"Können stolz auf sie sein"

SID
Boris Becker, hier mit Ruud Gullit, fühlt sich in Deutschland oftmals missverstanden
© getty

Boris Becker hat sich als Fan von Angelique Kerber geoutet und vor der deutschen Nummer eins den Hut gezogen. "Respekt. Sie ist eine tolle Spielerin, auf die wir stolz sein können." Dennoch sieht er das deutsche Tennis vor einem langen Weg aus der Krise und hat vor allem die Nachwuchsförderung ins Visier genommen.

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"Angelique spielt fantastisch. Sie ist häufig die letzte Mohikanerin, die noch die Fahne hochhält", sagte Becker und lobte die Weltranglistensechste aus Kiel: "Nur durch sie weiß man, dass auch in Deutschland noch Tennis gespielt wird."

Die 25-jährige Kerber hatte im vergangenen Jahr ihre ersten beiden Turniersiege gefeiert (Paris, Kopenhagen) und war unter anderem ins Halbfinale von Wimbledon eingezogen. Am Freitag spielte die Linkshänderin beim WTA-Turnier in Stuttgart gegen Jaroslawa Schwedowa (Kasachstan) um den Einzug ins Halbfinale.

Auch die immer wieder vom Verletzungspech gebeutelte Andrea Petkovic hat bei Becker Eindruck hinterlassen. "Ein tolles Mädel, das fantastisches Tennis spielt. Nach schweren Verletzungen ist es nicht ganz so einfach. Man braucht Geduld, aber sie ist noch jung", sagte der dreimalige Wimbledonsieger Becker: "Ich hoffe, Andrea findet den Weg wieder zurück in die Top Ten."

"Die Grube ist riesengroß"

Die 25-jährige Darmstädterin, einst die Nummer neun des WTA-Rankings, wird nach ihrem Seuchenjahr 2012 und insgesamt sieben Monaten Pause derzeit nur auf Position 131 der Weltrangliste geführt.

Überhaupt ist Becker begeistert von der Frauen-Power in seiner Heimat. "Die Spielerinnen kommen alle sehr sympathisch rüber, sie machen tolle Werbung für das deutsche Tennis", sagte der 45-Jährige. Die Fed-Cup-Mannschaft von Teamchefin Barbara Rittner hatte angeführt von Kerber am vergangenen Wochenende den Wiederaufstieg in die Weltgruppe I der besten acht Mannschaften geschafft.

Dennoch betont er: "Die Grube, in die das deutsche Tennis gefallen ist, ist riesengroß. Da kommt man nicht in einem oder zwei Jahren raus. Das dauert viel länger."

Den seit eineinhalb Jahren amtierenden Verbandspräsident Karl-Georg Altenburg nimmt er jedoch in Schutz: "Ich glaube, wir haben den richtigen Präsidenten und das richtige Team, aber es dauert seine Zeit. Es wurden viele große Fehler gemacht."

Zu viele "Einzelunternehmer"

Vor allem das föderalistische Fördersystem für den deutschen Nachwuchs sieht Becker als Auslaufmodell an. "Wir haben viel zu lange an verkrusteten, alten Strukturen festgehalten", sagte er. Erfolgreiche Nationen verfolgten einen zentralistischen Ansatz: "Möglicherweise funktioniert das Tennis heute anders."

Auch vom Auftreten seiner Nachfolger bei den Herren ist er enttäuscht. "Die sensationellen Erfolge sind derzeit Mangelware. Es geht ja schon seit einigen Jahren so, dass die Frauenriege deutlich stärker ist als die Männerriege", sagte er: "Da darf man natürlich auch das Hickhack um das Davis-Cup-Team mit dem Rücktritt von Patrick Kühnen nicht verschweigen."

Vieles hänge, so Becker, von den Führungspersönlichkeiten und deren Einstellung ab. "Das sind aber alles Einzelunternehmer. Gerade der Philipp (Kohlschreiber, Anm. d. Red.) denkt ein bisschen mehr an sich als an die Nationalmannschaft oder das Olympiateam", sagte Becker.

"Das ist schade, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Bei den Damen ist das aber anders. Deswegen werden auch die Erfolge medial mehr wahrgenommen."

Becker fühlt sich unverstanden

Von seiner Kritik explizit verschont blieb der 35-Jährige Tommy Haas. "Die Erfolge von Tommy Haas sind erstaunlich", sagte Becker über den Weltranglisten-14., dem er nach vielen schweren Verletzungen ein solches Comeback nicht zugetraut habe: "Das ist mehr als bemerkenswert, ein kleines Sportwunder. Von der Persönlichkeit und dem Charakter her, hätte er alles, was ein Grand-Slam-Sieger braucht."

Becker selbst fühlt sich in Deutschland unverstanden. "Ich war gerne der 17-jährige Leimener, mittlerweile bin ich 45. Was ich mit 20 oder 25 getan oder gesagt habe, hat nichts mehr damit zu tun, wie ich heute lebe. Wenn man immer wieder falsch angesprochen wird, dann nervt das irgendwann. Man kann gerne kritisieren, was ich heute bin. Aber nicht, was ich vor zehn Jahren gemacht habe. Bei mir gibt es wohl immer Kritik - ganz egal, was ich mache."

Seit mehreren Jahren lebt der ehemalige Tennisstar, der während seine aktiven Zeit zwölf Wochen die Nummer eins der Welt war, in London. Auch wegen seines Rufs in seinem Heimatland plant Becker ein neues Buch, das Ende des Jahres erscheinen soll. "Ich werde wöchentlich mit alten, falschen, kalten Kamellen konfrontiert. Bevor ich jetzt jedem Einzelnen sage, was ich mache und wie es mir geht, fasse ich es für den deutschen Fan in einem Buch zusammen", sagte er.

Die WTA-Weltrangliste im Überblick