"Leg' den verdammten Schläger nie wieder weg!"

Von Interview: Jan-Hendrik Böhmer
Beim "Air Gait" springt Gary Gait hinter dem Tor ab und platziert den Ball noch aus der Luft im Netz
© syracuse university

Gary Gait gilt als bester Lacrosse-Spieler aller Zeiten. Als Spieler und Trainer gewann er fast alle Titel, die man im Lacrosse gewinnen kann, wurde in die Hall of Fame gewählt - und hat mit dem "Air Gait" einen eigenen Spielzug geprägt. Mit 43 spielt er abwechselnd in den beiden größten Lacrosse-Ligen der USA und trainiert das Damen-Team der Syracuse University. Bei SPOX spricht er über seine drei Jobs, die Zukunft des Sports und darüber, wie man zu einem der besten Lacrosse-Spieler der Welt wird.

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SPOX: Für jemanden, der noch nie ein Spiel gesehen hat: was ist Lacrosse?

Gary Gait: Für mich ist es eine Kombination aus drei Sportarten. Die Angriffs- und Verteidigungs-Taktiken ähneln denen beim Basketball, der Körperkontakt und die harten Hits sieht man sonst beim Football oder Eishockey - und die Spieler positionieren sich wie beim Fußball. Klingt kompliziert, das Prinzip ist aber ganz einfach: Du musst Tore schießen und im Gegenzug verhindern, dass der Gegner trifft.

SPOX: Und wann haben Sie damit angefangen?

Gait: Oh, das ist schon eine ganze Weile her. Damals war ich vier - und habe zusammen mit meinem Bruder meine Eltern ganz schön auf Trab gehalten. So sehr, dass sie verzweifelt nach etwas gesucht haben, bei dem wir uns so richtig austoben konnten. Wir landeten beim Canadian Box Lacrosse. Freunde hatten ihnen dazu geraten. Und hier stehe ich nun...

SPOX: Mit Sicherheit ein langer Weg...

Gait: Ein langer und harter Weg. Denn das, was man vor allem tun muss, ist hart arbeiten. Du musst sportlich sein, klar. Aber dann musst du extrem trainieren. Schnapp dir den Schläger und donner' den Ball gegen die Wand - oder überrede deine Freunde und besorge dir ein Tor. Was auch immer. Einzige Bedingung: Leg' diesen verdammten Schläger nie wieder weg! Behalte ihn Tag und Nacht in der Hand. Dann wirst du ein guter Spieler.

SPOX: Also ein Leben für Lacrosse. Doch was fasziniert Sie so an diesem Sport?

Gait: Die Einzigartigkeit. Als Kind habe ich unzählige Sportarten ausprobiert - doch keine hat mich so fasziniert. Alleine der Schläger. Mit dem kannst du so viel ausgleichen. Bist du etwa langsamer, kleiner oder schmächtiger als deine Gegner, dann trainiere das Schläger-Handling. Mit überragenden Stick-Skills kannst du es in jedes Team schaffen.

SPOX: So wie Sie. Mittlerweile gelten Sie als bester Spieler aller Zeiten. Doch gibt es in der neuen Generation jemanden, der Ihnen den Titel streitig machen könnte?

Gait: Schwer zu sagen. Im Moment gibt es viele gute Spieler im Field- und Box-Lacrosse. Zuletzt war vermutlich John Grant Jr. der Beste, aber der erholt sich gerade von einer Knie-OP. Also wartet jeder darauf, dass der nächste Superstar das Spielfeld betritt. Auch ich. Who's next? Ganz ehrlich: ich weiß es nicht. Aber wir werden es früh genug herausfinden.

SPOX: Sie vermutlich sogar aus erster Hand. 2009 wagten Sie ein Comeback. Warum?

Gait: Ganz einfach: Ich habe den Sport vermisst, das Spielen vermisst. Es war ja nett, Trainer zu sein. Aber ich bin wie alle anderen Sportler, die nicht aufhören können. Es macht zu viel Spaß. Ich liebe die Herausforderung, mich körperlich zu messen, da rauszugehen und meinem Team die Möglichkeit zu geben, zu gewinnen. Das macht mir einfach zu viel Spaß.

SPOX: Zusätzlich trainieren Sie eines der besten College-Teams der USA.

Gait: Warum auch nicht? Schließlich liebe ich das Spiel! Es ist seit so langer Zeit ein Teil meines Lebens und hat mir so viel gegeben, dass ich jetzt etwas zurückgeben möchte. Ich genieße es, über Taktik nachzudenken und mit anderen Lacrosse-Verrückten ein Team aufzubauen, das früher oder später die Meisterschaft gewinnen kann.

SPOX: Was macht Ihnen aktuell mehr Spaß: spielen oder coachen?

Gait: Ich liebe beides - und will auch beides weiter tun. Als Spieler kommt es auf mich an, wie ich das Team mit meinem Können voranbringe. Es fordert mich körperlich. Auf der anderen Seite ist es ein großartiges Gefühl, als Trainer ein Team zu formen und meine Ziele zu erreichen. Leider werde ich meine Spieler-Karriere vor meiner Trainer-Karriere beenden müssen.

SPOX: Noch ist es aber nicht soweit. Sie spielen für zwei Teams, sind Trainer und verdienen - wie alle Lacrosse-Spieler - dennoch nicht sonderlich viel. Viele Ihrer Kollegen müssen sogar zusätzlich Büro-Jobs nachgehen, um über die Runden zu kommen. Kurz: Stress.

Gait: (lacht) Ja, man muss den Sport schon sehr lieben. Aber viele Kollegen sagen, dass sie sogar komplett ohne Gehalt spielen würden. Nur des Sportes wegen. Das kann ich gut verstehen. Denn wenn man eine Sache so liebt, dann ist es auch egal, wenn man dabei keine Millionen verdient. Und der Stress? Viel um die Ohren zu haben, ist eine gute Sache. Ich mag es, unterwegs zu sein. Es hält mich fit - und hoffentlich jung.

SPOX: Ist die mangelnde finanzielle Sicherheit der Spieler nicht ein Problem für die Liga? Eventuell stehen gute Sportler vor der Entscheidung: Lacrosse oder gut bezahlter Job?

Gait: Es stimmt zwar, dass aktuell nur wenige vom Lacrosse leben können. Dennoch ist das nicht unbedingt ein Nachteil für die Liga. Wir wollen, dass sich der Sport entwickelt. Dass er wächst. Und das lieber langsam und konstant als mit übertriebenen Verträgen, die eine Liga irgendwann in den Ruin treiben. Aktuell kommen die meisten jungen Spieler ja direkt vom College - und überleben auch ohne große Gehälter. Und die, die den Sport wirklich voranbringen, können früher oder später auch davon leben.

SPOX: Noch ist Lacrosse trotz seiner langen Geschichte nicht so populär wie etwa Football, Baseball oder Basketball. Die beiden US-Profi-Ligen Major League Lacrosse (MLL) und National Lacrosse League (NLL) gibt es erst seit 1999 bzw. 1986.

Gait: Ja, und ich weiß nicht, ob Lacrosse jemals so bekannt werden wird. Aber ich hoffe, dass unser Sport die nächste große Sache wird. Das ist das Ziel jedes Lacrosse-Spielers. Wir wissen, dass wir die großen US-Sportarten nicht einfach überholen können. Aber wir versuchen, das nächste große Ding dahinter zu sein. Langsam aufzuholen.

SPOX: Und wo sehen Sie den Sport in zehn Jahren?

Gait: In zehn Jahren wird der Sport kontinuierlich gewachsen sein. Ich glaube nicht, dass wir dann bereits auf der nächsten Stufe stehen und mit den großen Konkurrenten mithalten können, aber wir werden deutlich näher dran sein. Es kommt Großes auf uns zu.

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