Die Renaissance des Baby-Federers

Von Ole Frerks
Richard Gasquet steht zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder in einem Grand-Slam-Halbfinale
© getty

Mit Richard Gasquet und Stanislas Wawrinka mischen in New York gleich zwei Außenseiter das Konzert der Großen auf (ab 18 Uhr im LIVE-TICKER). Vor allem für das oft gescholtene Talent aus Frankreich bedeutet der Halbfinaleinzug späte Genugtuung. Nach turbulenten Jahren scheint der Franzose endlich sein wahres Potenzial ausschöpfen zu können.

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Richard Gasquet ist sichtlich gut gelaunt. Nach sechs Jahren steht der Franzose endlich wieder in einem Grand-Slam-Halbfinale. Soeben hat er David Ferrer in einem dramatischen Fünfsatzmatch niedergerungen und kann sich völlig entspannt den Fragen der Journalisten stellen. Es kommt, wie es kommen muss: die Frage nach seinem nächsten Gegner, Rafael Nadal.

"Du hast als Profi keine wirklich gute Bilanz gegen ihn...," führt einer der Pressevertreter an. Gasquet fängt an zu lachen, der Raum stimmt mit ein. Er formt einen Kreis mit Daumen und Zeigefinger, sagt "Zero!" und grinst weiter. In elf Anläufen hat er lediglich ein einziges Mal gegen Nadal gewonnen, allerdings war er damals erst zarte dreizehn Jahre alt. Der heute 27-Jährige gesteht, dass er sich das Youtube-Video von diesem Sieg gelegentlich anschaut und erntet weitere Lacher.

Gasquet kann sich diese Späße erlauben. Er ist bei diesem Turnier schon weiter gekommen als erwartet, hat als klarer Underdog gegen Nadal im Halbfinale absolut nichts zu verlieren und kann sich ganz auf sein Spiel konzentrieren.

Das war nicht immer so: Schon als Kind ziert das aus der südfranzösischen Kleinstadt Beziers stammende Ausnahmetalent landesweite Magazine und gilt als "Auserwählter" von Frankreichs Tennis-Szene. Der Rummel um seine Person hat ihm dabei nicht immer gut getan.

"Mozart des französischen Tennis"

Mit vier Jahren fängt der kleine Richard beim TC Serignan, dem Verein seines Vaters Francis, mit dem Tennisspielen an. Auch seine Mutter Maryse ist als Trainerin im Klub aktiv. Richard nimmt das Spiel so natürlich auf, dass er schon mit neun Jahren auf der Titelseite des französischen Tennismagazins zu sehen ist. Schlagzeile: "Ist Richard G. der Champion, auf den Frankreich gewartet hat?"

Es sieht für einige Jahre tatsächlich danach aus. 2002 wird Gasquet zum besten Juniorenspieler der Welt, gewinnt die Juniorenturniere von Roland Garros und Flushing Meadows. Sein vielseitiges und technisch perfektes Spiel bringt ihm Spitznamen wie "Baby Federer" oder "Mozart des französischen Tennis" ein, der Angriff auf die Weltspitze scheint vorprogrammiert.

Auch auf der ATP-Tour ist der Start mehr als erfolgreich. 2005 bezwingt er in Monte Carlo Roger Federer und holt in Nottingham seinen ersten Titel als Profi. Ein Jahr später komplettiert er im zarten Alter von 21 Jahren mit vier Turniersiegen auf vier unterschiedlichen Belägen den seltenen "surface slam" - ein weiteres Testament seiner Vielseitigkeit.

Das Schicksal eines Tennis-Auserwählten ist allerdings nicht leicht und so wird im Laufe der Jahre der öffentliche Unmut über verpasste große Erfolge laut. Da er abgesehen von einem Ausflug ins Wimbledon-Halbfinale 2007 bei Grand Slams nie weiter als ins Viertelfinale kommt, kommen Zweifel an seiner Physis und mehr noch an seiner Mentalität auf.

Verletzungen und Kokain

Das Problem ist, dass Gasquet, im Gegensatz zu dem nur fünfzehn Tage älteren Nadal, nicht mit einem "Erwachsenen-Körper" auf die Tour kam. Der Franzose verkraftet die höhere Belastung des ATP-Spielplans nicht ideal und muss sich häufig mit diversen Verletzungen herumplagen. Wann immer Gasquet ein Turnier absagen muss, stürzt sich die französische Presse auf ihn. Er sei weich und werfe sein Talent weg, weigere sich, die nötige Arbeit in Spiel und Körper zu investieren, sagen seine Kritiker.

Dabei steht Gasquet Mitte 2007 auf Platz sieben der Weltrangliste. "Es ist mir egal, wenn Leute denken, dass ich höher platziert sein sollte und dass ich mein Potenzial nicht realisiere. Es ist großartig für mich, meine Eltern, meinen Coach und meine nahen Bekannten. Glaubt mir, die Top 10 zu erreichen ist nicht einfach", sagt Gasquet.

Ab Mitte 2008 fällt er allerdings zurück, zwischenzeitlich steht er sogar nur noch auf Platz 86 des Rankings. Grund sind abermals Verletzungen, allerdings auch eine Suspendierung über letztendlich zweieinhalb Monate - bei einer Dopingkontrolle werden Kokainspuren in seinem Urin gefunden. Die Haarprobe ist zwar negativ und Gasquet beteuert seine Unschuld, trotzdem hat er von da an erst einmal den Ruf als "Kokainsünder" ("Der Spiegel") weg.

Der lange Weg zurück

Nach abgesessener Sperre tut sich Gasquet zunächst schwer und verschwindet eine Zeit lang aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Vielleicht ist das aber genau das, was er gebraucht hat. Denn endlich nimmt er sich mal die Zeit, an seinen Schwächen zu arbeiten - insbesondere an seiner Physis sowie seiner mentalen Herangehensweise ans Tennis.

Er nimmt dabei auch die Ratschläge von Yannick Noah an. Über das Verhältnis zum ehemaligen Topspieler sagt Gasquet im Gespräch mit dem Magazin "DEUCE": "Ich höre genau zu, wenn er mir einen Rat gibt. Er hat mir sehr direkt einige Dinge genannt, die ich seiner Meinung falsch mache, aber von ihm nehme ich diese Kritik gerne an. Yannicks Hilfe ist sehr wertvoll für mich."

Langsam, aber beständig kämpft er sich zurück, bis er Ende 2012 endlich wieder die Top 10 erreicht. Spätestens in diesem Jahr hat er sich auch endlich die Wertschätzung seiner Nation "verdient", nachdem er gemeinsam mit Julien Benneteau eine Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen im Doppel holt und dafür zum Ritter des französischen Nationalverdienstordens geschlagen wird.

Alles kann, nichts muss

Und heute? Kehren wir zurück zu der Pressekonferenz nach dem Match gegen Ferrer, gegen den er vorher übrigens auch eine bescheidene 1:8-Bilanz vorzuweisen hatte. Gegen Nadal ist der Franzose wie bereits erwähnt noch sieglose auf dem Profi-Circuit. "Ich bin nicht der einzige, der so eine Bilanz gegen ihn hat. Ich weiß, dass er der Favorit ist. Keiner würde mich als Favoriten bezeichnen. Aber natürlich versuche ich, ein großes Spiel zu machen."

Gasquet wirkt locker und befreit, weil er niemandem mehr etwas beweisen muss. Nicht einmal die französische Presse verlangt von ihm, dass er Nadal schlagen muss - im Gegenteil, er hat nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. In dieser Rolle scheint er sich wohl zu fühlen.

"Es ist gut, jemanden als Junior zu schlagen, aber es ist besser, als Profi zu gewinnen. Das habe ich nicht. Aber das Leben ist lang, nicht wahr? Wir sind erst 27 Jahre alt. Also, warum nicht? Wir werden sehen." Das werden wir.

Die ATP-Weltrangliste