"Die Welt ist mein Lieblingsgolfplatz"

Von Florian Regelmann
SPOX-Redakteur Florian Regelmann beim Crossgolfen durch den Münchener Olympiapark
© spox

Es ist wieder Themenwochen-Zeit! Nachdem sich bisher immer alles um König Fußball drehte, kommt diesmal die große, bunte Welt des Sports zu ihrem Recht. SPOX hat sich außergewöhnlichen Sportarten angenommen, die nicht so im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Und weil Probieren ja bekanntlich über Studieren geht, haben die Redakteure auch gleich Selbstversuche unternommen. Im zweiten Teil der Themenwoche "SPOX in action" berichtet Florian Regelmann von seinen Erfahrungen als Crossgolfer. Im Münchener Olympiapark ging die Post ab!

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Ich, SPOX-Redakteur Florian Regelmann , ziele genau auf den Jogger. In etwa 150 Metern Entfernung beugt sich ein älterer Mann in einer viel zu kurzen, roten Sport-Hose nach vorne und atmet tief durch. Ihn will ich treffen. Ich mache einen Probeschwung, dann noch einen zweiten. "Come on, Tiger, jetzt nicht blamieren", geht mir noch durch den Kopf, dann hole ich aus und schlage zu.

Der Ball fliegt. Genau auf den Jogger zu - und kommt 30 Meter vor ihm auf dem Rasen auf. Er schaut in meine Richtung und sein Gesichtsausdruck würde darauf schließen lassen, dass er gerade einen Alien gesichtet hat. Hat er irgendwie auch. Ich bin an diesem Tag ein Alien. Ich spiele Crossgolf.

Die Natural Born Golfers als Gründerväter

1992 wurde diese Art des Golfspiels, die mittlerweile sogar Eingang in den Duden gefunden hat, von zwei Filmausstattern aus Hamburg erfunden. Mehr zufällig finden sie in der Requisite einen Golfschläger und beginnen aus Langeweile damit, die Bälle durch den Hotelflur zu schlagen. Eine Platzreife für den Flur haben sie selbstredend nicht, aber das ist ihnen egal.

Sie wollen nur Spaß und gründen die Natural Born Golfers. Ihr Logo: Ein mit Golfschlägern gekreuzter Totenkopf. Ihre Philosophie: Rock 'n' Hole. Die konservative und elitäre Golf-Welt ist zunächst geschockt, ob des "illegalen Untergrundsports", der da betrieben wird, aber knapp 20 Jahre später hat sich Crossgolf in Deutschland etabliert.

"Ich würde sagen, dass es in Deutschland etwa 10.000 Crossgolfer gibt im Moment. Wir sind deutschlandweit vernetzt und gerade dabei, Pläne zu schmieden, um 2011 einen offiziellen Crossgolf-Verband zu gründen", sagt Klaus Simianer. Der 30-jährige Justizvollzugsbeamte ist Geschäftsführer des Crossgolf-Portals und damit so was wie der designierte Verbandspräsident. Dass er nebenbei John Daly-Fan ist, passt gut ins Bild.

VIDEO: Durch das offene Fenster

"Keine Angst, es sind nur Plastikbälle"

Der Jogger hat sich inzwischen verflüchtigt, da tritt im Münchener Olympiapark der nächste natürliche Feind des Crossgolfers auf den Plan: ein Hund. Ein Berner Sennenhund hat meinen Ball entdeckt und ihn zu seinem Spielzeug gemacht. Es folgt eine Diskussion mit seinem Herrchen, dann kann es weitergehen.

Bis zum Ziel, einer unscheinbaren Laterne, sind es keine 50 Meter mehr. Den Ball 47 Meter im Flug auf dem Weg aufkommen und gegen die Laterne prallen lassen. So lautet der Plan. Leider kommt es anders. Kaum scheint die Luft rein, spaziert ein junges Liebespärchen den Weg entlang und erlebt hautnah mit, wie mein Ball nicht gegen die Laterne springt, sondern links in einen fiesen Busch.

"Keine Angst, es sind nur Plastikbälle", schreie ich noch, aber ich weiß: das sind die nächsten beiden im Klub derer, die mich für bekloppt halten.

Nur eine Regel: Safety first

Dabei ist Crossgolf keine Gefahr für die Umgebung. Es gibt zwar nur eine Regel, aber diese ist dafür allumfassend: Safety first. Sicherheit geht vor. Die Schläger sind die gleichen, die man auch für eine Runde in Augusta nehmen würde, aber die Bälle sind speziell fürs Crossgolfen gemacht.

"Almost-Golfbälle" heißen die nur 13 Gramm schweren Kugeln und werden ihrem Namen vollauf gerecht. Sie sind eben nur "fast" richtige Golfbälle.

VIDEO: Vom 10-Meter-Turm

Während man auf den Profitouren schon gesehen hat, wie Tiger Woods und Co. Fans mit ihren Schlägen am Kopf getroffen und damit ins Krankenhaus befördert haben, würde ein Abschuss mit einem "Fast-Golfball" allenfalls ein Kopfschütteln hervorrufen.

Über Umwege zur Notrufsäule

Nachdem der Ball irgendwann endlich an der Laterne gelandet ist, es war wohl ein Triple-Bogey im übertragenen Sinn, ist das nächste Ziel schon gefunden: eine Notrufsäule. Wieder geht es quer durch den Park. Kurz noch abgewartet, bis ein paar Halbstarke auf Bikes den Hang herunter gedonnert kommen, dann wird zum ersten Mal der Driver ausgepackt.

Mal schauen, wie weit man ein Plastikbällchen so schlagen kann. Nun ja, wenn man den Ball nicht sauber trifft, ist es egal, aus welchem Material die Kugel ist. Der Ball hoppelt flach über das Gelände und verschwindet im Gestrüpp in der Nähe der Notrufsäule. Schlimmer noch: Der Ball bleibt mitten im Gestrüpp stecken.

Von wegen Strafschlag und droppen, der Ball muss genau so gespielt werden. Tue ich auch und ernte für mein zärtliches Streifen des Balls ein "du Pussy, hau halt drauf" von meinem Mitspieler, Werbefirma-Azubi Andi. Einige Minuten später ist das Kapitel Notrufsäule nach einem unwürdigen Hin-und-Her-Gespiele endlich abgeschlossen. Der Frust ist der gleiche wie auf dem normalen Golfplatz.

Steinbrüche, Hochhäuser, Parkdecks

Eine Notrufsäule ist ungefähr eines von drei Milliarden möglichen Zielen, die ein Crossgolfer sich aussuchen kann. "The world is my favourite golf course", lautet das Motto der Szene. Und das Motto ist Programm. Vergessen Sie akkurat gemähte Grüns, beim Crossgolf wird auch mal auf dem Asphalt abgeschlagen.

Steinbrüche, Hochhäuser, Parkdecks, Fabrikhallen, Schiffe, Schwimmbäder - je ungewöhnlicher der Ort, desto reizvoller die Aufgabe. "Besonders toll ist es immer, aus einem Gebäude durchs offene Fenster zu spielen. Oder von einem Autodach abzuschlagen, auch das ist faszinierend. Einmal haben wir ein Turnier in einem Freibad ausgerichtet und vom 10-Meter-Turm auf ein schwimmendes Ziel geschossen. Oder ein anderes Mal vom obersten Parkhaus-Deck auf einen Computer-Monitor. Es gibt so viele Möglichkeiten", berichtet Simianer.

VIDEO: In einem verschneiten Steinbruch

Eine dieser vielen Möglichkeiten hat Marco, Sendetechniker beim Fernsehen, heute gleich mitgebracht. Die Blicke sind skeptisch, als er versucht, eine mitgebrachte Fahne in den Rasen reinzurammen.

Ein Mülleimer sorgt für Glücksgefühle

"Ein kleiner Schritt für den Crossgolfer, ein großer Schritt für die Menschheit", sagt er mit Stolz. Wir spielen weiter und schlagen vom Berg runter ins Tal. Ich mache einen kurzen Abstecher in einen Ameisenhaufen, haue meinen Ball dann für meinen Geschmack etwas zu nahe an einen schlafenden Landstreicher heran, aber das Ziel kommt näher.

"Jetzt, schnell", brüllt Andi - wir haben ihn als Aufpasser vorgeschickt, er gibt im Stile eines Skisprung-Trainers Zeichen, wenn die Straße frei ist und wir schlagen können.

"Bang", der Ball klatscht mit einem satten Sound gegen das Zielobjekt der Begierde: einen Mülleimer. Wer hätte gedacht, dass es solche Glücksgefühle geben kann, wenn man einen Plastikball gegen einen Mülleimer drischt. Die türkische Familie, die ein paar Meter weiter Picknick macht, weiß ja gar nicht, was ihr entgeht.

Eine echte Alternative zum Club-Golf

Da eine Mitgliedschaft in einem ordentlichen Golf-Club nicht unter 1000 Euro zu haben ist, hat sich Crossgolf für die jüngere Generation zu einer ernsthaften Alternative entwickelt.

"In einem normalen Club könnte ich nie spielen, weil es einfach zu teuer ist", sagt Azubi Andi offen. Öffentliche Golfplätze sind in Deutschland immer noch Mangelware, sodass es kein Wunder ist, dass Crossgolf leicht zu boomen beginnt und in Bälde eine Turnierserie entstehen soll.

VIDEO: Vom Dach an den Computer-Monitor

Es ist schwer vorstellbar, dass es irgendwelche Nachwuchsgolfer gibt, denen diese Art des Golfzockens keinen Spaß macht. Die Golfclubs sind gut beraten, Partnerschaften mit der Crossgolf-Community einzugehen, um mögliche Talente nicht früh zu verlieren.

John Daly als neuer Crossgolf-Präsident...

"Auf geht's, wir spielen noch über die Hauptstraße. Wenn die Ampel auf rot schaltet, geht das wunderbar", will uns Azubi Andi das nächste Loch schmackhaft machen. "Wie oft genau warst du eigentlich schon im Knast?", entgegne ich im Scherz. Es ist dunkel geworden und Zeit, nach Hause zu gehen.

Beim Weg durch den Park merke ich, dass wenige Stunden ausgereicht haben, um mich mit dem Crossgolf-Virus zu infizieren. Ich merke aber auch, dass mir die gewohnte Umgebung eines gepflegten Golfplatzes fehlt, Spielbahnen mit schönen Fairways, fein getrimmten Grüns und richtigen Löchern.

Crossgolf kann Golf nicht ersetzen, aber es macht zur Abwechslung höllisch viel Spaß, mal ein Alien zu sein. Jetzt müsste eigentlich nur noch John Daly vorbeikommen. Dieser wäre doch der perfekte Präsident der PCGA - der Professional Cross Golfers Association.

Interview mit Crossgolf-Portal-Chef Klaus Simianer: "Wir sind keine Golf-Rowdys"

 

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