"Maria hat das Zeug zum Hero"

Von Johannes Rupprechter
Der 48-Jährige Wolfgang Maier leitet die Geschicke im Deutschen Ski-Verband
© Getty

Die alpine Ski-WM hat begonnen. Deutschlands Alpin-Direktor Wolfgang Maier verrät bei SPOX, warum Maria Riesch im Slalom plötzlich derart auftrumpft, was darunter leidet und wie er ihren Werdegang sieht. Außerdem spricht der 48-Jährige über Felix Neureuther und dessen große Schwäche, sowie über die fehlende Einstellung mancher Athleten.

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SPOX: Maria Riesch kämpft in dieser Saison um den Gesamt-Weltcup. Wie schätzen Sie ihre Chancen ein?

Wolfgang Maier: So wie sich das Thema im Augenblick präsentiert, ist Lindsey Vonn ein wenig stärker. Ich persönlich bin aber strikt dagegen, ständig über den Gesamt-Weltcup zu diskutieren. Und ganz ehrlich, das Thema nervt. Dadurch wird außerdem ein Riesendruck auf Maria ausgeübt. Ich glaube, dass ihre Formschwäche der letzten Wochen aus diesen ständigen Diskussionen resultierte. Die Erwartungen der Leute sind teilweise fern von jeglicher Realität, aber die Chancen sind sicher intakt.

SPOX: Durch die Verletzungen der Österreicherinnen Marlies Schild und Nicole Hosp sind diese doch so groß wie seit Katja Seizinger 1998 nicht mehr.

Maier: In den letzten zehn Jahren waren auch Martina Ertl und Hilde Gerg schon nahe an der Kugel dran. Maria selbst war 2003/04 auch schon Dritte, da war sie wohl noch zu jung und unreif dafür. In der letzten Saison gab es ebenfalls nur zwei bessere. Warten wir ab, was es diesmal wird und wie sich die einzelnen Disziplinen weiterentwickeln.

SPOX: Sie haben kürzlich gesagt, sie arbeitet nun wesentlich härter als noch vor einigen Jahren.

Maier: Absolut, sie hat nun kapiert, dass Skifahren nicht nur aus Rennfahren besteht. Die Grundlagen für den Erfolg werden den Sommer über mit Fitnesstraining gelegt. Das beherzigt sie mittlerweile viel mehr als früher und ist ein wesentlicher Grund für die Erfolge in dieser Saison. Auch menschlich ist sie enorm gereift und nun eine richtige Persönlichkeit.

SPOX: Wie erklären Sie es sich, dass sie in dieser Saison im Slalom zur absoluten Siegläuferin avancierte und die Konkurrenz oft sogar düpierte?

Maier: Sehr gute Anlagen hatte sie in dieser Disziplin ohnehin schon seit jeher. Unser Slalom-Team ist generell sehr stark. Von daher hatte sie im Sommer sehr gute Orientierungsmöglichkeiten und hat das Slalom-Training kräftig forciert.

SPOX: Worunter aber ihre eigentlichen Spezial-Disziplinen, Abfahrt und Super-G, gelitten haben.

Maier: Der Fokus des Sommertrainings lag zu sehr auf den Technikbewerben. In den schnellen Bewerben mangelt es ihr derzeit einfach etwas an der Sicherheit. Das Gesamtkonzept muss überdacht werden. Es müssen wieder mehr Speed-Trainings eingestreut werden. Will sie den Gesamt-Weltcup wirklich gewinnen, muss sie in der Lage sein, in drei Disziplinen konstant auf Sieg zu fahren.

SPOX: Könnte Maria Riesch durch ihre Erfolge einen Ski-Boom in Deutschland auslösen? Gerade in Hinblick auf die Heim-WM 2011 in Garmisch wäre dies sehr wichtig.

Maier: Das ist schwer zu beurteilen. Wir hatten auch in den 90er Jahren massivste Erfolge im Alpin-Bereich. Einen Boom konnten wir dadurch trotzdem nicht entfachen. Wir haben im deutschen Sport ohnehin wenige Heroes, nach denen das Volk so lechzt. Maria erfüllt viele Anforderungen und besitzt die Voraussetzungen einer zu werden. Inwiefern sie dann eine Euphorie auslösen kann, muss man abwarten.

SPOX: In den Speed-Disziplinen gibt es außer Maria Riesch nur noch Gina Stechert und Viktoria Rebensburg. Im Gegensatz dazu herrscht in den Technik-Bewerben alles andere als ein Mangel an Athletinnen. Wie erklären Sie sich diese enorme Kluft zwischen den einzelnen Disziplinen?

Maier: Das ist einfach zu erklären, dieses Bild täuscht nämlich. Wir haben auch in den schnellen Disziplinen ein Team von sieben bis acht Mädchen. Von Ende Oktober bis Anfang Dezember hatten wir dann eine riesige Pechsträhne, etliche Athletinnen haben sich schwer verletzt und sich die Kreuzbänder gerissen. Daher blieb nur das von Ihnen erwähnte Trio übrig. Wir haben allgemein in den letzten Jahren stets mit Verletzungen im Abfahrts-Sport zu kämpfen. Daher halten viele Eltern ihre Kinder von klein auf von den Hochgeschwindigkeits-Bewerben fern.

SPOX: Im Slalom indes hat Deutschland zumeist sogar mehr Läuferinnen als Österreich am Start. In Zagreb waren gar acht DSV-Mädels im Finale, hingegen nur eine Österreicherin. Liegt man in den Technik-Bewerben mittlerweile schon gleichauf mit der Alpinnation?

Maier: Nein, dies wäre ein Trugschluss. An den Österreichern können wir vom DSV nicht vorbeiziehen. Punktuell können wir mal in einzelnen Rennern erfolgreicher sein, aber nicht auf Dauer. Das ist auch nicht unser Ziel. Letztendlich ist das die Nation, mit der besten Verbandsstruktur und den besten und meisten Athleten. Wenn bei Österreich Schild und Hosp zurückkehren, haben sie drei Top-Sechs-Läuferinnen, wir hingegen nur eine. Aber ich gebe zu, es ist ganz lustig, wenn sie mal ein Debakel erleben, wie zum Beispiel die Herren bei der Lauberhorn-Abfahrt.

SPOX: Apropos Herren: Hier geht's im deutschen Verband nur sehr schleppend voran. Lediglich Felix Neureuther hat schon des Öfteren bewiesen, welches Potenzial in ihm steckt, an der Konstanz hapert es noch. Was trauen Sie ihm bei der WM zu und woran muss er in erster Linie noch arbeiten?

Maier: Er ist bei der WM ein Kandidat, der auf jeden Fall um den Titel mitfahren kann. Die jüngsten Ergebnisse mit den vielen Ausfällen spiegeln sein wahres Potenzial nicht wieder. Felix muss aber gegen sich selbst noch um einiges härter werden. Er muss im Training die Umfänge und Intensität um einiges erhöhen. Dann kann er den Sprung vom ewigen Talent zum dauerhaften Siegläufer schaffen.

SPOX: Bei den anderen Herren gelten Final-Teilnahmen zumeist schon als Erfolg. Was ist das Hauptmanko an der Misere?

Maier: Die Hauptproblematik ist, dass wir viele Jahre viel zu nachlässig mit dem Thema umgegangen sind. Man war viel zu locker mit den Vorgaben und dem Controlling. Jahrelang haben die Damen die Alpinen-Fahne hochgehalten. In den letzten beiden Saisons haben wir im Herren-Bereich aber extrem starke Korrekturen vorgenommen und setzen alles daran, auf die richtige Schiene zu kommen. Wir müssen nun die jungen Athleten dazu erziehen, dass sie alles dem Leistungssport unterordnen und mit Herzblut bei der Sache sind. Wenn uns das gelingt, müssen wir in einigen Jahren nicht mehr von einer Misere bei den Herren sprechen.

SPOX: Das klingt so, als ob viele Athleten in der Vergangenheit nicht alles ihrer Sportart unterordneten. Vermissen Sie bei einigen die letzte Konsequenz?

Maier: Absolut. Es steht nicht zur Diskussion, dass sich manch deutscher Athlet nachmittags lieber mal auf die Couch gelegt hat, anstatt Konditionstraining zu machen. Aber dem wurde jetzt ein Riegel vorgeschoben. Denn jeder Sportler, der weiter beim DSV bleiben will, aber sich nicht dementsprechend präsentiert, zahlt sein Training und seine Wettkämpfe selber.

SPOX: Zuletzt musste der DSV wegen finanzieller Engpässe zwei Nachwuchsteams auflösen und zahlreiche Trainer entlassen. Muss man daher in den nächsten Jahren eine große Flaute befürchten?

Maier: Der DSV ist letztlich in seine ursprünglichen Formen zurückgekehrt und hat Leute abgeben müssen. Es war ein Unding, dass das Land Bayern nicht einen einzigen Trainer stellen konnte. Durch dieses finanzielle Zwangsdiktat ist es wieder so, dass ein Spitzenverband wie der DSV, für die Nationalmannschaft zuständig ist und nicht für die Kinder und Schüler. Durch die Probleme, die wir hatten, mussten sich die Landesverbände wieder ihrer ursprünglichen Aufgabe, der Nachwuchsarbeit, widmen. Wir können mit diesen Reduzierungen leben und durchaus vernünftig weiterarbeiten.

SPOX: Was ist die konkrete Zielvorgabe für die WM in Val d'Isere?

Maier: Wir müssen eine Medaille gewinnen, das wird allein schon von der Öffentlichkeit erwartet. Die Maria hat in drei bis vier Disziplinen das Zeug dazu und auch der Felix im Slalom. Wir sind bereit dafür.

Der Gesamt-Weltcup-Stand der Damen