Als Kind in den Zaubertrank gefallen

Von Alexander Mey
Drei Männer beim Strongman-Training: Martin Wildauer, Alexander Mey und Heinz Ollesch (v.l.)
© spox

Es ist wieder Themenwochen-Zeit! Nachdem sich bisher immer alles um König Fußball drehte, kommt diesmal die große, bunte Welt des Sports zu ihrem Recht. SPOX hat sich außergewöhnlichen Sportarten angenommen, die nicht so im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Und weil Probieren ja bekanntlich über Studieren geht, haben die Redakteure auch gleich Selbstversuche unternommen. Im dritten Teil der Themenwoche "SPOX in action" berichtet Alexander Mey vom Training beim stärksten Mann Deutschlands. Heinz Ollesch ist Strongman, Gast in zahlreichen TV-Shows und hält eine ganze Reihe irrer Rekorde.

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Es ist der 16-Uhr-Zug aus München, der gerade am Haus von Heinz Ollesch in Lehen/Großkarolinenfeld vorbeifährt. Irgendwo in Oberbayern, nächster Halt Rosenheim.

"Früher bin ich immer bis dort zur Bahnstrecke und zurück gejoggt", sagt Ollesch, 1,91 Meter groß, um die 150 Kilogramm schwer.

Ollesch im Interview: "Schwarzenegger war meine Leitfigur"

80 Tonnen schweren Waggon gezogen

Heute joggt er nicht mehr zur Bahnstrecke. Zu Eisenbahnen hat er einen ganz anderen Draht entwickelt. Er ist die Lok, er zieht die Waggons. 80 Tonnen Eisen - kein Problem. "Einen Eisenbahnwaggon zu ziehen, ist gar nicht einmal so schwer. Um ihn erst mal in Bewegung zu versetzen, muss man eine unheimlich hohe Kraft aufbauen. Wenn er aber erst einmal rollt, rollt er", erklärt Ollesch. Schon klar, 80 Tonnen - kein Problem.

Ollesch sieht gar nicht aus wie eine Lok. Klar, er ist groß und schwer, wirkt, als sei er als Kind in den Zaubertrank gefallen. Aber sonst? Baumwoll-T-Shirt, Jogginghose, Dreitage-Bart. Ein gemütlicher Typ mit freundlichem Gesicht. Lacht gerne. Kantig, kalt, furchterregend wie eine Lok? Nein, so ist Ollesch nicht.

Zwölf Mal stärkster Mann Deutschlands

Dabei ist das, was der 43-Jährige kann, durchaus furchterregend. Er ist Strongman. Das heißt, er hat die Kraft, um Dinge zu tun, von denen normal Sterbliche nur träumen können.

Zwölf Mal war Ollesch der stärkste Mann Deutschlands, zum letzten Mal 2006. Ein Jahr später hat er seine Wettkampf-Karriere beendet. Mehr als zehn Jahre lang zählte Ollesch zur Weltspitze, 1995 war er Vierter beim World's Strongest Man, dem größten Wettkampf, den der Sport kennt. Zu einem Podestplatz hat es nie ganz gereicht - Verletzungen, die Lok streikte. "1997 war eigentlich mein bestes Jahr. Doch vier Wochen vor dem Wettkampf habe ich mir den Oberschenkelmuskel eingerissen und konnte die Beine gar nicht mehr trainieren", erzählt Ollesch. Trotzdem wurde er Sechster.

Alles irgendwie überdimensioniert

Er sitzt auf einer Bank vor der Scheune, in der er alles aufbewahrt, was man für das Strongman-Training braucht. Im Prinzip Dinge des Alltags: Reifen, Koffer, Steine. Nur alles irgendwie überdimensioniert. PKW-Reifen gibt es nur zum Abfangen der bis zu 160 Kilogramm schweren Steinkugeln oder im Viererpack als Gewichte auf einer Langhantel mit viel zu dickem Griff. Die echten Trainingsreifen sind übermannshoch und wiegen 400 Kilo.

Man braucht sie zum Wheel Flip, einer der Standard-Disziplinen bei Strongman-Wettkämpfen. Der Reifen liegt flach auf dem Boden und muss so oft wie möglich aufgerichtet und zur anderen Seite umgekippt werden. Gewonnen hat derjenige, der eine vorgegebene Zahl von Überschlägen am schnellsten bewältigt.

Strongman-Disziplinen haben lange Tradition

Andere Disziplinen, die in vielen Strongman-Wettkämpfen vorkommen, sind der Bavarian Stone Lift, bei dem man einen an einem Griff befestigten Stein so weit wie möglich anheben muss, die Stones of Strength, bei denen man unterschiedlich schwere und große Steinkugeln auf Podeste heben muss, oder der Farmer's Walk, bei dem man mit zwei in der Regel 150 Kilogramm schweren Eisenkoffern in den Händen um die Wette laufen muss.

"Die meisten sind Traditionsdisziplinen aus verschiedenen Ländern. Hier aus Bayern kommt zum Beispiel das Steinheben. Aus Schottland kommen die Kugeln und der Farmer's Walk. Damals sind einfach Bauern mit Milchkannen in den Händen so weit gegeneinander gelaufen, wie sie konnten", erklärt Ollesch.

LKW-Ziehen kann man kaum trainieren

Strongman sein heißt, Kraft praktisch anzuwenden. "Funktionelle Kraft" nennt Ollesch das. Man pumpt sich nicht nur irgendwie auf, sondern man trainiert darauf, besonders schwere Lasten tragen, ziehen oder heben zu können. So wie eben LKWs oder PKWs, zwei der moderneren Disziplinen bei Strongman-Wettkämpfen.

Die kann man aber schwer trainieren. Wer hat schon einen 30-Tonner im Hof stehen, den er mal eben ziehen kann? Nicht einmal Ollesch. Er hat nur einen alten Traktor, mit dem er manchmal übt.

Selbstgeißelung unter dem Joch

Dafür hat er ein Joch, mit dem er das Yoke Race übt. Es gilt, den mit Gewichten bestückten Stahlrahmen auf den Schultern so weit und so schnell wie möglich zu tragen.

Klingt machbar. Jetzt schlägt meine Stunde. Ollesch bereitet das Gerät für meinen Selbstversuch vor. Er stellt die Stange 20 Zentimeter weiter nach unten - ich bin weder 1,91 Meter groß noch wiege ich um die 150 Kilo - und nimmt ein Gewicht nach dem anderen herunter. Was bleibt übrig? "120 Kilo", sagt Ollesch.

Schmerzen, die Stange liegt zu sehr auf dem Nacken. Das Joch pendelt, es fällt schwer, das Gleichgewicht zu halten. Aber der stärkste Mann Deutschlands schaut zu, Blamieren verboten. Also geht es voran, Schritt für Schritt, oder besser Schrittchen für Schrittchen. Es klappt, ganz gut sogar. Ich gehe 15 Meter hin. Ich gehe 15 Meter zurück. Niemand lacht mich aus.

Bis zu 410 Kilo auf dem Joch

Ollesch hat mittlerweile Besuch bekommen. Martin Wildauer ist da. Ollesch trainiert den 22-jährigen Österreicher auf dem Weg zur internationalen Spitze. 2009 belegte Wildauer den siebten Platz in der Strongman-Champions-League. Die gibt es wirklich.

Auch er trainiert mit dem Joch, genauso wie ich. Und doch ganz anders. "Ich bin jetzt mit 330 Kilo dran, oder?", fragt Wildauer seinen Trainer. Der antwortet: "Nein, die hattest du doch schon." "Echt, ich dachte, es waren nur 290!" Wildauer freut sich, weil er besser ist als gedacht, und ich weiß jetzt, was Ollesch meint, wenn er sagt, dass normale Menschen seine Leistungen für unerreichbar halten. Wildauer macht am Joch mit 360 Kilo weiter, im letzten Versuch sind es 410 - Wettkampfgewicht.

VIDEO: Martin Wildauer trägt 410 Kilo - aber nicht allzu weit

Ollesch: "Es gibt in jedem Dorf einen Stärksten, der ran muss"

Normale Menschen trifft Ollesch oft bei Show-Wettkämpfen auf Messen, Festen oder in TV-Sendungen. Seine Darbietungen sind sehr beliebt, weil er mit Alltagsgegenständen arbeitet. Jeder weiß, wie schwer es ist, einen Koffer zu tragen oder einen PKW zu schieben. Entsprechend fasziniert ist er, wenn vor seinen Augen jemand einen LKW durch die Gegend zieht. "Ein großer Teil des Erfolgs unserer Sportart besteht darin, dass sich die Leute vorstellen können, was wir da leisten", sagt Ollesch.

Skepsis gibt es trotzdem. Aber der kann abgeholfen werden. "Es gibt immer wieder Leute, die uns nicht glauben, dass unsere Kugeln zum Beispiel über 100 Kilo wiegen. Die dürfen dann gerne selbst versuchen, sie anzuheben. Es gibt in jedem Dorf einen Stärksten, der dann ran muss. Und wenn der es nicht schafft, dann haben wir schon gewonnen", sagt Ollesch und lacht. Wie gesagt, er lacht oft und gerne.

VIDEO: Eine Trainingssession mit Heinz Ollesch und Martin Wildauer

Trauma beim Ziehen eines Flugzeugs

Wahrscheinlich einer der Gründe, warum er häufig Gast in TV-Shows ist. Sei es als Kommentator von Strongman-Wettkämpfen auf Eurosport, bei "Galileo" oder irgendwelchen Rekord-Shows. Der Bayer ist immer dabei.

Ein Trauma gibt es da aber, über das er heute zwar lacht, das ihn damals aber schwer mitgenommen hat. 2007 wollte er in einer RTL-Show live ein Passagierflugzeug ziehen. Eigentlich kein Problem für die Lok mit dem freundlichen Gesicht. In den Proben ging auch alles reibungslos. Wog ja schließlich nur lächerliche 40 Tonnen, das Ding. Doch am Abend ging gar nichts, der Vogel bewegte sich keinen Millimeter.

Erst im Nachhinein kam heraus, dass sich eine Bremse nicht gelöst hatte und so das Unterfangen für Ollesch aussichtslos wurde. "Da siehst du danach ziemlich blöd aus. Das war sicher meine größte Enttäuschung."

Strongman-Leistungen sind unerreichbar

Sagt es und macht sich wieder zurück an die Trainingsarbeit. Steinheben, 225 Kilogramm, ein Meter Höhe - kein Problem. Wildauer stößt nebenan eine Kurzhantel - so nennt er das rund einen halben Meter lange und 85 Kilogramm schwere Ungetüm - mit einer Hand in die Höhe.

Ich habe beides versucht und bin kläglich gescheitert. Die Leistungen eines Strongman sind eben doch unerreichbar. Das lernt man, wenn man Heinz Ollesch besucht.

Der 18-Uhr-Zug aus München fährt vorbei. Zeit zu gehen.

Lust bekommen? Hier gibt es die Termine für die kommenden Shows und Wettkämpfe