"Nicht gerade der Schwiegermutter-Typ"

Von Interview: Alexander Mey
Christoph Stephan bei einer seiner unzähligen Grimassen
© Imago

Der deutsche Biathlon wird im Moment durch die Dopingvorwürfe gegen Herren-Bundestrainer Frank Ullrich erschüttert. Ein Jammer für die Athleten, denen dadurch der Abschluss einer erfolgreichen Saison verdorben wird. Einer davon ist Christoph Stephan.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Erster Weltcupsieg in Antholz, WM-Silbermedaille in Südkorea: Christoph Stephan war neben Michael Greis der erfolgreichste deutsche Biathlet in diesem Winter. Und das im Alter von gerade einmal 23 Jahren.

SPOX sprach vor dem Biathlon-Saisonfinale in Chanty-Mansijsk mit Stephan und lernte einen Mann kennen, der so gar nicht in das Bild von einem Muster-Biathleten passt. Kraftausdrücke, Grimassen, Tattoos, Rockmusik und Kultfilme a la "Pulp Fiction" oder "The Big Lebowski" sind Stephans Welt.

"Ich bin nicht gerade der Schwiegermutter-Typ", sagt Stephan und spricht außerdem über die Marotten seiner Teamkollegen, empörte ältere Damen, seinen verstorbenen Vater und seine Ex-Freundin Amelie Kober.

SPOX: Ist es frech zu sagen, dass Sie ein abgedrehter Typ sind?

Christoph Stephan: Nein, das stimmt schon. Ich bin nicht gerade der typische Biathlet. Aber ich kann halt nichts anderes. Ich habe mit sieben Jahren mit Langlauf angefangen und schnell festgestellt: Das will ich machen und nichts anderes.

SPOX: Wollten Sie die Kumpels nie überreden, Fußball oder Basketball zu spielen?

Stephan: Das war schon ein außergewöhnlicher Sport, den ich mir da ausgesucht hatte. In der Gegend, aus der ich komme, liegen die Rekorde in Sachen Schneehöhe bei rund 20 Zentimetern. Da ist nicht viel mit Langlauf und man wird komisch angeschaut. Dafür freuen sie sich jetzt umso mehr, dass es jemand aus dieser Gegend im Wintersport geschafft hat.

SPOX: Sie bezeichnen sich selbst als Gesamtkunstwerk. Nur ein Spruch oder ein echtes Lebensmotto?

Stephan: Das habe ich mal gesagt, als mich jemand auf meine Tätowierungen angesprochen hat. Und aus denen soll schließlich mal ein Kunstwerk werden.

SPOX: Das heißt, Sie sind mit dem Thema noch lange nicht fertig?

Stephan: Um Gottes Willen! Am Oberkörper will ich keine Haut mehr sehen.

SPOX: Woher kommt diese Begeisterung für Tattoos?

Stephan: Das hat mich schon immer fasziniert. Dann habe ich mir das erste stechen lassen und es entwickelt sich wirklich zu einer Sucht. Das ist einfach ein schönes Gefühl, die Nadel, der Schmerz. Darauf stehe ich irgendwie.

SPOX: Auf Ihrer Brust steht auf Spanisch "Erfolg, Schmerz, Glaube, Glück". Wofür stehen die Begriffe?

Stephan: Erfolg ist klar. Dabei geht es um den Sport. Schmerz steht nicht nur für das Tätowieren, es steht auch für die Quälerei beim Training und im Wettkampf. Glaube: Man muss eben immer an irgendetwas glauben, an sich selbst, an das, was man tut...

SPOX: ...an Gott?

Stephan: Nee, ich glaube nicht an Gott.

SPOX: Bleibt noch das Glück.

Stephan (lacht): Das braucht man immer - und wenn es am Schießstand ist.

SPOX: Warum die vier Begriffe auf Spanisch?

Stephan: Mein Vater hat fließend Spanisch gesprochen. Als er gestorben ist, habe ich mir diese vier Vorsätze, die er mir immer eingebläut hat und nach denen ich leben will, noch einmal aufgeschrieben, damit ich sie nicht vergesse.

SPOX: Sie sind tätowiert, Sie sind Rocker, Ihre Lieblingsfilme sind Kultstreifen wie "Pulp Fiction", "The Big Lebowski" oder "Snatch". Schwimmen Sie damit im Biathlon-Mainstream?

Stephan: Nicht wirklich. Mit so etwas können meine Kollegen nichts anfangen. Damit will ich aber gar nichts gegen sie sagen. Jeder tickt eben anders und hat seine eigenen Hobbys. Ali Wolf zum Beispiel steht total auf Autos. Und bei mir sind es Filme, Rockmusik und Tattoos. Damit bin ich vielleicht nicht gerade der Schwiegermutter-Typ, den man vom Biathlon kennt. Ich ecke stattdessen oft genug an. Die Leute sagen dann: "Mensch Stephan, kannst du nicht einmal ein bisschen anders sein?"

SPOX: Wer sagt das?

Stephan: In Oberhof kam zum Beispiel ein Frau zu mir und hat gesagt: "Scheiße sagt man nicht im Fernsehen." Will sie mir vorschreiben, was ich im Fernsehen sagen soll?

SPOX: Was sagen denn die Teamkollegen zu Ihrer Art? Liegen Sie mit denen auf einer Wellenlänge?

Stephan: Jeder Mensch hat seine guten Seiten. Wir müssen ja nicht alle die gleichen Hobbies haben. Wir machen zusammen viel Blödsinn, das verbindet auch (lacht).

SPOX: Mal ganz ehrlich, können Sie alle zusammen nach so einer langen Saison Schnee überhaupt noch sehen?

Stephan: Irgendwann reicht es wirklich. Ich habe genug und freue mich jetzt auf den Frühling.

SPOX: Worauf freuen Sie sich nach der Saison am meisten?

Stephan: Auf all das, was in den letzten Monaten nicht ging. Ein paar Mal abends weggehen, sich mit Kumpels treffen, ohne ständig Angst haben zu müssen, dass man sich irgendwo ansteckt und krank wird. Anfang April bin ich zum Beispiel in Erfurt auf einem Bob Dylan-Konzert.

SPOX: Und was ist mit Urlaub?

Stephan: Nee, der fällt aus. Eigentlich wollten Michael Rösch und ich noch einmal in den Skiurlaub.

SPOX: Wie, noch mehr Schnee?

Stephan (lacht): Genau das haben wir uns auch gedacht. Deshalb lassen wir es bleiben.

SPOX: Mit wem haben Sie neben Michael Rösch im Team am meisten Kontakt?

Stephan: Mit Ali Wolf und Arnd Peiffer. Wir haben auch privat viel miteinander zu tun.

SPOX: Auch noch nach der Saison?

Stephan: Dann treffe ich mich doch eher mit meinen Kumpels von zu Hause.

SPOX: Was erzählen Sie ihnen über die vergangene Saison?

Stephan: Gar nichts. Sie fragen auch nicht, weil sie genau wissen, dass ich nach der Saison die Nase voll habe und gerne über etwas anderes rede als Biathlon.

SPOX: Mit mir müssen Sie aber noch einmal kurz drüber reden.

Stephan: Die Saison war mit dem Sieg in Antholz und WM-Silber ein voller Erfolg. Davon hätte ich vorher nicht zu träumen gewagt. Ich habe meine Ziele übererfüllt, merke in den letzten Rennen aber trotzdem, dass die Luft ganz schön raus ist.

SPOX: Sie fangen dennoch schon Anfang Mai wieder mit dem Training an. Ziel ist Olympia 2010. Wird das Training noch härter?

Stephan: Auf jeden Fall. Jetzt gibt es keine Freunde mehr. Das wird knallhart durchgezogen.

SPOX: So viel Aufwand für einen Sport, der eigentlich nicht wirklich zu Ihrem Typ passt. Oder gibt es auch am Biathlon irgendetwas, das cool ist?

Stephan: Cool ist das nicht. Beim Biathlon haben die Zuschauer einen Altersdurchschnitt von 30 bis 60 Jahren. Aber es wird immer besser. Wenn man sich zum Beispiel Oberhof anschaut, das ist schon toll und die Fans werden auch immer jünger. Mir passiert es zum Beispiel immer häufiger, dass ich in der Disco erkannt werde. Das liegt aber wohl auch an dem einen Interview, das auch bei Stefan Raab gelaufen ist. "Bist du nicht der, der da Scheiße gesagt hat", fragen mich die jungen Leute dann.

SPOX: Was ist für Sie cooler als Biathlon: Skateboard oder Snowboard?

Stephan: Skateboard ja, das ist cool. Snowboard auch, aber nicht immer. Ich war mal mit einer Snowboarderin zusammen, und das, was die gemacht hat, war echt langweilig.

SPOX: Die Snowboarderin war die Olympia-Silbermedaillengewinnerin im Parallel-Riesenslalom, Amelie Kober. Was hat sie eigentlich zu Ihrem Zitat gesagt "der Sieg in Antholz war 3000 Mal besser als Sex"?

Stephan (lacht): Das weiß ich noch. Sie hat in einem Interview gesagt: "Ich fühle mich nicht angesprochen."