"Federer ist wie ein Lotto-Gewinn"

Von Interview: Florian Goosmann
Heinz Günthardt war früher der Trainer von Steffi Graf
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Frage: Kann Roger Federer ihn über drei Gewinnsätze noch mal besiegen?

Günthardt: Das ist nicht auszuschließen. Bei den US Open im vergangenen Jahr war Roger über die ersten drei Sätze besser. Aber irgendwie... Man braucht manchmal auch etwas Glück. Bei 23 Breakbällen kann ich auch mal einen Netzroller haben. Oder der Gegner hilft einem mal, was eben nicht der Fall war. Er war extrem nah dran und ich fand, er hätte ihn eigentlich packen müssen. Er kann es schaffen. Fit genug dafür ist er, überhaupt keine Frage.

Frage: Kann es sein, dass die Grand-Slam-Spiele gegen Djokovic auch zur Kopfsache für Federer werden? Er hat die letzten vier allesamt verloren, während er auf zwei Gewinnsätze oft gewinnt.

Günthardt: Einfach ist das sicher nicht wegzustecken. Es ist die Frage, wie sich das entwickelt. Das Problem bei den Australian Open war, dass Novak in den ersten zwei Sätzen unglaublich stark gespielt hat. Da war die Luft schnell raus. Normalerweise ist er im Vergleich zu Roger kein Schnellstarter. Roger wird Novak wahrscheinlich nicht schlagen, wenn er mit 0:2-Sätzen zurückliegt. Er braucht einen der ersten beiden Sätze. Bei den US Open hätte er eigentlich mit 2:1 nach Sätzen führen müssen. Und dann ist es keine Frage, ob er das gewinnen kann.

Frage: Dennoch hat man das Gefühl, dass Federer von Anfang an anders gegen Djokovic spielt. Das erste Aufschlagspiel ist oft eng, erste Aufschläge kommen nicht, er hat mehr Rahmentreffer... Gegen andere ist das alles nicht der Fall.

Günthardt: Beim Aufschlag ist das völlig klar. Wenn man eine Marge von 20 Zentimetern hat, ist es wesentlich einfacher aufzuschlagen, als wenn es nur 10 Zentimeter sind. Wenn er gegen andere mit 20 Zentimeter Marge aufschlägt, ist die Prozentzahl der ersten Aufschläge höher. Und es gibt einem ein gutes Gefühl zu wissen: Im Notfall greife ich zum ersten Aufschlag. Wenn Roger gegen Novak denselben Aufschlag serviert, kommt der Return eben nicht nur zurück, sondern mit guter Länge. Und das hinterlässt Eindruck. Da versucht man, mehr Druck zu machen, präziser zu spielen. Dann geht die Prozentzahl der ersten Aufschläge runter. Wie das alte Zitat lautet: Man schlägt so gut auf, wie es der Returnspieler zulässt Und Novak returniert einfach unglaublich gut.

Frage: Sie sind neben Ihren Tätigkeiten als Fed-Cup-Chef, Trainer und Berater auch in anderen Funkionen aktiv, haben zuletzt beim Porsche Tennis Grand Prix auch die Spielerinnen präsentiert und die On-Court-Interviews geführt. Wie spontan muss man hierbei sein - und kommt es auch mal zu Überraschungen?

Günthardt: Ich versuche grundsätzlich, spontan zu sein und die Spielerinnen dort abzuholen, wo sie sind. Ich habe keinen Fragenkatalog, den ich abarbeite. Die Idee ist, dass man zunächst etwas allgemeiner fragt. Dann merkt man, wo das Gespräch hinführt. Da ich schon geschätzt fünftausend Interviews hinter mir habe, sind die Überraschungen meist nicht zu groß.

Frage: Im Schweizer Fernsehen sind Sie zudem seit Jahren als Kommentator aktiv. Wie gehen Sie an ein Match heran?

Günthardt: Bei uns ist es so, dass wir sehr viele Spiele der Schweizer übertragen. Da ich das seit 1988 mache, habe ich statistisch auch die meisten Partien kommentiert. Da kann ich aus dem Fundus schöpfen. Ich weiß gar nicht, wie viele Matches zwischen Rafael Nadal und Roger Federer ich kommentiert habe - aber vermutlich fast alle.

Frage: Glauben Sie, dass Sie mehr sehen als andere, weil Sie selbst Profi waren und auch als Coach aktiv sind?

Günthardt: Das ist schwierig zu sagen. Es ist bestimmt ein gewisses Talent nötig. Manche können vielleicht besser antizipieren als andere. Ob das jetzt hauptsächlich damit zusammenhängt, dass man das selbst gemacht hat... Ich glaube, es ist einfacher. Nicht wegen der großen Analysen. Eher, wenn es darum geht, ob einer am richtigen Ort stand, um das Netz abzudecken. Die Winkel hat man eher intus, wenn man das selbst schon tausende Stunden gemacht hat, als jemand, der noch nie da vorne stand und abschätzen muss, ob jemand um 20 Zentimeter falsch stand. Wenn man selbst gespielt hat, muss man sich nichts überlegen, da sieht man das automatisch. Das ist ganz sicher ein Vorteil.

Frage: Wie schnell erkennen Sie, welche Taktik eine Spielerin oder ein Spieler geplant hat und wohin das Spiel läuft?

Günthardt: Im Tennis ist es so, dass beide Spieler etwas planen. Es kommt selten vor, dass man eine Taktik in Reinkultur sieht, weil alles auch eine Reaktion auf den Gegner ist. Es ist ein Gemisch. Meist kennt man die Spieler so gut, dass man weiß, wo die Schwächen und Stärken liegen. Es geht immer darum, möglichst oft die Stärken ausspielen zu können und selten die Schwächen. Erst wenn das nicht funktioniert, kommt der Plan B.

Frage: In Deutschland sind Sie vor allem als Trainer von Steffi Graf berühmt, die Sie von 1992 bis 1999 betreuten. Glaubt man Andre Agassi, sind Sie auch verantwortlich dafür, dass er Steffi Graf rumgekriegt hat. Sie haben zusammen mit Brad Gilbert zumindest das erste Date der beiden auf dem Platz eingefädelt. Haben Sie die Szene noch vor Augen?

Günthardt: Das war nicht allzu kompliziert damals. Brad fragte mich, ob es möglich sei, das Training so anzusetzen, dass sie gleich die Stunde danach haben. Das war sehr einfach zu lösen.

Frage: War Ihnen der Hintergedanke klar?

Günthardt: (überlegt kurz) Man versteht schon ungefähr, worum es dann geht. Man trifft sich zwar auch auf Turnieren, aber so war es einfacher. Das waren dennoch ein paar Monate, bevor die beiden miteinander ausgegangen sind.

Frage: Hätten Sie zu dieser Zeit gedacht, dass die beiden zusammenkommen, zwei Kinder kriegen und glücklich in Las Vegas leben werden?

Günthardt:(lacht) Also ganz ehrlich: Darüber habe ich mir damals keine zu großen Gedanken gemacht.

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