"Wie ein kleiner Schuljunge"

Von Interview: Dirk Sing
Dieter Kindlmann (l.) ist seit 13 Monaten Hitting Partner von Maria Sharapova
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SPOX: Hat sich Ihr Tätigkeitsfeld im Team Sharapova im Laufe der Zeit verändert?

Kindlmann: Ich würde sagen, dass es sich durch den Trainerwechsel Thomas Högstedt/Sven Groeneveld (trainierte unter anderem Tommy Haas, Nicolas Kiefer und Michael Stich, Anm. d. Red.) sogar extrem verändert hat. Unter Högstedt war das alles relativ einfach gestrickt. Als Hitting Partner war ich der Trainingspartner von Maria und habe das gemacht, was Högstedt vorgegeben hat. Sprich: Ich spiele mit ihr, bringe sie als ehemaliger Herren-Profi von der Geschwindigkeit her auf ein möglichst hohes Level, habe aber letztlich null Verantwortung. Jetzt, unter Groeneveld, bin ich in alles involviert, werde stets nach meiner Meinung gefragt und kann damit auch selbst Impulse einbringen. Das macht mir riesigen Spaß, zumal ich von Sven auch sehr viel lernen kann. Neben der Gegner- und Spielanalyse trainiere ich natürlich auch weiterhin mit Maria auf dem Platz. Darüber hinaus bin ich nun auch noch für das gesamte Tennis-Equipment verantwortlich. Von dem her würde ich mich mittlerweile nicht "nur" als Hitting-Partner, sondern fast schon als Co-Trainer bezeichnen.

SPOX: Stichwort, Gegenseitiges Vertrauen: Wie lange hat es gedauert, bis diese letztlich entscheidende Grundlage für eine gute Zusammenarbeit zwischen Maria Sharapova und Ihnen vorhanden war?

Kindlmann: An einem bestimmten Datum lässt sich so etwas sicherlich nicht festmachen. Man kann sicherlich schon sagen, dass die ersten Monate unserer Zusammenarbeit noch von extrem wenig Vertrauen gekennzeichnet waren - wobei das allerdings in meinen Augen das Normalste der Welt ist. Gewachsen ist das Vertrauen dann ausgerechnet in einer Phase, in der es bei Maria sportlich nicht so gut lief. Als das frühe Wimbledon-Aus sowie der Trainerwechsel kamen, hat sie gemerkt, dass sie auf mich bauen kann. Das waren diesbezüglich sicher sehr wichtige Momente. Auch die Vorbereitungsphase von Oktober bis Januar, in der man quasi tagtäglich zusammen ist, war auf diesem Weg immens wichtig.

SPOX: Nachdem es in den vergangenen Wochen und Monaten bei Sharapova sportlich nicht wirklich nach Wunsch läuft: Wie sehr leiden Sie in dieser Phase mit Ihrem "Schützling"?

Kindlmann: Extrem. Viele können nicht nachvollziehen, wenn ich beispielsweise nach einer Niederlage völlig verschwitzt in mein Hotelzimmer komme und stundenlang mit niemandem sprechen möchte. Das hat sich aber eben auch in den vergangenen Monaten bei mir stark verändert. Anfangs habe ich mich sicher auch geärgert, wenn Maria mal ein Match verloren hat. Aber seit ich jetzt mehr Verantwortung im Team habe, fiebere und leide ich noch wesentlich intensiver mit ihr mit. Das lässt sich mit früher überhaupt nicht mehr vergleichen.

SPOX: Sie haben bereits angesprochen, dass man Herren- und Frauen-Tennis eigentlich nicht miteinander vergleichen kann. Worin liegen denn Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede?

Kindlmann: Das sind einfach zwei unterschiedliche Welten. Wenn man jetzt nur einmal die Kommunikation unter den Topstars hernimmt: Während die Herren untereinander völlig cool und entspannt miteinander umgehen und auch am Abend mal ein Bierchen zusammen trinken gehen, ist das bei den Frauen nahezu undenkbar. Da ist jede Spielerin einzig und allein auf sich fixiert. Man kann daher sicherlich auch ehrlich sagen, dass es einen Job wie den des Hitting Partners wohl nicht gäbe, wäre der Umgang der Frauen untereinander anders. Während die Herren während eines Turniers zumeist zusammen trainieren oder sich einen Platz teilen, sieht man das bei Frauen so gut wie überhaupt nicht. Diese für mich ganz neue Situation musste ich natürlich auch erst lernen. Es ist auch oftmals nicht gewollt, dass man beispielsweise Kontakt zu den Konkurrenzteams pflegt, wo man vielleicht die eine oder andere Person bereits kennt. Letztlich hat man ausschließlich für seine Spielerin da zu sein. Und das ist schon ein sehr großer Unterschied zu den Herren.

SPOX: Um beim Herren-Bereich zu bleiben - genauer gesagt bei dem des Deutschen Tennis-Bundes. Mit Tommy Haas (Nummer 13), Philipp Kohlschreiber (25), Florian Mayer (32), Tobias Kamke (92), Benjamin Becker (93) und Daniel Brands (95) hat man derzeit sechs Akteure unter den Top 100 der ATP-Weltrangliste, wobei die drei Erstgenannten bereits die 30 Jahre-Grenze überschritten haben. Muss man sich künftig Sorgen um das deutsche Herren-Tennis machen?

Kindlmann: Grundsätzlich schätze ich die augenblickliche Situation nicht so schlecht ein, wie sie oftmals dargestellt wird. Dass ein Tommy Haas mit seinen nunmehr 35 Jahren immer noch unter den Top 15 der Welt rangiert, ist eine unglaubliche Leistung, die man einfach honorieren muss. Aber auch vor Spielern wie Kohlschreiber oder Mayer, die seit etlichen Jahren permanent zu den besten 40 Profis der Welt zählen, habe ich größten Respekt. Was in Deutschland sicherlich fehlt, ist eine absolute Granate, die zu den Top Fünf zählt. Und da tut man meiner Meinung nach den bereits genannten Jungs immer etwas Unrecht, denn auch sie liefern konstant erstklassige Leistungen ab. Sollten ein Haas, Kohlschreiber oder Mayer mal nicht mehr für Deutschland im Davis-Cup spielen, dann bezweifle ich stark, ob man auch weiterhin in der Weltgruppe bleiben würde. In Deutschland ist man aufgrund der früheren Jahre mit einem Boris Becker, Michael Stich und einer Steffi Graf natürlich sehr verwöhnt. Doch die Zeiten haben sich geändert.

SPOX: Die große Frage ist aber sicherlich auch, was nach der Generation Haas, Kohlschreiber und Mayer in Deutschland folgen wird.

Kindlmann: Da gebe ich Ihnen absolut recht. Im Gegensatz zu den Frauen, wo die Topspielerinnen noch deutlich jünger sind und auch das eine oder andere Talent nachrückt, sieht es bei den Herren nicht wirklich sonderlich rosig aus. Zwei, die vielleicht den Sprung nach vorne schaffen könnten, sind der 23-jährige Jan-Lennard Struff (ATP-Weltranglisten-Rang 104, Anm. D. Red) sowie der erst 17-jährige Alexander Zverev, der in diesem Jahr die Australien Open bei den Junioren gewonnen hat. Aber gerade bei Zverev muss man abwarten, wie ihm letztlich der große Sprung in den Herren-Bereich gelingt. Wie es hinter ihm beziehungsweise in den jüngeren Jahrgangsstufen aussieht, kann ich nicht wirklich sagen, da mir der genauere Einblick fehlt. Aber klar, zufrieden kann man mit dieser Situation und Entwicklung definitiv nicht sein.

SPOX: Lassen Sie uns zum Abschluss noch über Ihre Heimat im Allgäu sprechen. Wie oft zieht es Sie nach wie vor zurück zu den Wurzeln nach Blaichach (bei Sonthofen)?

Kindlmann: Nachdem ich sehr heimatverbunden bin, versuche ich jede Gelegenheit wahrzunehmen - auch wenn es zumeist immer nur ein paar Tage sind. Mir ist es einfach enorm wichtig, sowohl mit meiner Familie als auch meinen Freunden Kontakt zu halten, mich mit ihnen zu treffen und eben auch gemeinsam Zeit zu verbringen. Wenn du das ganze Jahr über durch die Welt reist, lernst du deine Heimat noch mehr zu schätzen. Mein ganz großes Ziel war es ja einst, irgendwann ins Allgäu zurückzukehren und ein großes Tenniszentrum zu eröffnen. Aber davon habe ich mich mittlerweile schon wieder verabschiedet, da schlichtweg die Gegebenheiten nicht vorhanden sind. Da ich ja, wie bereits gesagt, meine berufliche Zukunft weiter im Tennis-Trainergeschäft sehe, wird meine Heimat zumindest mittlerfristig leider keine große Rolle spielen. Das ist auf der einen Seite natürlich sehr schade. Andererseits muss man in solchen Fällen eben genau abwägen. Und ich habe mich eben - zumindest zum jetzigen Zeitpunkt - für den Job entschieden.

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