich für ein toller Typ bin (lacht). Ich bin jahrelang nicht auf dem Niveau gesprungen und deshalb war es schön für mich, dass ich zum Höhepunkt der Saison eine Top-Leistung abrufen konnte.

SPOX: Eine Top-Leistung wollen Sie sicher auch in dieser Saison häufig abrufen. Wenn ich den Tournee-Sieg oder den Olympiasieg anbiete, was nehmen Sie?

Schmitt: Da müsste ich schwer überlegen. Ich würde auf jeden Fall den Tournee-Sieg einer Olympia-Medaille vorziehen, weil ich den noch nicht habe. Realistischer ist aber sicherlich die Olympia-Medaille. Ich glaube schon, dass ich die Fähigkeiten habe, um in Vancouver um Edelmetall zu kämpfen. Ich habe das Vertrauen, dass ich dann in Top-Form sein werde. Klar ist aber auch, dass bei einem einzelnen Wettkampf viel passieren kann. Das Wetter kann chaotisch sein und man hat es vielleicht gar nicht in der Hand - mein Ziel ist es, an meinem persönlichen Optimum Skizuspringen.

SPOX: Das Wetter spielt immer eine große Rolle. Die Jury muss oft schwierige Entscheidungen treffen. Wie stehen Sie dazu?

Schmitt: Was ich mir wünschen würde, ist, dass man sich im Zweifelsfall die Zeit nimmt, um einen Durchgang ordentlich durchzuziehen. Die Chancengleichheit soll einigermaßen gewährleistet sein, und das war nicht immer der Fall. Lieber ein fairer Durchgang als zwei chaotische, dann wäre viel gewonnen.

SPOX: Vielleicht tragen auch die neuen Regeln, die in diesem Winter in einigen Wettbewerben getestet werden, dazu bei, dass es fairer wird. Wie ist Ihre Meinung zu den neuen Regeln?

Schmitt: Grundsätzlich finde ich den Gedanken, der dahinter steht, gut. Es ist ein richtiger Ansatz. Ich glaube zwar nicht, dass es immer total fair werden würde, aber ein bisschen Abfederung wäre da. Wir haben es im Sommer getestet - sonst hast du immer geschaut, wie der Rückenwind ist, wenn du dann weißt, es wird alles eingerechnet, kannst du dich besser auf deinen Sprung konzentrieren. Aus sportlicher Sicht ist es eine gute Sache. Das Problem, das ich sehe, ist die Schwierigkeit, es dem Zuschauer an der Schanze und vor dem TV begreifbar zu machen. Wenn er es nicht nachvollziehen kann, wird es sich nicht durchsetzen.

SPOX: Apropos TV. Den größten Skisprung-Hype gab es sicherlich zu Jauch/Thoma-RTL-Zeiten. Gefühlt waren alle Mädels in Deutschland in Sie verliebt und wollten ein Kind von Ihnen. Wie haben Sie das verarbeitet?

Schmitt: Ehrlich gesagt habe ich während eines Wettkampfs gar nicht viel von dem Hype mitgekommen. Ich war so fokussiert, dass ich zwar das Stadion und die Begeisterung als Ganzes wahrgenommen habe, aber was auf den Plakaten stand, habe ich nie gesehen. Klar haben die Mädels vor dem Hotel gekreischt, aber ich habe mir da keine großen Gedanken gemacht, warum das so ist. Das war eben so. Inzwischen ist es auch ein ganzes Stück ruhiger geworden.

SPOX: Einer, der vielleicht für neuen Hype sorgen könnte, ist Pascal Bodmer. Für fast alle kamen seine starken Leistungen überraschend. Für Sie auch?

Schmitt: Ja, schon. Wenn man in der Mannschaft im Herbst herumgefragt hätte, wer denn der Beste sei im Moment, hätten alle Michael Neumayer gesagt. Und jetzt ist er der fünfbeste. So schnell kann es manchmal gehen. Pascal hat einen guten Lauf gekommen - er hat Sicherheit und Vertrauen in seinen Sprung gefunden und er ist klar im Kopf. Er schafft es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und er überdreht nicht, weil er unbedingt einen Sieg will. Pascal ist ein guter Junge.

SPOX: Einer, der schon bald ein Siegspringer ist?

Schmitt: In dem Alter geht das manchmal schnell. Es ist wie ein Rohdiamant, der geschliffen werden muss und auf einmal funkelt er. Andere polieren ihre Diamanten und es tut sich nichts, aber Pascal hat anscheinend das richtige Tuch gefunden (lacht). Er hat unglaubliches Potenzial, aber es wird wichtig sein, dass er jetzt die Ruhe bewahrt und dass er sich weiter auf die Basics konzentriert. Nur dann wird er sich weiter steigern können. Tut er das, werden sich die Ergebnisse einstellen, und er wird auch Siege landen.

SPOX: Als Sie schon im Weltcup Erfolge gefeiert haben, war Pascal Bodmer noch ein kleiner Junge. Fühlen Sie sich alt?

Schmitt: Nein, das nicht. Aber man denkt schon zurück, wie man selbst mit 18 angefangen hat und wie die Zeit jetzt doch wie im Flug vorbei gegangen ist. Aber das ist im Leben nun mal so. Ich glaube, dass ich noch eine gewisse Zeit habe, in der ich den Sport ausüben kann.

SPOX: Wie lange wollen Sie Ihre Karriere noch fortsetzen?

Schmitt: Im Moment habe ich noch Freude am Skispringen und ich weiß, dass ich nach wie vor Weltklasse-Leistungen bringen kann. Also gibt es keinen Grund aufzuhören. Einem 31-jährigen Fußballer wird diese Frage nie gestellt. Michael Ballack ist älter als ich und hat noch nie so eine Frage gehört. Ich weiß, dass ich keine zehn Jahre mehr vor mir habe, vielleicht auch keine fünf, aber solange will ich die Zeit optimal nutzen und in jedem Wettkampf das Bestmögliche erreichen.

SPOX: Was kommt nach der Sportler-Karriere?

Schmitt: Ich habe noch keine konkreten Pläne, aber es kann gut sein, dass ich kein Trainer werde, sondern etwas ganz anderes mache. Es tut einem, denke ich, gut, wenn man auch mal eine neue Herausforderung sucht. Vielleicht studiere ich erstmal Politik. Ich habe zuletzt "Weltmacht im Treibsand" von Peter-Scholl-Latour gelesen, das war sehr interessant.

SPOX: Sie sind also ein politischer Mensch und zappen auch mal in "Plasberg" rein?

Schmitt: Das kann schon vorkommen. Ich interessiere mich auch für die Dinge, die außerhalb des Sports passieren. Hauptsächlich bin ich ein begeisterter Zeitungsleser und verfolge so das Weltgeschehen.

SPOX: Und wenn Sie mal lachen wollen...

Schmitt: ...dann schaue ich Harald Schmidt oder Pastewka. Das sind meine beiden Lieblinge.

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