Ein Moment im Generationenwandel

Von Ole Frerks
Novak Djokovic (l.) steht erstmals seit September 2013 wieder auf Platz eins der Weltrangliste
© getty

Novak Djokovic und Roger Federer lieferten sich in Wimbledon ein Finale für die Ewigkeit. Während Nole auch mit Hilfe von Trainer Boris Becker wieder zur Nummer eins der Welt wurde und eine lange Dürreperiode beenden konnte, geht Federers Suche nach dem perfekten Abschluss weiter. Die Zeit wird jedoch langsam knapp.

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Kein Tanz. Kein Gebrüll. Keine übertriebenen Gesten. Nur Frieden. Ein mildes Lächeln, Handshakes, ein paar nette Worte zum Gegner.

Novak Djokovic beendete seine 18-monatige Durststrecke bei Grand Slams nicht so, wie man es von ihm erwartet hätte. Er, der vielleicht extrovertierteste Typ auf der Tour, der von Herzen gerne andere parodiert, singt oder sich auch mal wie ein Clown aufführt, wirkte reserviert.

Vielleicht brauchte er selbst einen Moment, um diesen Triumph einzuordnen. Vielleicht ist er erwachsener geworden. Vielleicht war der Respekt für seinen Kontrahenten zu groß, um sich "lauter" zu freuen. Vielleicht war er nach der fast vierstündigen Achterbahnfahrt zuvor auch einfach körperlich und emotional platt.

Vermutlich spielten all diese Faktoren eine Rolle. In jedem Fall verdeutlichte diese reife, zurückhaltende Freude, wie sich der Serbe in diesen 18 Monaten ohne Titel verändert hat.

Die letzte Problemzone

Die Niederlagen hatten an ihm genagt. Ob Rafael Nadal, Andy Murray oder ein anderer - irgendjemand schien ihm auf dem Weg zum Erfolg immer im Weg zu stehen, obwohl er doch der rundum kompletteste Tennisspieler der Welt war. Seine Finalbilanz bei Grand Slams von 7:7 sagt viel über die Stärke der Konkurrenz aus, ist aber dennoch verblüffend mittelmäßig.

Es entwickelte sich Frustration, die Ende 2013 unter anderem zu der sensationellen Verpflichtung von Boris Becker als Coach führte. Der sollte ihm dabei helfen, noch mehr zum Killer zu werden. Die mentale Stärke wurde als Noles letzte Problemzone ausgemacht.

Am Sonntag schien sich diese Verpflichtung zum ersten Mal wirklich auszuzahlen. Es gab etliche Momente, die den Djoker früher vermutlich zur Verzweiflung gebracht hätten. "Nachdem ich den vierten Satz verloren hatte, war es nicht einfach, mich wieder zu fangen. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe", musste er selbst zugeben.

Becker: "Wir sind am Ziel"

Auch im fünften Satz gab es Anlass genug zu verzagen: Mehrfach verpasste er bei Breakchancen die Möglichkeit, den Sack zuzumachen. Den einen oder anderen resignierten Blick konnte er sich dabei auch nicht verkneifen, im Gegensatz zu früheren Auftritten blieb es aber bei diesen Blicken.

Sekundenbruchteile später besann er sich wieder auf sein Spiel, darauf, dass er - was im letzten Durchgang mehr als deutlich wurde - den längeren Atem hatte. Selbst Federer musste gestehen, er wisse nicht mal, wie er "es überhaupt in den fünften Satz geschafft" habe. Irgendwann konnte auch der bombastische erste Aufschlag den Schweizer nicht mehr vor dem unglaublich stabil spielenden Djoker retten.

Wieviel Anteil der Trainer tatsächlich daran hatte, ist natürlich diskutabel. Dass Djokovic Becker aber als einen der ersten überhaupt umarmte, sprach für sich. "Wir sind am Ziel", sprach der das Fazit des Tages. Das Ziel, das bedeutet für Djokovic neben seinem siebten Grand Slam auch die erstmalige Rückkehr auf Platz eins der Weltrangliste seit September 2013.

FedEx' letztes großes Hurra?

Diese Position wird Roger Federer in seiner Karriere wiederum wohl nicht mehr erreichen. Der 18. Grand-Slam-Titel schien bei Wimbledon 2014 aber durchaus in Reichweite. Eigentlich hatte das Turnier alles, um zur perfekten Bühne für ein letztes großes Hurra des erfolgreichsten Tennisspielers aller Zeiten zu werden.

Seit seinem Wimbledon-Sieg 2012 hat Federer kein dermaßen starkes Grand Slam gespielt, über die gesamten zwei Wochen war er vermutlich sogar der beste Spieler im All England Club. Abgesehen vom Finale war er kaum mal in Bedrängnis, auch Milos Raonic und Stan Wawrinka konnten FedEx nicht ernsthaft gefährden.

Dass ihm die gesamte Tenniswelt diesen Titel gegönnt hätte, daran gab es keinen Zweifel. Nicht beim Finale, als die Stimmung ganz klar pro Federer war, und auch sonst nicht.

Das liegt nicht nur daran, dass der immens populäre Schweizer "der meistrespektierte Athlet überhaupt, egal in welcher Sportart" ist, wie Mardy Fish am Sonntag über ihn sagte. Es liegt vor allem auch daran, dass niemand weiß, ob er so eine Chance wie gestern überhaupt noch einmal bekommen wird.

"Wir sehen uns im nächsten Jahr"

Bis zu den letzten beiden Spielen im fünften Satz zeigte sich Federer auf einem Level, das man von ihm früher gewohnt war, das jedoch mittlerweile rar geworden ist. Er schwebte nahezu über den Court, schlug grandios auf und konnte immer wieder mit dem Serve-and-Volley auftrumpfen.

Dass er noch immer die Mentalität eines Champions besitzt, zeigte sich besonders beim Service unter Druck: Ob im Tiebreak oder gegen Breakchancen, irgendwie konnte er seinen Kopf immer wieder aus der Schlinge ziehen. Und trotzdem reichte es nicht. Es dauerte sehr lange, aber am Ende sah man ziemlich deutlich, dass Federer eben doch kurz vor seinem 33. Geburtstag steht und nicht mehr die physischen Voraussetzungen hat wie der fünf Jahre jüngere Djokovic.

"Wir sehen uns im nächsten Jahr", kündigte Federer an, nachdem er seinem Gegner gratuliert hatte. Er will es immer noch wissen. "Ich war sehr froh zu sehen, dass ich, wenn ich mich normal fühle, noch so spielen kann wie in den letzten beiden Wochen. Das lässt mich glauben, dass in Zukunft noch viele großartige Dinge passieren werden."

Finale für die Ewigkeit

Vielleicht wird das so sein. An das Wimbledon-Finale 2014 wird man sich ohnehin noch lange erinnern - schließlich beschrieb Djokovic selbst es als das hochklassigste Finale, an dem er jemals teilgenommen hat.

Die Kommentatoren bei der BBC lachten nicht zu Unrecht nach einigen Ballwechseln, weil ihnen keine Worte mehr einfielen, mit denen man die Dramatik, die Energie und die pure Brillianz dieser Partie hätte beschreiben können.

Wie genau man sich an dieses Finale erinnern wird, werden aber erst die nächsten Jahre zeigen. Vielleicht wird es ja wirklich der Start für einen erneuten Aufstieg Federers. Vielleicht wird es auch in Erinnerung bleiben als die letzte große Chance, die Federer auf Titel Nummer 18 hatte.

Die nächste Generation wartet

Für den Moment spielt das aber eigentlich keine Rolle. Der Sport ist in guten Händen, das hat Wimbledon 2014 gezeigt. Mit der Generation um Nadal, Wawrinka, Murray und natürlich Djokovic, der in Kürze heiratet, erstmals Vater wird und nun in eine neue Phase seines Lebens eintritt.

Mit der nächsten Generation um Raonic, Kei Nishikori, Dominic Thiem und Grigor Dimitrov, der gerade das mit Abstand beste Grand Slam seiner jungen Karriere gespielt hat und dem Experten am ehesten zutrauen, irgendwann Noles Platz an der Spitze einzunehmen.

Und natürlich mit Federer, der auch mit fast 33 Jahren irgendwie noch über allem schwebt, die Rekordbücher noch ein wenig weiter füllt und noch immer eine Anziehungskraft hat wie kaum ein anderer Sportler. Das wird auch noch eine Weile so bleiben. Als Tennis-Fan kann man sich eigentlich nicht mehr wünschen.

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