Karriereende? Petko am Boden

SID
Andrea Petkovic hat eine schwere Saison hinter sich
© getty

Andrea Petkovic hat nach ihrem Saisonende in China depressive Verstimmungen eingestanden und die Fortsetzung ihrer Karriere in Frage gestellt. "Ich muss wirklich herausfinden, ob ich weiter spielen will. Ich hasse derzeit mehr Teile meines Jobs, als ich andere mag. In den letzten zwei, drei Monaten habe ich die Leidenschaft für den Tennissport verloren", sagte die Weltranglisten-24.

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Petkovic hatte gegen Carla Suarez Navarro mit 0:6, 0:6 beim WTA-Turnier in Zhuhai/China den Kürzeren gezogen.

Bei einem Interview nach dem Match war Petkovic in Tränen ausgebrochen. Zwar vermied Sie jeden Augenkontakt mit dem Fragesteller, sprach aber erstaunlich offen über ihre schwierige Gefühlslage der vergangenen Wochen.

"Als ich Zuhause war, habe ich mich wirklich glücklich gefühlt. Aber ab jener Minute, als ich wieder auf die Tour zurückgekehrt bin, war ich irgendwie deprimiert. So deprimiert, dass ich eigentlich überhaupt nicht mehr aus dem Bett kommen wollte", sagte die 28-Jährige aus Darmstadt.

Petkovic im Exklusiv-Interview: "Ich weiß oft selbst nicht, wer ich bin"

"Wie Folter"

Petkovic macht keinen Hehl daraus, dass die Krankheit ihrer Mutter ihre Gefühlslage verschärft habe. "Es war ein schwieriges Jahr für meine Familie. Ich wollte einfach Zuhause sein. Aber weil ich Profi bin, weil ich Deutsche bin, habe ich einfach weitergemacht mit dem Training und all den Dingen, die zu tun waren", erzählte die French-Open-Halbfinalistin von 2014 und gestand mit zittriger Stimme: "Das hat sich angefühlt wie Folter. Jede Minute."

Trotz aller Zweifel habe sie weiterhin drei Stunden täglich trainiert, weiter ihre Fitnesseinheiten absolviert, täglich ihre Physio-Behandlungen durchgezogen. "Ich war weiterhin professionell, mit all dem in mir drin."

Bemerkenswert: Während die Pressekonferenzen nach den Matches Pflichttermine für die Spielerinnen sind, stellt die WTA ihnen frei, der Tour für die One-on-one-Interviews zur Verfügung zu stehen. Womöglich sah Petkovic darin aber die Möglichkeit, ihre Zweifel öffentlich zu machen und die Flut weiterer Anfragen nach der herben Klatsche einzudämmen.

Knieverletzung "nicht wichtig"

Bereits während der Partie gegen Suarez Navarro war augenscheinlich geworden, dass Petkovic mehr mit sich, ihren Emotionen und gegen die Tränen kämpfte, als mit der starken Gegnerin. "Ich führte diesen inneren Kampf. Es war so schwierig, weil ich nicht das Gefühl hatte, dass ich das Spiel respektiere, so schlecht wie ich gespielt habe." Aufgeben sei nicht in Frage gekommen, denn sie habe der "unglaublich gut spielenden Carla nichts wegnehmen" wollen.

Bei mehreren Seitenwechseln war Petkovic zudem vom Physio am schmerzenden Knie gehandelt worden. Während sie bei früheren Verletzungen Tränen der Wut und Enttäuschung vergossen hatte, murmelte sie diesmal wiederholt: "Ist doch nicht wichtig, spielt doch keine Rolle."

0:6, 0:6: Brille für Petkovic

Petkovic will Zukunft überdenken

Petkovic stellte klar, dass die Krankheit ihrer Mutter nicht der Auslöser ihrer Probleme sei. "Ich habe mich schon Ende 2014 unwohl gefühlt. Eigentlich ist es schon in Linz und Luxemburg losgegangen." Gute Ergebnisse hätten aber die Probleme überlagert.

Es war die erste Saison, so die Hessin, in der sie ihre Berufswahl angezweifelt habe. "Es war das erste Jahr, in dem ich das Gefühl hatte, vielleicht Zeit für andere Dinge verloren habe, weil ich Tennis spiele." Die Tenniswelt, die sich früher so überwältigend und aufregend angefühlt habe, sei klein geworden und monoton.

Petkovic, die nebenbei Philosophie und Literaturwissenschaften studiert, nennt Johann-Wolfgang von Goethe und David Foster Wallace ihre Lieblingsautoren. "Manchmal denke ich, dass da andere Talente in mir sind, in denen ich besser bin. Jeder sagt mir: 'Du bist dumm, du warst in den Top 10, bist immer noch eine der 30 besten Spielerinnen der Welt.'" Sie habe noch nicht mal etwas, worin sie "supergut" sei, weder Zeichnen noch Schreiben könne sie besonders gut, es sei "nur so ein Gefühl, mit dem Tennis Zeit verschwendet zu haben".

Karriereende scheint möglich

In den nächsten Wochen will Petkovic, einst die Nummer neun der Welt, abschalten und ihre Zukunft überdenken. "Ich werde erst einmal vier Tage schlafen, weil ich mich fühle, als hätte ich das zwei Monate nicht getan."

Danach will die Fed-Cup-Spielerin bei Reisen nach New York und Portland entspannen. "Ich muss wirklich herausfinden, ob ich noch weiter spielen will", schließt Petkovic ein Ende ihrer Tennis-Karriere nicht aus.

Bundestrainerin Barbara Rittner geht davon aus, dass sich Petkovic in ihrer angekündigten Auszeit wieder fangen wird. "Ihr eigentlicher Antrieb darf nicht ergebnisorientiert sein. Sie muss wieder den Spaß am Tennis finden und sich für 2016 neu aufstellen", sagte Rittner dem SID.

Ihren Fans machte Petkovic trotzdem Mut. "Sie sollen sich nicht so viele Sorgen machen. Ich werde nicht gehen und dann nie wieder zurückkommen. Aber ich werde mir ein bisschen Zeit nehmen."

Andrea Petkovic im Steckbrief

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